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"Wir sind überhaupt nicht umgefallen"

Das neue Steuerkonzept der FDP ist bei Kommunen und Gewerkschaften auf Ablehnung gestoßen. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle wies Vorwürfe zurück, seine Partei sei mit ihrem neuen Konzept der Steuererleichterungen von ihren Wahlversprechen abgegangen.

Rainer Brüderle im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dirk Müller: "Die FDP gibt auf", das schreibt jedenfalls das "Handelsblatt". Das stimmt nicht so ganz, sie gibt aber immerhin auf, die Steuersenkungspartei zu sein. Dabei war dies schon seit Jahren ihr Credo, vielleicht auch seit Jahren ihr stärkstes Pfund. 35 Milliarden weniger Steuern hatte Guido Westerwelle einst versprochen.

    O-Ton Guido Westerwelle: Und all denjenigen, die sich in der Steuerpolitik jetzt abseilen möchten, rufe ich zu: Wir brauchen faire Steuern, damit sich Leistung in Deutschland wieder lohnt, und zwar für alle, die diesen Karren in dieser Republik auch ziehen.

    Müller: Guido Westerwelle vor einigen Monaten. – Seit gestern ist das alles anders. Zumindest in den nächsten zwei Jahren wird es keine Steuererleichterungen geben, sagen jetzt die Liberalen. Also angekommen in der Wirklichkeit? – Schuld ist die angespannte Haushaltslage.
    Entschiedener Steuersenkungsverfechter bis zuletzt war der liberale Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle. Er ist nun bei uns am Telefon. Guten Morgen!

    Rainer Brüderle: Guten Morgen, Herr Müller!

    Müller: Herr Brüderle, wann sind Sie umgefallen?

    Brüderle: Wir sind überhaupt nicht umgefallen. Das ist ja alles dummes Zeug. Wir haben ja genau das jetzt präzisiert, was im Koalitionsvertrag drinsteht. Im Koalitionsvertrag steht drin: nicht das FDP-Steuermodell, sondern dass wir 24 Milliarden steuerlich entlasten wollen. Davon ist einiges bei dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz als Sofortmaßnahme zum 1. Januar dieses Jahres gemacht worden, sodass ein Restvolumen von etwa 17 Milliarden in der Größenordnung noch vereinbart ist. Das ist, was vereinbart ist, und das hat jetzt Solms und Pinkwart für den Bundesparteitag präzisiert, diesen Bereich, und es ist auch vereinbart worden, dass es möglichst 2011 – war übrigens nicht unsere Erfindung – umgesetzt werden soll; jetzt sprechen wir von 2012, völlig im Rahmen der Vereinbarung.

    Was wir machen ist absolut in dem, was im Koalitionsvertrag noch ausgehandelt worden ist, und insofern ist das weder ein Abweichen, noch ein Umfallen. Das Programm der FDP wird nicht aufgehoben, sondern das ist eine Präzisierung dessen, was der Koalitionsvertrag hergibt und was man dort gemeinsam vereinbart hat, und das jetzt Schritt für Schritt umzusetzen. Dass das die einen für irreal halten angesichts der Haushaltssituation, die anderen halten es für ein Umfallen oder ein Aufgeben von der eigenen Position; Tatsache ist, dass wir uns genau auf dem Pfad bewegen, den wir vereinbart haben.

    Müller: Das heißt, Herr Brüderle, Präzisierung, wenn ich Sie richtig verstanden habe, heißt Verschiebung?

    Brüderle: Nein! Das ist ja nicht vereinbart worden für 2011 im Koalitionsvertrag.

    Müller: Aber Sie haben es immer gesagt!

    Brüderle: Entschuldigung! Dort steht "möglichst 2011", und genau das habe ich auch immer gesagt. Je früher, umso lieber wäre mir es, aber wir müssen ja vom Zeitablauf sehen: Wir haben ja jetzt schon April 2010, das muss ja auch gehandhabt werden, umgesetzt werden. Und wir müssen realistischerweise sehen, dass Steuerentlastungen dann am besten wirken – das zeigen auch empirische Untersuchungen -, wenn die Menschen wirklich das begründete Vertrauen haben, dass es nachhaltig ist. Deshalb müssen wir immer beide Seiten der Medaille beachten: Einerseits die notwendige Entlastung, die überfällig ist, andererseits auch die Haushaltskonsolidierung, und wir haben ja mitbetrieben aus Überzeugung, dass die Schuldenbremse ins Grundgesetz sogar kam, damit Verfassungsrang hat, sodass wir auch den Umsetzungsansatz im Haushalt, nämlich die Konsolidierung, die Rücknahme von Ausgaben, auch konsequent Schritt für Schritt betreiben müssen, und das fängt jetzt an.

    Müller: Die Argumentation, Herr Brüderle, die Sie gerade uns jetzt und den Hörern des Deutschlandfunks genannt haben, das ist die Argumentation, die wir immer von der CDU in Erinnerung haben. Warum auch jetzt die FDP?

    Brüderle: Entschuldigung, das war immer unsere Position. Wir haben ein anderes Modell gehabt in dem Programm der Partei. Das konnten wir im Koalitionsvertrag so nicht voll umsetzen, sondern statt der gut 30 Milliarden sind es eben 24 Milliarden, die umgesetzt worden sind, und die werden jetzt konsequent angepackt.

    Müller: Seit wann haben Sie denn die 2012 als Marke im Kopf?

    Brüderle: Das ist in den Koalitionsverhandlungen sogar unser Vorschlag vom Verhandlungsführer Pinkwart gewesen, das 2012 zu machen. Es kam dann eher von der CSU damals der Druck zu sagen, 2011. Wir haben uns geeinigt und haben geschrieben, "möglichst 2011".

    Müller: Also ist die CSU die Steuersenkungspartei?

    Brüderle: Wissen Sie, ob jetzt 2011 oder 2012. Wenn drin steht, "möglichst 2011" und es kommt jetzt 2012, dann ist das jetzt schon eine dramatische Abweichung vom Vertrag. Das ist doch Unfug. Wenn möglichst drin steht, wenn die Haushaltslage sich in der Tat als schwierig darstellt und wir sagen okay, es ist jetzt schon April, wir machen es 2012, ist das voll im Rahmen dessen, was vereinbart ist, was der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, was dem Parteitag der FDP vorgetragen wurde. Wir sind voll auf Linie!

    Müller: Dann hat die FDP monatelang, zumindest haben wir das so mitbekommen und wahrgenommen, argumentiert, wir müssen erst einmal die Steuerschätzung abwarten. Die ist ja in einigen Wochen so weit. Haben Sie die jetzt schon im Sack?

    Brüderle: Das war die Union! Das verwechseln Sie jetzt.

    Müller: Sie brauchten nicht auf die Steuerschätzung zu warten?

    Brüderle: Wir können uns ungefähr vorstellen, wie die Steuerschätzung ist, aber das ist ja auch nicht das entscheidende Kriterium alleine. Es geht doch um zwei Dinge. Wir haben nach wie vor etwa 25 Prozent des Produktionspotenzials der deutschen Volkswirtschaft nicht ausgelastet, auch wenn wir jetzt 1,4 oder 1,5 Prozent Wachstum in diesem Jahren. Verglichen zu den minus fünf Prozent im letzten Jahr brauchen wir etwa zwei bis drei Jahre, um das alte Niveau von 2008 wieder zu erreichen. Deshalb müssen wir noch Gas geben. Deshalb haben wir ja mit den Sofortmaßnahmen zum 1. Januar erst Entlastungen in Gang gesetzt und daneben Steuern korrigiert, Kindergeld, Kinderfreibetrag auf den Weg gebracht, um diese Impulse zu setzen. Wir brauchen mehr Wachstum und wir müssen auch die Binnennachfrage ein Stück ankurbeln, dazu auch steuerliche Entlastungen. Das ist, was wir volkswirtschaftlich brauchen, und nicht deshalb, weil unsere französischen Nachbarn fordern, wir sollen weniger exportieren.

    Müller: Das Stichwort Kinderfreibetrag haben Sie beim Steuergesetz genannt, was Anfang des Jahres ja umgesetzt worden ist. Die Hoteliers haben auch davon profitiert. Das sind vielleicht diejenigen, die wenigen, die letztendlich dann von der FDP profitieren?

    Brüderle: Entschuldigung! Wenn Sie für rund fünf Milliarden das Kindergeld erhöhen, profitieren gerade kleine und mittlere Einkommen von dem Kindergeld sehr stark. Das ist doch keine Angelegenheit von reichen Leuten, dass sie 20 Euro im Monat mehr Kindergeld kriegen. Das ist doch gleich für die kleinen und mittleren Einkommen gedacht.
    Kinderfreibetrag: Die Kinder zu fördern jetzt als ein Geschenk für die Reichen – ich habe am Brandenburger Tor überall die Reichen demonstrieren sehen für 20 Euro mehr Kindergeld im Monat. Auch das ist ja, wenn man es nüchtern betrachtet, alles ganz anders.

    Bei der Frage der Hotels, das ist in der Tat nicht das, was wir ursprünglich wollten. Wir wollten Gastronomie und Hotellerie anpassen wie in 22 von 27 europäischen Mitgliedsländern, nämlich den reduzierten Mehrwertsteuersatz haben bei den Gastronomie- und Hotelleistungen. Und dort zeigen wir, wenn Sie mal die Statistik der HoGa sehen, dass durchaus auch investiert wird und neue Arbeitsplätze mit entstehen. Daraus ist ein Impuls gesetzt worden.

    Müller: Das bereuen Sie nicht?

    Brüderle: Ich halte es nicht für sehr geschickt. Wir wollten auch etwas anderes, aber sie müssen ja, wenn drei Parteien einen Koalitionsvertrag machen, eine Linie gemeinsam finden. Wenn wir die absolute Mehrheit für die FDP hätten, wüsste ich schon, was ich gemacht hätte. Dann hätten wir das Programm der FDP pur durchgesetzt. Aber so stark sind wir noch nicht gewesen.

    Müller: Haben Sie, Herr Brüderle, wie Sie ja eben bei uns auch gesagt haben, schon länger an diesem Datum zumindest gezweifelt? Jetzt sagen Sie, 2011, das war gar nicht so wichtig, Hauptsache es kommt. Wer garantiert denn jetzt, dass es kommt?

    Brüderle: Wir hatten eine Koalitionsverhandlung. Ich habe dort zwar den Bereich Wirtschaft geführt, Steuern hat der Kollege Pinkwart und Solms federführend verhandelt. Dort war die Vorstellung gerade unserer Leute zwölf zu sagen. Okay, wir haben dann den Kompromiss geschlossen, möglichst 2011. Also da bewegen wir uns durchaus mit dabei und damit haben wir auch eine Linie, die, glaube ich, durchaus verträglich und vernünftig ist. Entscheidend ist ja, das ist ein Stück der Glaubwürdigkeit, dass hier Entlastung kommt. Was wir jetzt machen, was jetzt gestern vorgestellt wurde, ist ja auch wieder keine, was man sagt, Entlastung für reiche Leute, sind ja die kleinen und mittleren Einkommen, das sind für Handwerker, Gewerbebetriebe. Etwa nach den Schätzungen ein Drittel von dem, was an steuerlicher Entlastung ist, geht auf Handwerks-, Gewerbe-, Einzelhandels-, Landwirtschaftsbetriebe, die ja dort auch gerade Arbeitsplätze erhalten sollen, Mittelstandsbetriebe. 80 Prozent in Deutschland sind Personengesellschaften, deren Unternehmenssteuer ist die Einkommenssteuer und das ist genau in dem mittleren Bereich die sogenannte Kalte Progression, was wir in den letzten Jahren ja leider hatten durch auch die Geldentwertung, dass immer mehr mittlere und kleinere Einkommen in die höhere Progression, höhere Besteuerung hineingeraten sind, sodass etwas mehr Zuverdienst eine überproportional höhere steuerliche Belastung gebracht hat, und das muss korrigiert werden.

    Was wir jetzt machen ist: Den Mittelstandsbauch, die Kalte Progression abzuflachen. Sie wird nicht völlig beseitigt, das würde fast das doppelte kosten, aber es wird immerhin in der Größenordnung von 16, 17 Milliarden eine Entlastung in diesem Bereich geben, der für die Leistungsanreize besonders ...

    Müller: Herr Brüderle, Sie haben ja auch immer argumentiert und Guido Westerwelle auch, die FDP muss glaubwürdig sein, das was sie sagt muss auch eintreffen. Jetzt haben Sie das verschoben, um wie viele Monate auch immer. Viele bezweifeln ja, dass das jetzt überhaupt noch finanzierbar ist.

    Brüderle: Noch mal, damit sich das nicht falsch festsetzt: Wir haben im Koalitionsvertrag geschrieben, "möglichst 2011".

    Müller: Aber das ist ja nicht 2012!

    Brüderle: Die Zahl 2012 in dem Vertrag heißt ja kein Aufgeben einer Position. Wir haben es als Kernstück auch der Reformprozesse. Wir wollen etwas anderes, ein anderes Gesellschaftsbild. Wir wollen eine andere Balance zwischen Privatheit, Staatlichkeit, eigenverantwortliche Entscheidungsmöglichkeiten der Bürger und kollektive Entscheidung, wir wollen mehr Entscheidungsmöglichkeiten der Bürger. Wir haben ein anderes Gesellschaftsbild. Das haben wir alles vor der Wahl klar gesagt, was wir jetzt machen, das machen wir Schritt für Schritt, weil wir so Deutschland stärker machen und so mehr Zukunftsperspektive erschließen können.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der liberale Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Brüderle: Danke Ihnen!