Dirk Müller: Sie sitzen alle in einem Boot, die Euro-Länder, um gemeinsam ein Konzept gegen die Krise in Griechenland aus der Taufe zu heben. Dabei ist plötzlich ein neuer Nebenschauplatz aufgetaucht, der viele Gemüter der hohen Politik auf die Palme bringt: eine unmissverständliche Kritik an der deutschen Wirtschaftspolitik durch Frankreich, der sich prompt prominente Stimmen aus Italien und Spanien anschließen.
Die französische Wirtschafts- und Finanzministerin Christine Lagarde fordert nämlich das Nachbarland, also uns, nachdrücklich auf, sich bei den Exporten künftig zurückzuhalten. Ihre Begründung: Die Produkte aus Deutschland gefährden die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Handelspartner. So schlägt die Französin der Bundesregierung als Lösungsrezept vor, die Steuern zu senken, um die Nachfrage im Inland zu steigern. Schrille Töne aus Paris. Alles nur bloßer Neid, so die Reaktion aus Berlin.
Am Telefon ist jetzt der grüne Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit, der in Frankreich wie in Deutschland gleichermaßen zu Hause ist. Guten Morgen!
Daniel Cohn-Bendit: Guten Morgen.
Müller: Herr Cohn-Bendit, was wollen die Franzosen von uns?
Cohn-Bendit: Na ja, das sind nicht "die Franzosen", sondern das ist die französische Regierung. Ich glaube, dass im Grunde genommen Frau Lagarde hier einen Nebenkriegsschauplatz - das haben Sie eben auch gesagt - eröffnet hat. Die meisten Franzosen sind sehr skeptisch über die Politik von Sarkozy und seiner Regierung und jetzt sehen sie, na ja, Schuld an unseren Problemen sind die Deutschen.
Das ist einer dieser unsäglichen Ansätze, die es sehr oft in Europa gibt. Manchmal spielt die deutsche Regierung einfach ein bisschen verrückt und sagt, wir zuerst, und will nicht ökonomische Entscheidungen treffen im Interesse ganz Europas, und jetzt sind es die Franzosen, die auf Deutschland etwas abwälzen wollen.
Müller: Und könnte das wirklich sein, dass die Deutschen den Franzosen schaden?
Cohn-Bendit: Nein, weil wenn man die europäische Wirtschaft als Einheit sieht, dann kann das nicht so sein. Was ist und was das Problem der Franzosen und der Deutschen ist, ist, dass wir im Moment die europäische Karte der Wirtschaft nicht spielen. Wir versuchen nicht, europäische Investitionen so zu entwickeln, dass wirklich die europäische Wirtschaft angekurbelt wird, und da, glaube ich, ist das große Problem: Jeder schaut jetzt nur auf sich. Es ist ja sehr lächerlich. Wie sollen die Deutschen ihren Export drosseln?
Und noch einmal: Auch wenn jetzt die Nachfrage in Deutschland steigen würde, dann würden die Menschen, die mehr Geld in der Tasche hätten, keine Maschinen kaufen. Der deutsche Export sind Maschinen, sind nicht nur einzelne Produkte, und das ist eine sehr dirigistische Sicht der Wirtschaft, die hier die Franzosen entwickeln.
Müller: So könnte man auch sagen, Herr Cohn-Bendit, Frankreich sollte lieber weniger Wein produzieren, dafür bessere Autos?
Cohn-Bendit: Nein, weil bessere Autos wird die Nachfrage nicht steigern. Das ist ein Problem. Die Europäer produzieren zu viele Autos, viel zu viele Autos. Die Nachfrage wird nicht mehr steigen. Das ist eines der Probleme. Die Europäer sollen Straßenbahnen bauen, die Europäer sollen alternative Energie bauen, Solarenergie, Windräder. Das ist das, was die Europäer und die Franzosen auch bauen können.
Und die Franzosen sollen auch Wein anbauen, und zwar qualitativen Wein. Qualitativer französischer Wein ist immer noch ein Exportschlager. Die Franzosen haben vieles, was sie entwickeln müssen, aber wenn sie ihre Exporte reduzieren auf Atomkraftwerke, die niemand kaufen wird, das ist das Problem. Die Franzosen haben sich auf Großprojekte sehr spezialisiert, staatlich unterstützt, und das sind natürlich wirtschaftliche Ansätze, die im Moment einfach fehlschlagen.
Müller: Christine Lagarde, die Finanz- und Wirtschaftsministerin, zeigt also auf Deutschland, kritisiert Deutschland, im Grunde sind aber die französischen Probleme hausgemacht?
Cohn-Bendit: Ja. Und die Deutschen zeigen immer auf die anderen und sehen die deutschen Probleme nicht. Ich glaube, dass auch in Deutschland vieles schiefläuft. Das glaub ich auch. Die ganze Debatte, die wir in Deutschland über Griechenland hatten, war ja abenteuerlich.
Wir haben den gemeinsamen Euro und jetzt sollten wir wirklich so etwas wie nicht nur einen europäischen Währungsfonds schaffen, sondern auch einen europäischen Eurobonds und so weiter. Das heißt, wir müssen eine europäische neue grüne Industriepolitik entwickeln. Das wäre zum Beispiel für alle eine gute Sache, aber dazu sind wir nicht in der Lage. Wir sind alle, ob es die Deutschen oder die Franzosen sind, zu nationalistisch. Wir sind zu national begrenzt, auch in unseren ökonomischen Debatten.
Müller: Und deswegen, Herr Cohn-Bendit, sind im Moment die Forderungen nach einer europäischen Wirtschaftspolitik, europäischen Wirtschaftsregierung - dieses Stichwort ist jetzt auch gefallen in den vergangenen Tagen - im Grunde nicht ernst gemeint?
Cohn-Bendit: Nein, das ist richtig. Wenn wir eine gemeinsame Währung haben, müssen wir auch eine gemeinsame Wirtschaftspolitik haben und wir müssen auch sehen, wie wir eine gemeinsame Finanzpolitik und eine gemeinsame Investitionspolitik schaffen.
Ich glaube, die ganzen nationalen Staatshaushalte sind überschuldet. Wir müssen über Europa jetzt versuchen, eine neue Wirtschaftspolitik, einen, wir nannten das als Grüne "Green Deal", das heißt einen neuen, wirklich so einen Ansatz, ich sage immer Keynes, also Investitionen nach Brüssel zu machen. Brüssel muss der Ansatz sein einer gemeinsamen neuen Politik.
Müller: Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche, aber gehen Sie davon aus - das war meine Frage -, ob die Regierungen tatsächlich nur reden oder das auch ernst meinen?
Cohn-Bendit: Das ist immer das Problem. Das ist genauso wie mit der Regulierung der Banken. Das ist ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück, ein Schritt vorwärts. Das Problem im Moment ist: Die Regierungen reden über eine Koordinierung einer europäischen Wirtschaftspolitik, aber leider kommen sie nicht voran, weil sie immer dann nationale Rückschritte machen.
Müller: Kommen wir noch einmal zurück zur französischen Mentalität. Gibt es denn immer noch diesen Neidkomplex gegenüber Deutschland?
Cohn-Bendit: Nein! Da suhlt sich die deutsche Öffentlichkeit, seht ihr diesen Neid. Die Deutschen sind genauso neidisch auf die Franzosen. Die Deutschen beneiden die französische Lebensweise.
Müller: Das tun sie ja!
Cohn-Bendit: Ach, das tun sie auch nicht. Das hat sich doch in Deutschland. Viele Deutsche sind gerne in Frankreich, viele Franzosen sind gerne in Berlin, junge Menschen. Also man sollte aufhören, so Neiddebatten zu führen, die im Grunde genommen nur so nationalen Stolz kitzeln.
Lange beneideten die Franzosen den deutschen Fußball, nur weil die Deutschen gewonnen haben, obwohl die Franzosen ja oft den besseren Fußball gespielt haben. Also ich glaube, mit so einer Neiddebatte kommen wir nicht weiter.
Müller: Bei uns im Deutschlandfunk der grüne Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
Cohn-Bendit: Bitte sehr!
Die französische Wirtschafts- und Finanzministerin Christine Lagarde fordert nämlich das Nachbarland, also uns, nachdrücklich auf, sich bei den Exporten künftig zurückzuhalten. Ihre Begründung: Die Produkte aus Deutschland gefährden die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Handelspartner. So schlägt die Französin der Bundesregierung als Lösungsrezept vor, die Steuern zu senken, um die Nachfrage im Inland zu steigern. Schrille Töne aus Paris. Alles nur bloßer Neid, so die Reaktion aus Berlin.
Am Telefon ist jetzt der grüne Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit, der in Frankreich wie in Deutschland gleichermaßen zu Hause ist. Guten Morgen!
Daniel Cohn-Bendit: Guten Morgen.
Müller: Herr Cohn-Bendit, was wollen die Franzosen von uns?
Cohn-Bendit: Na ja, das sind nicht "die Franzosen", sondern das ist die französische Regierung. Ich glaube, dass im Grunde genommen Frau Lagarde hier einen Nebenkriegsschauplatz - das haben Sie eben auch gesagt - eröffnet hat. Die meisten Franzosen sind sehr skeptisch über die Politik von Sarkozy und seiner Regierung und jetzt sehen sie, na ja, Schuld an unseren Problemen sind die Deutschen.
Das ist einer dieser unsäglichen Ansätze, die es sehr oft in Europa gibt. Manchmal spielt die deutsche Regierung einfach ein bisschen verrückt und sagt, wir zuerst, und will nicht ökonomische Entscheidungen treffen im Interesse ganz Europas, und jetzt sind es die Franzosen, die auf Deutschland etwas abwälzen wollen.
Müller: Und könnte das wirklich sein, dass die Deutschen den Franzosen schaden?
Cohn-Bendit: Nein, weil wenn man die europäische Wirtschaft als Einheit sieht, dann kann das nicht so sein. Was ist und was das Problem der Franzosen und der Deutschen ist, ist, dass wir im Moment die europäische Karte der Wirtschaft nicht spielen. Wir versuchen nicht, europäische Investitionen so zu entwickeln, dass wirklich die europäische Wirtschaft angekurbelt wird, und da, glaube ich, ist das große Problem: Jeder schaut jetzt nur auf sich. Es ist ja sehr lächerlich. Wie sollen die Deutschen ihren Export drosseln?
Und noch einmal: Auch wenn jetzt die Nachfrage in Deutschland steigen würde, dann würden die Menschen, die mehr Geld in der Tasche hätten, keine Maschinen kaufen. Der deutsche Export sind Maschinen, sind nicht nur einzelne Produkte, und das ist eine sehr dirigistische Sicht der Wirtschaft, die hier die Franzosen entwickeln.
Müller: So könnte man auch sagen, Herr Cohn-Bendit, Frankreich sollte lieber weniger Wein produzieren, dafür bessere Autos?
Cohn-Bendit: Nein, weil bessere Autos wird die Nachfrage nicht steigern. Das ist ein Problem. Die Europäer produzieren zu viele Autos, viel zu viele Autos. Die Nachfrage wird nicht mehr steigen. Das ist eines der Probleme. Die Europäer sollen Straßenbahnen bauen, die Europäer sollen alternative Energie bauen, Solarenergie, Windräder. Das ist das, was die Europäer und die Franzosen auch bauen können.
Und die Franzosen sollen auch Wein anbauen, und zwar qualitativen Wein. Qualitativer französischer Wein ist immer noch ein Exportschlager. Die Franzosen haben vieles, was sie entwickeln müssen, aber wenn sie ihre Exporte reduzieren auf Atomkraftwerke, die niemand kaufen wird, das ist das Problem. Die Franzosen haben sich auf Großprojekte sehr spezialisiert, staatlich unterstützt, und das sind natürlich wirtschaftliche Ansätze, die im Moment einfach fehlschlagen.
Müller: Christine Lagarde, die Finanz- und Wirtschaftsministerin, zeigt also auf Deutschland, kritisiert Deutschland, im Grunde sind aber die französischen Probleme hausgemacht?
Cohn-Bendit: Ja. Und die Deutschen zeigen immer auf die anderen und sehen die deutschen Probleme nicht. Ich glaube, dass auch in Deutschland vieles schiefläuft. Das glaub ich auch. Die ganze Debatte, die wir in Deutschland über Griechenland hatten, war ja abenteuerlich.
Wir haben den gemeinsamen Euro und jetzt sollten wir wirklich so etwas wie nicht nur einen europäischen Währungsfonds schaffen, sondern auch einen europäischen Eurobonds und so weiter. Das heißt, wir müssen eine europäische neue grüne Industriepolitik entwickeln. Das wäre zum Beispiel für alle eine gute Sache, aber dazu sind wir nicht in der Lage. Wir sind alle, ob es die Deutschen oder die Franzosen sind, zu nationalistisch. Wir sind zu national begrenzt, auch in unseren ökonomischen Debatten.
Müller: Und deswegen, Herr Cohn-Bendit, sind im Moment die Forderungen nach einer europäischen Wirtschaftspolitik, europäischen Wirtschaftsregierung - dieses Stichwort ist jetzt auch gefallen in den vergangenen Tagen - im Grunde nicht ernst gemeint?
Cohn-Bendit: Nein, das ist richtig. Wenn wir eine gemeinsame Währung haben, müssen wir auch eine gemeinsame Wirtschaftspolitik haben und wir müssen auch sehen, wie wir eine gemeinsame Finanzpolitik und eine gemeinsame Investitionspolitik schaffen.
Ich glaube, die ganzen nationalen Staatshaushalte sind überschuldet. Wir müssen über Europa jetzt versuchen, eine neue Wirtschaftspolitik, einen, wir nannten das als Grüne "Green Deal", das heißt einen neuen, wirklich so einen Ansatz, ich sage immer Keynes, also Investitionen nach Brüssel zu machen. Brüssel muss der Ansatz sein einer gemeinsamen neuen Politik.
Müller: Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche, aber gehen Sie davon aus - das war meine Frage -, ob die Regierungen tatsächlich nur reden oder das auch ernst meinen?
Cohn-Bendit: Das ist immer das Problem. Das ist genauso wie mit der Regulierung der Banken. Das ist ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück, ein Schritt vorwärts. Das Problem im Moment ist: Die Regierungen reden über eine Koordinierung einer europäischen Wirtschaftspolitik, aber leider kommen sie nicht voran, weil sie immer dann nationale Rückschritte machen.
Müller: Kommen wir noch einmal zurück zur französischen Mentalität. Gibt es denn immer noch diesen Neidkomplex gegenüber Deutschland?
Cohn-Bendit: Nein! Da suhlt sich die deutsche Öffentlichkeit, seht ihr diesen Neid. Die Deutschen sind genauso neidisch auf die Franzosen. Die Deutschen beneiden die französische Lebensweise.
Müller: Das tun sie ja!
Cohn-Bendit: Ach, das tun sie auch nicht. Das hat sich doch in Deutschland. Viele Deutsche sind gerne in Frankreich, viele Franzosen sind gerne in Berlin, junge Menschen. Also man sollte aufhören, so Neiddebatten zu führen, die im Grunde genommen nur so nationalen Stolz kitzeln.
Lange beneideten die Franzosen den deutschen Fußball, nur weil die Deutschen gewonnen haben, obwohl die Franzosen ja oft den besseren Fußball gespielt haben. Also ich glaube, mit so einer Neiddebatte kommen wir nicht weiter.
Müller: Bei uns im Deutschlandfunk der grüne Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
Cohn-Bendit: Bitte sehr!