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"Wir sollen die Haftung von Staatsausgaben fremder Länder übernehmen"

Er begrüßt, dass das Verfassungsgericht sich Zeit nehmen will für die Entscheidung über den deutschen Anteil am EU-Rettungspaket: Peter Gauweiler (CSU) hat gegen ESM und Fiskalpakt geklagt - und hält eine Rückkehr zur Vertragsunion mit festen Stabilitätskriterien für besser.

Das Gespräch führte Tobias Armbrüster | 11.07.2012
    Bettina Klein: Angeblich raten die Sterne im Augenblick dazu, in den kommenden drei Wochen keine wichtigen Entscheidungen zu treffen. Wir wissen nicht, ob in Karlsruhe der Gerichtsastrologe befragt wurde; jedenfalls deutet sich an, dass die Urteile zu den Eilanträgen um ESM und Fiskalpakt länger benötigen werden und, anders als zunächst vorgesehen, wahrscheinlich nicht mehr im Juli ergehen werden. Ganz ohne Scherz: Den Richtern ist der Ernst der Lage höchst bewusst und es könnte gut sein, dass sie in der erwarteten Eilentscheidung jetzt doch auch schon Aussagen in der Sache treffen und sich diese nicht nur zwischen den Zeilen ablesen lassen werden.
    Einer der Kläger ist bekanntlich der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler. Mein Kollege Tobias Armbrüster hatte gestern am späten Abend Gelegenheit, ihn nach seinen ersten Reaktionen auf den Verhandlungstag zu fragen, und wollte von Gauweiler wissen, ob es schon ein erster Erfolg sei, dass die Richter sich nun offenbar mehr Zeit lassen wollen.

    Peter Gauweiler: Die Bundesregierung hat gedacht, sie könnte das Gesetzespaket in Kraft setzen und völkerrechtlich realisieren, bevor das Bundesverfassungsgericht den Vertrag geprüft hat. Damit ist sie heute gescheitert.

    Tobias Armbrüster: Aber das hat doch in der Bundesregierung nie jemand gesagt, dass man sozusagen Karlsruhe vorgreifen will.

    Gauweiler: Man wollte nicht Karlsruhe vorgreifen, man wollte aber unbedingt noch im Monat Juli, dass die ESM-Pakete – so nenne ich mal das Gesetzespaket insgesamt – in Kraft setzen, und dies wird nicht möglich sein.

    Armbrüster: Der Bundesfinanzminister hat jetzt schon vor Verwerfungen an den Finanzmärkten gewarnt, wenn Karlsruhe nicht möglichst rasch eine Entscheidung trifft. Wollen Sie solche Verwerfungen in Kauf nehmen?

    Gauweiler: Die Karlsruher Richter wollen nicht das tun, was die Bundesregierung offensichtlich zu viel tut, nämlich sich von der Hysterie von Finanzmärkten – wer ist das? – in jede mögliche Richtung treiben lassen. Es ist heute in der mündlichen Verhandlung interessanterweise auch gesagt worden, dass Verwerfungen ja auch in eine ganz andere Richtung gehen können, und es ist daran erinnert worden, dass die finnische Regierung erklärt hat, wenn das so weitergeht, diese Exzentrik und diese Markterpressung, dann wird Finnland aus dem Euro ausscheiden. Also man kann auch ein "Zuviel" mit der Euro-Rettung anfangen und dabei ein währungspolitisches Biotop zerstören.

    Armbrüster: Aber es lässt sich ja nicht von der Hand weisen, dass solche Entscheidungen, auch solche Aufschübe schnell Reaktionen auslösen können, etwa bei Anleihen, bei steigenden Zinsen etwa für spanische oder italienische Staatsanleihen.

    Gauweiler: Es ist nicht unsere Aufgabe, jetzt in einen Wettbewerb von hektischen Staatsanleihen einzutreten, sondern unsere Aufgabe – zumindest definieren die Kläger diese Aufgabe so – ist, dass Deutschland wieder zu der Regel pacta sund servanda, Einhaltung von Verträgen, zurückkehrt, und der ganze Ärger mit der Euro-Rettung hat ja genau damit begonnen, dass man aufhörte, die Stabilitätsregeln der Euro-Verträge einzuhalten.

    Armbrüster: Dann lassen Sie uns mal gerade über die konkreten Verträge, auch die neuen, sprechen. Was genau stört Sie so sehr am Euro-Rettungsschirm ESM und am Fiskalpakt?

    Gauweiler: Bei dem Euro-Rettungsschirm sollen ausgeschaltet werden die in unserer Verfassung geschützten Marktvoraussetzungen, nämlich Eigentum und Wettbewerb. Wenn in Zukunft die Staatsfinanzierung durch die Notenpresse erfolgt und nicht durch Wertschöpfung, dann ist der wesentliche ökonomische Violinschlüssel unseres Landes kaputt. Der ESM bedeutet ultimatives Eingriffsrecht einer zentralen Instanz in die nationale Haushaltskasse, ohne dass dies demokratisch in irgendeiner Weise durch die Wähler legitimiert wäre.

    Armbrüster: Aber Deutschland hat ja bereits jetzt auch schon eine Schuldenbremse und wir haben auch schon jetzt einen Rettungsschirm, den EFSF, der ja auch funktioniert. Mit diesen beiden neuen Institutionen würde sich doch für uns Deutsche eigentlich nicht besonders viel ändern?

    Gauweiler: Dann haben Sie es nicht gelesen. Entschuldigen Sie, wenn ich Ihnen das sage. Der erste Rettungsschirm, den wir haben, der ist begrenzt auf drei Jahre und auf einen wesentlich kleineren Betrag. Mit dem neuen Europäischen Stabilisierungsmechanismus sollen wir unbegrenzt, beinahe hätte ich gesagt auf ewig, in ein Umverteilungsorgan eintreten, das die Solvenzrisiken von Banken und Staaten zwischen den Steuerzahlern der Mitgliedsländer neu verteilt. Dies soll der ESM bewirken und wir sollen die Haftung von Staatsausgaben fremder Länder übernehmen, ohne dass wir dies beeinflussen können. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits bei seiner Entscheidung zum ersten Rettungsschirm erklärt, dass das mit der Demokratie nicht vereinbar ist.

    Armbrüster: Aber die übrigen Euro-Länder verpflichten sich ja gerade mit dem Fiskalpakt anschließend dazu, die strengen Stabilitätskriterien einzuhalten.

    Gauweiler: Auch das ist nur die halbe Wahrheit, und die halbe Wahrheit ist bekanntlich die ganze Unwahrheit. Die Euro-Länder können sich verpflichten mit dem Fiskalpakt. Dieser Fiskalpakt soll aber erst in Kraft treten zum Beginn des Jahres 2013 und die ersten drei Monate auch des Jahres 2013 nicht gelten. Erst dann soll eine Verbindung stattfinden. Wir laufen also Gefahr, dass wir den Europäischen Stabilisierungsmechanismus, bei dem Deutschland in einer dreistelligen Milliardenhöhe verpflichtet wird, in Kraft setzen, ohne die Sicherungsgrundlagen, wie Sie jetzt dort argumentieren, des Fiskalpaktes überhaupt zu bekommen. Erst wenn zwölf Länder Ende Dezember den Fiskalpakt ratifiziert haben werden, kann der in Kraft treten. Davon sind wir noch meilenweit entfernt. Wichtigste Länder wie zum Beispiel Frankreich haben den Fiskalpakt bis heute nicht unterschrieben.

    Armbrüster: Aber diese Dreimonatslücke, von der Sie da sprechen, die kann nicht ernsthaft Ihr schwerwiegendster Grund gegen den Fiskalpakt und gegen den ESM sein?

    Gauweiler: Nein! Einer meiner schwerwiegenden Gründe ist, dass die Regierung nicht das tut, was sie selber sagt. Fiskalpakt und ESM hängen nach Meinung der Regierung untrennbar zusammen. Sie sind die zwei Seiten ein und derselben Münze. Dann geht es nicht, den ESM, wo Deutschland zahlen muss, in Kraft zu setzen, ohne zu wissen, dass der Fiskalpakt, die Schuldenbremse, die Sicherung für andere Länder, auch in Kraft kommt. Der Aufschub durch die Beratung des Bundesverfassungsgerichtes kann sogar helfen, dass hier das eine und das andere zusammenkommen kann.

    Armbrüster: Herr Gauweiler, was würde das für die Stellung der Bundesrepublik innerhalb der Europäischen Union bedeuten, wenn wir diese beiden zentralen Projekte, ESM und Fiskalpakt, in Karlsruhe scheitern lassen?

    Gauweiler: Ich glaube, dass die Rückkehr zur Vertragsunion, die Rückkehr zu den Stabilitätskriterien und die Durchsetzung von demokratischen Prinzipien uns sehr helfen wird. Wir wollen ein geeintes Europa, wir wollen ein Prinzip der Bindung und Einbindung und nicht da ein kollektivistisches Investmentbank-Modell, das uns so eine Art Goldman-Sachs-Zentralkomitee über den Kontinent stülpt. Das werden sie uns nicht einreden können.

    Armbrüster: Ansehen innerhalb der Europäischen Union würden wir dadurch nicht verlieren, wenn wir diese beiden Projekte scheitern lassen?

    Gauweiler: Wir würden bei Niemandem verlieren, wir würden nichts verlieren und viel gewinnen. Wir würden unsere Stabilität wieder zurückgewinnen.

    Klein: Der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler, einer der Kläger in Karlsruhe, war im Gespräch mit meinem Kollegen Tobias Armbrüster gestern am späten Abend.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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