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"Wir sollten dafür werben"

Ist der Euro als Einheitswährung ernsthaft in Gefahr? In Brüssel denkt man jedenfalls bereits über die Einführung einer EU-weiten Schuldenbremse nach. Österreichs Finanzminister Josef Pröll (ÖVP) bezeichnet eine solche gesetzliche Bremse als einen alternativlosen Weg.

Josef Pröll im Gespräch mit Friedbert Meurer | 18.05.2010
    Friedbert Meurer: Eines hat die Krise des Euro jetzt schon bewirkt: die Finanzminister der Euro- und EU-Staaten bilden in diesen Tagen fast so etwas wie eine Wohngemeinschaft, so häufig sieht man sich in Brüssel. Gestern Abend war das wieder der Fall und beim letzten Mal, am Sonntag, 9. Mai, wurden Beschlüsse gefasst, die in ihren Dimensionen bislang ihresgleichen gesucht haben. Ein Thema gestern Abend für die EU-Finanzminister war auch die Schuldenbremse. Ist sie ein Modell für Europa vielleicht?

    In Brüssel begrüße ich nun am Telefon den österreichischen Finanzminister und Vizekanzler Josef Pröll. Er ist auch Vorsitzender der konservativen ÖVP in Österreich. Guten Morgen, Herr Pröll.

    Josef Pröll: Guten Morgen!

    Meurer: Ist diese Schuldenbremse, von der wir gehört haben, eine typisch deutsche Idee, fixiert auf die Stabilität?

    Pröll: Bei weitem nicht! Dieses Thema wird immer interessanter auch in Brüssel vorangetrieben. Die Kommission, auch wir in Österreich beschließen noch diese Woche eine Budgetperspektive über vier Jahre, die eine derartige Ausgaben- und damit Schuldenbremse gesetzlich vorsieht. Das heißt, es werden immer mehr, und das ist die richtige Antwort auf diese größte Krise, nämlich auf diese größte Schuldenkrise, die wir in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg haben.

    Meurer: Inwiefern könnte eine Schuldenbremse über den Effekt des Stabilitätspakts hinausgehen?

    Pröll: Ich glaube, die Zusammenschau muss diskutiert werden, dass man die Mitgliedsländer in der Euro-Zone stärker verpflichten muss, bis hin zu gesetzlichen Maßnahmen, ihre Budgetperspektiven frühzeitig, so wie wir das tun, über vier Jahre im Detail festzulegen, pro Ministerium herabgebrochen. So machen wir das und ich denke, das ist eine gute disziplinierende Maßnahme, die erstens für alle Beteiligten in der Euro-Zone eine gute Einsicht in alle Länder ermöglicht und zweitens auch in den nationalen Regierungen zu erhöhtem Spardruck führen wird.

    Meurer: Denken Sie, Herr Pröll, es werden alle mitziehen bei dieser Idee der Schuldenbremse?

    Pröll: Ich denke, wir sollten dafür werben. Das ist ein alternativloser Weg. Wenn man sich anschaut, in welche Krise wir ziehen, was uns das zwischen Direktkrediten und Haftungsschemen kostet, wie es in der Öffentlichkeit von den Bürgerinnen und Bürgern diskutiert wird, dann ist es notwendig, dass wir klare Maßnahmen und klare Perspektiven setzen.

    Meurer: Ein springender Punkt sind die Sanktionen. Welche Sanktionen schweben Ihnen vor, wenn ein Euro-Staat sich nicht an die Auflagen, an die Bremsen, an den Stabilitätspakt hält?

    Pröll: Wir müssen die Überarbeitung des Stabilitätspakts intensiver diskutieren, über die Instrumente wie die Schuldenbremse diskutieren, und dann natürlich auch über die Frage, was das heißt bei Verletzung. Aber dieser Punkt wird noch nicht erreicht. Ich denke schon, dass wir stärker eingreifen müssen als bisher, weil offensichtlich bei manchen nur die Androhung und dann auch die Durchsetzung von Sanktionen wirksam ist. Das ist eine Lehre aus dieser Krise, die es zu ziehen gilt. Wir werden in der Task Force, die am Freitag das erste Mal hier in Brüssel tagen wird, unter den Finanzministern diese Arbeit vorantreiben.

    Meurer: Warum sind Sie, Herr Pröll, dagegen, dass jemand, der permanent gegen die Auflagen verstößt, aus dem Euro-Club ausgestoßen wird?

    Pröll: Ich sehe das nicht als eine vorrangige Maßnahme, jemandem mit Ausschluss zu bedrohen, sondern viel eher glaube ich, dass diese Frage Zuckerbrot und Peitsche zum Beispiel, nämlich die Frage von Transferleistungen aus der Europäischen Union in manche Länder anzugreifen, falls sich jene Länder nicht an die Vorgaben halten, und hier nicht in Gänze auszuzahlen, vielleicht viel mehr bewirkt im Anreiz sozusagen als die Strafe selbst.

    Meurer: Ist das nach den derzeitigen Verträgen schon möglich, die Transferleistungen zu kürzen oder abzusagen?

    Pröll: Auch das werden wir natürlich genau ausloten: ist am Schluss dann, wenn wir ein Gesamtpaket uns vorstellen können, eine Vertragsänderung notwendig. Es kann nicht unser Ziel sein, jetzt Vertragsänderungen herbeizuführen, aber wichtig ist, aus der Krise heraus technisch die richtigen Maßnahmen zu passieren, den Eingriff und den Durchgriff in Europa zu erhöhen, und dann wird man erst sehen, welche vertraglichen Diskussionen es gibt.

    Meurer: Wie könnte das aussehen, ein anderes Modell, über das geredet wird, Herr Pröll, einem EU-Staat, einer EU-Regierung das Stimmrecht im Rat oder in den Ministerräten zu entziehen?

    Pröll: Ich weiß, dass auch in Deutschland von der Bundeskanzlerin darüber gesprochen wurde, kann dem auch durchaus etwas abgewinnen. Aber noch einmal: ich halte es eher für wichtig, diese Frage, was bekommt ein Euro-Staat von der Europäischen Union, kann man dort zurückhalten, um klar zu zeigen, wir sparen ein, wir erhöhen den Druck, um damit auch einen Druck in der nationalen Bevölkerung gegenüber der nationalen Regierung zu erzeugen, ob das nicht die besseren Eingriffspunkte sind. Beim Stimmrecht selbst bin ich durchaus diskussionsbereit.

    Meurer: Über welche Summen reden wir eigentlich bei den Transferleistungen?

    Pröll: Auch das muss man sich anschauen, aus welchen Töpfen manche Länder in der Euro-Zone ihre Transferzahlungen beziehen. Aus der Europäischen Union gibt es verschiedenes, Sozialfonds, gibt es den Regionalfonds, gibt es andere, und das ist einfach zu diskutieren. Aber es wird keine einfache Diskussion, weil – und das enttäuscht mich – ich von manchen auch höre, man möge nichts ermöglichen, Eingriff, Durchgriff, wie wir das brauchen.

    Meurer: Von wem hören Sie das?

    Pröll: Ich habe einzelne Töne aus Frankreich gehört auf den Vorschlag von Olli Rehn, hier stärker Budgetkontrollen von der EU-Kommission zu betreiben, so quasi der Unterton, man lasse sich nicht in nationale Budgets hineinpfuschen. Das kann es nicht sein! Diese Krise hat gelehrt, dass die Nationalstaaten ja natürlich Budgetverantwortung haben, das soll sich auch nicht ändern, aber auch eine Verantwortung gegenüber allen anderen Mitgliedsländern der Euro-Zone, weil sonst die Schräglage eine wird, die gefährlich für alle ist und nicht mehr nur für einen, und das ist die Lehre, die wir daraus ziehen müssen.

    Meurer: Ich spreche mit Josef Pröll, dem österreichischen Finanzminister. Gestern Abend also die Euro-Finanzminister-Tagung. Ein Thema war die mögliche Finanztransaktionssteuer. Waren sich da gestern Abend wirklich alle einig, dass die kommen soll?

    Pröll: Ja! Wir haben gestern eine Tischumfrage gehabt. Jean-Claude Juncker hat gefragt nach der Finanztransaktionssteuer auf europäischer Ebene und ganz ehrlich gesagt: auch wir in Österreich treiben dieses Thema massiv weiter. Wir halten es für richtig und notwendig, es europaweit einzuführen, und das ist sehr ermutigend, dass gestern alle anwesenden Minister der Euro-Zone die weitere Arbeit an der Finanztransaktionssteuer empfohlen haben.

    Meurer: Also auch der deutsche Finanzminister, obwohl die Kanzlerin ja nicht so viel von dem Instrument hält?

    Pröll: Wir haben gestern keine Finanztransaktionssteuer beschlossen, aber wir haben angenommen den Vorschlag von Jean-Claude Juncker, die Arbeiten in diese Richtung zu intensivieren.

    Meurer: Was sagen Sie, Herr Pröll, zu dem Argument von Bundeskanzlerin Angela Merkel, das bringt nichts, über eine Finanztransaktionssteuer zu reden, sie zu diskutieren, weil sie von den Amerikanern abgelehnt wird?

    Pröll: Wir müssen uns die Expertise holen, ob diese Finanztransaktionssteuer auf europäischer Ebene möglich ist. Das scheint so zu sein, würde uns einen Beitrag aus der Finanzwelt für die Krisenbewältigung bringen können und auch natürlich mehr Transparenz im System, und in dieser Richtung sollen die Arbeiten aus meiner Sicht gehen und dann eine politische Entscheidung auch erzwingen.

    Meurer: Besteht die Gefahr, wie die Banken vor allen Dingen sagen, dass dann die Finanzströme von Europa weggelenkt werden auf andere Börsenplätze, wo es diese Steuer dann eben nicht gibt?

    Pröll: Man muss diese Gefahren und Bedenken natürlich mit berücksichtigen, aber wenn wir in Europa gemeinsam weiterkommen wollen, dann können wir das, davon bin ich überzeugt, natürlich inklusive dem Bankplatz in London, entsprechend umsetzen als klares internationales Zeichen, und auch die Amerikaner werden natürlich entsprechend ihre Notwendigkeiten nach dieser Krise haben.

    Meurer: Wie wird das jetzt weitergehen, diese Diskussion über eine Finanztransaktionssteuer, und welche Beschlüsse könnten und sollten gefasst werden?

    Pröll: Wir sollten uns technisch überlegen, wie es weitergehen kann, und im Kreis der Euro-Finanzminister dieses Thema vorantreiben. Jeder von uns hat Budget-Notwendigkeiten, hat auch eine Lehre aus der Krise zu ziehen, was die Frage der Lenkungseffekte betrifft, und eine Finanztransaktionssteuer, wie auch immer ausgestattet, könnte eine Möglichkeit sein.

    Meurer: Was ist, wenn die Briten innerhalb der EU nein sagen, um London als Börsenplatz zu schützen?

    Pröll: Wir sind am Beginn einer Debatte und nicht am Ende einer Debatte. Das ist auch ein wichtiges Signal. Das heißt, lassen Sie uns arbeiten an diesem Thema. Politisch, sage ich ganz ehrlich als Finanzminister der Republik Österreich, haben wir in der Koalition Einstimmigkeit, dieses Thema weiterzutreiben. Es gibt sogar Stimmen in Österreich, das nur national einzuführen, eine Finanztransaktionssteuer. Das sehe ich aufgrund Wettbewerbsmöglichkeiten nicht, aber europäisch ja.

    Meurer: Der Finanzminister Österreichs und Vizekanzler, Josef Pröll, bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Pröll, besten Dank und einen schönen Tag nach Brüssel.

    Pröll: Danke auch! Auf Wiederhören!


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