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"Wir sollten uns keinen Schrecken einjagen lassen"

Mindestlöhne werden nach Ansicht von Gerhard Bosch nicht zum massiven Abbau von Arbeitsplätzen führen. Behauptungen, bis zu zwei Millionen Jobs würden durch festgeschriebene Lohnuntergrenzen verloren gehen, könnten angesichts der Erfahrungen aus Großbritannien nicht bestätigt werden, sagte der Arbeitsmarktforscher vom Institut Arbeit und Qualifikation in Gelsenkirchen.

Moderation: Jürgen Zurheide |
    Jürgen Zurheide: Gestern hat es der Bundestag beschlossen,: Ja, es wird Mindestlöhne im Postbereich geben, zwischen 8 Euro und 9,80 Euro sollen sie liegen und sie alle wissen, dass es eine heftige Diskussion zuvor gegeben hat und der eine oder andere sagt: Ja, dieser Mindestlohn, er wird Arbeitsplätze kosten. Passend dazu gibt es die Probleme bei der PIN AG, dort sollen Menschen entlassen werden und man sagt, das habe mit den Mindestlöhnen zu tun, obwohl es sie ja noch gar nicht gegeben hat. Über dieses Thema wollen wir reden mit Professor Gerhard Bosch vom Institut Arbeit und Qualifikation in Gelsenkirchen, den ich jetzt am Telefon begrüße, guten Morgen, Herr Bosch.

    Gerhard Bosch: Guten Morgen, Herr Zurheide.

    Zurheide: Zunächst einmal, in vielen anderen europäischen Ländern, ich habe es gerade gesagt, gibt es ja Mindestlöhne, selbst in Großbritannien, einem Land, wo üblicher Weise immer gesagt wird, der Arbeitsmarkt ist vorbildlich geregelt, dort gibt es niedrige Arbeitslosigkeit und dort hat man es vor allem geschafft, jene wieder in Arbeit zu bringen, die niedriger qualifiziert sind oder niedrigere Löhne haben, das Ganze aber eben mit Mindestlöhnen. Wie sieht denn die Bilanz des Arbeitsmarktforschers gerade mit Blick auf England und die Mindestlöhne aus?

    Bosch: Der Mindestlohn wurde Ende des letzten Jahrtausends in Großbritannien wieder eingeführt, nachdem er unter Thatcher abgeschafft worden war. Die Ausgangssituation war ganz ähnlich wie in Deutschland: Es gab eine ganz, ganz starke Zunahme sehr, sehr schlecht bezahlter Arbeitsplätze. Die Unzufriedenheit wuchs, und vor allem, der Staat musste zunehmend gering bezahlte Tätigkeiten subventionieren, was eben einfach zu teuer wurde. Und darauf hin hat die Regierung beschlossen, einen Mindestlohn einzuführen. Und sie hat das schrittweise getan, sie hat angefangen mit einem niedrigeren Niveau und ist jetzt bei 8 Euro und etwas angelangt und diese Einführung des Mindestlohns wurde sorgfältig begleitet durch verschiedene Forschungsprojekte und es hat sich gezeigt: Beschäftigung wurde nicht vernichtet.

    Zurheide: Sie haben von Bedingungen gesprochen, zum Beispiel, dass es schrittweise eingeführt worden ist. Welche Bedingungen gab es denn sonst noch und worauf haben die Briten geachtet, um nicht eben in zum Beispiel Schattenwirtschaft und Schwarzarbeit zu landen?

    Bosch: Ganz viele Bedingungen: Erst mal wurde in England diskutiert, wollen wir mehrere Mindestlöhne oder nur einen, weil die Regionen sind ja unterschiedlich, London ist viel teurer als ländliche Regionen. Man hat sich für einen entscheiden, damit jeder im Land den auch kennt. Nämlich nur das, was man kennt, kann man auch kontrollieren, kann man einfordern. Es wurde eine große Fernsehkampagne und Radiokampagne gemacht und interessanter Weise, danach kannte fast jeder, ich glaube über 80 Prozent der Briten kannte die Höhe des Mindestlohnes. Das heißt, das war fest im Bewusstsein der Unternehmer und der Beschäftigten verankert. Dann hat man den Mindestlohn frühzeitig angekündigt, das heißt, die Unternehmen hatten Zeit, sich darauf vorzubereiten, ihre Arbeitsorganisation umzustellen und man hat sehr viele kleine Mittelbetriebe, die es ja am schwersten haben, hat man beraten bei der Einführung, die haben qualifiziert, die haben ihre Prozesse reorganisiert und all das hat dazu geführt, dass es zu keinen negativen Effekten kam.

    Zurheide: Um das noch mal aufzunehmen, auch das Gegenargument, was in Deutschland ja im Moment gerade auch im Postsektor gebracht wird, hat es verhindert, dass neue Unternehmen in etablierte Märkte eindringen konnten, so wie es jetzt bei der Post im Moment zum Beispiel läuft und auch diskutiert wird?

    Bosch: Nein, überhaupt nicht. In Großbritannien sind die Produktmärkte, muss man ja sagen, es geht ja dann nicht um die Arbeitsmärkte, sind schon vor Deutschland dereguliert, liberalisiert worden, das war übrigens einer der Gründe für die Probleme, weil man ähnlich wie im deutschen Postsektor Bereiche hatte, wie bei der Eisenbahn, wie im Nahverkehr, wo es tarifgebundene Unternehmen gab und dann sind neue Anbieter gekommen, die den Tarif nicht bezahlt haben und die haben die alten Unternehmen aus dem Markt verdrängt oder sie dazu gezwungen, Arbeitskräfte zu entlassen und durch den Mindestlohn wurden da gleiche Arbeitsbedingungen hergestellt. Das ist im Übrigen in fast allen europäischen Ländern so. Dort wo öffentliche Dienstleistung privatisiert wurden, hat man in der Regel allgemeinverbindliche Tarifverträge. Wenn Sie nach Frankreich gehen, in den Nahverkehr oder in anderen Bereichen neue Dienste anbieten, als ausländischer Anbieter, dann müssen Sie sich an den Branchentarifvertrag halten, da dürfen Sie den nicht unterbieten, wie das in Deutschland bisher möglich war.

    Zurheide: Und ein anderes Stichwort habe ich gerade schon mal angesprochen, Schwarzarbeit, respektive illegale Beschäftigung, gerade in einem Einwanderungsland wie Großbritannien, gibt es solche Phänomene? Sind die berührt davon oder nicht?

    Bosch: Ja, natürlich, Schwarzarbeit ist ja was Universelles, das gibt es genau wie Kriminalität, gibt es überall. Aber die Frage ist, auf welchem Niveau und die Briten haben sich ein paar gute Dinge einfallen lassen. Sie haben erstens mal den nationalen Mindestlohn allgemein bekannt gemacht, das ist ja schon mal eine wichtige Voraussetzung. Zweitens haben sie die Kontrolle nicht bei den Arbeitsbehörden angesiedelt, sondern bei den Finanzämtern und die Finanzämter bekommen ja die Unterlagen ohnehin zur Kenntnis und können genau kontrollieren und drittens und das ist ein ganz wesentlicher Punkt, haben sie versucht an dem Problem anzusetzen, wo kein Kläger ist, da ist auch keine Klage. Es ist ja bekannt, dass die schlecht bezahlten Beschäftigten sich nicht getrauen, ihren Lohn einzuklagen, weil sie Angst haben, den Arbeitsplatz zu verlieren. Sie können in Großbritannien anonym einen Inspektor anrufen, der dann für sie die Arbeitsbedingungen überprüft. Und das ist schon ein ganz wesentliches Mittel, um auch die Legalität zu erzwingen.

    Zurheide: Wenn wir jetzt umswitchen und fragen, können wir in Deutschland von den britischen Erfahrungen oder sollten wir davon lernen? Wie lautet Ihre Antwort?
    Bosch: Sie lautet, wir sollten uns erst mal keinen Schrecken einjagen lassen, durch große Zahlen, dass zwei Millionen Arbeitsplätze verloren gehen, wie das gegenwärtig Herr Professor Sinn behauptet. Da hat er den großen Rechenschieber genommen und glaube ich, die Zahlen um sechs Stellen nach links gerückt. Das haben die britischen Arbeitgeber und manche britische Forscher auch behauptet und die Realität hat gezeigt, dass das nicht der Fall ist. Das Zweite ist, wir müssen vorsichtig anfangen und dann schrittweise den Mindestlohn erhöhen und ihn auch überprüfen. Wir müssen sehen, wo liegen die Probleme. Da muss man den Unternehmen zuhören, muss nachjustieren und vor allem, man muss deutlich machen, dass man es ernst meint mit der Umsetzung und die Briten haben gezeigt, wenn sie was machen, sie machen ja im Arbeitsmarkt nicht allzu viel, wenn sie es machen, dann packen sie es aber richtig und konsequent an und sagen, mit dem Mindestlohn ist es uns ernst und wir erwarten von den Unternehmern, dass sie den Mindestlohn auch bezahlen. In Deutschland, glaube ich, haben wir noch so eine gewissen Politik, dass man augenzwinkernd auch von der Politik durchblicken lässt, na ja, mit der Kontrolle nehmen wir es nicht ganz so genau.

    Zurheide: Auf der anderen Seite, wenn wir etwas anderes lernen, dann ist es offensichtlich nicht branchenbezogen und regionalbezogen, sondern dann möglicher Weise einen aber etwas niedrigeren Lohn als Mindestlohn zu fixieren?

    Bosch: Nicht unbedingt. Die Frage ist, wie sind die Traditionen? Die Briten haben praktisch keine Flächentarifverträge mehr. Die sind in den 80er Jahren unter Thatcher verloren gegangen. Für mich ist persönlich der Orientierungspunkt eher in den Niederlanden zu finden oder in Belgien. Dort gibt es eine sehr vernünftige Kombination von einem nationalen Mindestlohn, der nicht allzu hoch ist, der liegt dort, glaube ich, in beiden Ländern bei acht Euro. Wir können sicherlich mit den Unterschieden Ost- und Westdeutschland nicht bei acht anfangen, wir müssen niedriger anfangen, aber in diesen Ländern gibt es dazu, weil es eben starke Gewerkschaften gibt, Branchentarifverträge, die für allgemeinverbindlich erklärt worden sind. Das heißt, ein Branchentarifvertrag, wie der bei der Post oder in der Leiharbeit in der Fleischindustrie oder in anderen Branchen, der schließt einen Mindestlohn für die Bereiche, wo es keine Tarifverträge gibt, überhaupt nicht aus. Ich halte also die Kombination für das Beste.