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"Wir stehen einfach gut da"

Gleich vier deutsche Filme haben es in diesem Jahr in den Wettbewerb der 56. Berliner Filmfestspiele geschafft. Laut Alfred Holighaus, Leiter der Abteilung "Deutscher Film" bei der Berlinale, zeige sich darin das neue Selbstbewusstsein einer jungen und lebendigen deutschen Filmszene, die sowohl in der Wahl der künstlerischen Mittel wie auch ihrer Themen befreiter auftrete.

Moderation: Bettina Klein |
    Bettina Klein: In Berlin haben gestern Abend die 56. Internationalen Filmfestspiele begonnen und da wurde der rote Teppich durchaus auch für den deutschen Film ausgerollt. Gar nicht mal die Anzahl der Filme ist überraschend, sondern - nach Ansicht der Kritiker - die Qualität. Vier Streifen haben es in den Wettbewerb geschafft, einige davon durchaus aussichtsreich. Ich habe den Leiter der Abteilung "Deutscher Film" bei der Berlinale, Alfred Holighaus, gefragt, ob das eigentlich nur Zufall ist.

    Alfred Holighaus: Na ja, so was ist immer ein bisschen Zufall, das ist ganz klar. Aber es könnte sein - nicht, dass das zur Regel wird -, aber das ist, dass wir das jetzt öfter erleben. Weil, was kein Zufall ist, ist dass wir sozusagen am - will nicht sagen - Ende einer Entwicklung sind, aber an einem Punkt einer Entwicklung, die zwangsweise dahin führt. Nämlich indem man sich sozusagen - warum auch immer - entschlossen hat, nicht mehr einer einzigen Sau im Dorf hinterherzulaufen, sondern zu sagen: Ich bin der Filmmacher, habe die Geschichte und möchte sie so und so erzählen. Und dabei gibt es ganz viele und ganz verschiedene. Und das macht das aus, was die Kritiker da völlig zu Recht konstatieren.

    Klein: Das müssen Sie noch ein bisschen genauer erklären. Was heißt das? Welche Entwicklung ist da zu Ende gegangen?

    Holighaus: Na ja, wie gesagt, nicht zu Ende gegangen, aber auf jeden Fall weitergegangen und an einen entscheidenden Punkt angekommen. Eine Entwicklung, dass sich ein anderes Bewusstsein für Filmemachen in Deutschland herausgebildet hat. Ein Bewusstsein, was vor allen Dingen ein Selbstbewusstsein ist. Das heißt, man hat auf der kreativen Seite das Gefühl, man entscheidet sich ganz konkret für bestimmte Stoffe - und zwar unabhängig von irgendeiner Mode - und weiß dann auch noch, wie man diese Stoffe in eine eigene Form bringt. Und dadurch entstehen sehr unterschiedliche Filme. Und dadurch entsteht eine breite Basis von sehr verschiedenen Filmen, die für ein Publikum interessant sind und die auch so eine Kinobranche und so eine Filmszene lebendig machen.

    Klein: Inwiefern war das früher anders?

    Holighaus: Es war früher anders, indem es einfach, ja also erstens dieses Selbstbewusstsein offenbar nicht gegeben hat - fragen Sie mich jetzt nicht genau, warum. Und es war auch anders, weil man sozusagen immer so ein bisschen einem Phänomen hinterhergelaufen ist. Man hat so geguckt also entweder, was machen die Amis oder was ist gerade mal gut gelaufen. Beispielsweise Beziehungskomödien. Da wurden halt 20 Beziehungskomödien in Folge gemacht. Und davon hat sich der deutsche Film komplett emanzipiert. Das ist natürlich, führt dazu, dass es künstlerisch im Moment nicht schlecht aussieht.

    Klein: Was sind für Sie gelungene Beispiele dieses Selbstbewusstseins?

    Holighaus: Na ja, das gelungenste Beispiel ist - und das sollte ja auch nicht anders sein - die Auswahl der deutschen Filme im Wettbewerb. Wenn man sieht, diese vier Filme repräsentieren eigentlich genau das, was ich eben gesagt habe. Es sind vier eigenständig gute Filme, die formal und inhaltlich sich total voneinander unterscheiden. Und jeder für sich aber wie eine Eins dasteht.

    Klein: Sie sagen, Sie wissen nicht, worauf dieses gewachsene Selbstbewusstsein zurückzuführen ist. Ist es auch ein bisschen ein Spiegel einer veränderten Stimmungslage, eines veränderten Zeitgeistes insgesamt in Deutschland?

    Holighaus: Klar. Also ganz so doof bin ich auch nicht. Ich weiß es natürlich schon ein bisschen.

    Klein: Erklären Sie es uns.

    Holighaus: Sie haben völlig Recht mit dem, was Sie sagen. Also es hat, es ist natürlich eine Reflektion auch auf eine gesellschaftliche Entwicklung. Es gibt auch da ein anderes Selbstbewusstsein, eine gewisse Emanzipation von einem bestimmten Bewusstsein, was eine Zeit lang mal hier vorgeherrscht hat - das hat auch mit der Wiedervereinigung, glaube ich, ganz sicher zu tun, ein anderes historisches Bewusstsein. Und auch, dass man merkt plötzlich, es interessiert die Leute auch jenseits der Grenzen, was wir hier machen. Und zwar nicht nur, ob wir Kriege vom Zaun brechen, sondern auch was wir künstlerisch tun.

    Klein: Ein anderes historisches Bewusstsein, das müssen Sie noch mal erklären. Weshalb führt das jetzt zu mehr Selbstbewusstsein bei den Filmemachern?

    Holighaus: Na ja, es hat doch alles immer miteinander zu tun. Das ist jetzt sehr schwer, das genau zu erklären. Ich meine einfach, wenn ich sehe, die Deutschen beschäftigen sich nicht mehr nur mit sich selbst, sondern sie haben irgendwie, sind zu einem gewissen Punkt ihrer Identität angelangt - was sicherlich damit zu tun hat auch, wie gesagt, der Vereinigung -, wo sie einfach ein bisschen befreiter sind in der Wahl ihrer künstlerischen Mittel und der Themen und der, ja, der Stoffe.

    Klein: Hinge das auch damit zusammen, dass wir einer neuen Generation von Filmemachern gegenüberstehen, dann wäre die Frage: Was hat sich verändert bei ihnen im Vergleich zu den früheren Vorbildern, ja vielleicht Wim Wenders oder Volker Schlöndorff, um zwei Namen zu nennen?

    Holighaus: Ja ich glaube, das kann man relativ klar benennen. Also es ist wirklich eine neue Generation. Im Moment ist ganz klar: Das Kino in Deutschland wird sozusagen beherrscht - und das meine ich ganz wertneutral und ganz bestimmt nicht negativ - von der Generation der 30- bis 40-Jährigen. Das sehen wir, wenn wir sehen, welche Filme im Wettbewerb laufen. Das sehen wir, wenn wir sehen, welche Produzenten dahinter stehen für die Filme, die für den Oscar nominiert sind - das ist ja nicht nur "Sophie Scholl", das ist ja auch "Paradise now", mit deutscher Beteiligung, das ist "Merry Christmas", mit deutscher Beteiligung. Und all die, die dahinter stehen, sind in der Generation zwischen 30 und 40. Das ist die, die im Moment sozusagen übernommen hat, das ist die, die kommt aus der, natürlich aus einer weit nach '68 sozusagen oder deutlich nach '68, von daher ein bisschen unverkrampft, während die andere Generation eine ist, die natürlich noch mit einer anderen Vergangenheit aufzuräumen hatte - völlig zu Recht. Die Geschichte ist nicht zu Ende, ist noch nicht bewältigt, aber die Generation Schlöndorff/Wenders haben nun ganz konkret noch sozusagen gegen ihre Väter gekämpft. Das tun die jetzt nicht mehr.

    Klein: Der Inhalt der deutschen Filmbeiträge jetzt bei den Festspielen ist oftmals teilweise wirklich noch sehr dramatisch, immer noch. Also es geht um Gewalt, um Liebe, um Einsamkeit. Aber es steht doch auch noch so ein bisschen für eine typisch deutsche düstere Haltung, oder nicht?

    Holighaus: Nein. Worum geht es denn sonst? Es geht immer um Gewalt und Liebe und Einsamkeit und Sehnsucht im Kino. Darum geht es immer. Selbst da, wo es was zu lachen gibt. Ich finde das gar nicht düster, ich finde das eher existenziell. Dafür sind wir natürlich auch ein bisschen bekannt, zum Teil auch verschrien. Aber wenn man die Filme sieht, kann man sehen, es geht auch anders. Nein, nein. Das ist das, worum es im Kino geht. Das finde ich ja das Tolle auch. Man kann sich auch ein bisschen was trauen im Kino.

    Klein: Und da sehen Sie dann auch keinen Unterschied zu den Filmen der vorhergehenden Generationen?

    Holighaus: Doch. Ich sehe den Unterschied darin - und das ist jetzt etwas gewagt, das weiß ich -, aber ich sehe den Unterschied darin, dass es eine etwas stärkere Ablösung vom eigenen Ich gibt. Eine etwas stärkere - also eine Reflektionsstufe weiter sozusagen. Und das ist gar kein Vorwurf, sondern das musste so entstehen.

    Klein: Was genau meinen Sie damit?

    Holighaus: Ich meine damit, dass man zwar grübelt und vielleicht auch das eine oder andere schwere Problem angeht, aber dabei den eigenen Bauchnabel völlig außer Acht lässt, sondern gerade nicht nach unten guckt, sondern geradeaus. Gucken Sie sich die Filme an, dann werden Sie sehen.

    Klein: Ja, dazu werden wir alle Gelegenheit haben.

    Holighaus: Ja.

    Klein: Jetzt wird schon gefragt von ausländischen Beobachtern, ob wir uns da vielleicht Sorgen machen müssen, dass doch eine Reihe von Wettbewerbsfilmen direkt aus Deutschland kommt. Ist das so? Ist es eine Gefahr? Ist das ein Ausdruck von Nationalismus oder ein Ausdruck von neuer Normalität, zu dem wir auch stehen müssen?

    Holighaus: Ja also, die Frage haben Sie beantwortet mit dem zweiten Teil, auf etwas anderes würde ich mich einfach gar nicht einlassen. Wir haben das auch auf anderen Festivals ganz normal, dass Festivals, die an bestimmten Orten stattfinden, natürlich dieser Ort dann auch eine Rolle spielt. Und wir werden, wenn wir das wirklich sehen, also wir haben jetzt nicht bewusst schlechte Filme von woanders ausgesucht, um die deutschen besser dastehen zu lassen. Wir stehen einfach gut da. Kann ich doch nicht ändern. Will ich auch gar nicht.

    Klein: Noch ein Wort zu einem aktuellen Thema: der Streit um die Mohammed-Karikaturen. Wird sich das in der einen oder anderen Weise, dieser Konflikt, in der Berlinale wieder finden?

    Holighaus: Na ja, wir machen das Programm zu mindestens 80 Prozent vor Weihnachten. Da gab es zwar die Karikaturen schon, aber noch nicht den Karikaturenstreit. Aber natürlich ist klar, dass das Thema hier präsent ist und wir werden - dass zwei iranische Filme im Wettbewerb sind, ist zum Beispiel auch interessant, und der neue Film von Romuald Karmakar, den er tatsächlich erst im Dezember gedreht hat, und der auf seine Art und Weise vom Clash der Kulturen handelt, der ist ein sehr aktuelles Beispiel dafür.

    Klein: Ein Beispiel wofür?

    Holighaus: Dass dieses Thema zwar auf der einen Seite, so wie es sich im Moment darstellt, natürlich völlig absurd ist, aber diese Absurdität ist zum Teil unsere Realität und damit müssen wir uns auseinander setzen. Und das ist näher als wir denken, das zeigt der Film.

    Klein: Sie sind ein Mann der Bilder. Es geht bei dem Streit auch um die Frage: Welche Bilder sind erlaubt? Welche Position beziehen Sie?

    Holighaus: Ich bin kein Freund der Bilderverbote. Und ich finde natürlich, dass jede Form von Bildern erlaubt wird, weil ich für die Freiheit der Kunst bin.