Heinemann: Herr Huber, deckt Angela Merkel die gesamte Bandbreite des bürgerlichen Wählerspektrums ab, oder ist Ihnen dieses Band rechts nicht breit genug?
Huber: Ich finde, von der Basis der CDU, von den Spitzengremien her hatte sie einen hervorragenden Start. In einer großen Volkspartei ist es immer so, dass mehrere Persönlichkeiten das gesamte Spektrum abzudecken haben. Wenn man jetzt sieht, mit Angela Merkel und Edmund Stoiber gehen die beiden Unionsparteien in die Zukunft. Ich glaube, das ist in der Tat eine starke Formation, mit der wir die künftigen Aufgaben angehen können. Für uns sind die Diskussionen der Vergangenheit damit vorbei. Der Blick geht in die Zukunft und das Angebot von Edmund Stoiber für eine Zusammenarbeit war offen, ehrlich und partnerschaftlich.
Heinemann: Das heißt, Sie wollen Frau Merkel einrahmen. Alleine trauen Sie ihr das nicht zu?
Huber: Doch, wir trauen ihr diese Aufgabe zu. Sie hat auch in einem Jahrzehnt, in dem sie ja schon an der Spitze der CDU als stellvertretende Vorsitzende und in hohen Ämtern in der Regierung tätig war, bewiesen, dass sie kompetent ist. Wir wollen gerade auch diesen Rückenwind, der mit der Erneuerung der CDU ausgeht, auch schon nutzen für die Aufgaben in Deutschland. Ich hoffe, dass das auch einen Ruck nach vorne gibt für die CDU in Nordrhein-Westfalen.
Heinemann: Aber sie war ja nicht Ihre Wunschkandidatin?
Huber: Das ist in der offenen Demokratie immer so, dass es bei wichtigen Personalentscheidungen vorher Diskussionen gibt. Ich glaube, das ist der Normalfall. Jeder würde doch sagen, wenn es hier keine Überlegungen gäbe, da stimmt etwas nicht. Ich meine, es war in Ordnung, darüber zu reden, aber es ist auch völlig klar, die Diskussionen der Vergangenheit sind vorbei. Jetzt geht es darum, die gemeinsamen Aufgaben anzupacken. Es ist aber natürlich so: je mehr heute in einer großen Volkspartei ein Vorsitzender oder eine Vorsitzende den Mannschaftsgeist inspirieren kann und in großer Geschlossenheit eine einheitliche Formation zu Stande bringt, um so erfolgreicher ist das Unternehmen. Ich glaube in der Tat, dass das jetzt ein sehr erfolgversprechender Neubeginn der CDU ist.
Heinemann: Wofür steht Angela Merkel, für welche Politik?
Huber: Sie steht unzweifelhaft für die große Volkspartei CDU, eine Partei, die gründet auf der sozialen Marktwirtschaft, die angetreten ist, die Einheit Deutschlands auch im Inneren herbeizuführen. Sie steht sicherlich auch für Zukunft, das heißt für moderne Technik, nicht die Technikfeindlichkeit von rot/grün, die Skepsis, die Ablehnung und Zweifel, sondern sie steht für Tatkraft. Ich finde, es ist ein sehr positives Zeichen gerade auch an die junge Generation. Dass die CDU als die große konservative und liberale Volkspartei als erste der großen Volksparteien eine Frau an der Spitze hat, ist sicherlich auch etwas Überraschendes für viele Wähler in Deutschland. Das heißt, es kommt eine ganze Summe von positiven Dingen zusammen.
Heinemann: Ist Angela Merkel konservativ?
Huber: Sie sagt, sie ist auch konservativ. Sie steht für wichtige Werte, gerade auch im Bereich von Leistung, Ordnung, Verlässlichkeit, Zuverlässigkeit, Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit. Ich glaube, das sind gerade auch sehr positive Werte, die wir nie in Zweifel gezogen haben.
Heinemann: Herr Huber, nichts wünscht sich die CDU zur Zeit mehr, als der Regierung wieder in gleicher Augenhöhe Paroli bieten zu können, zurück zur Sacharbeit also. Welches ist aus Ihrer Sicht für CDU und CSU das wichtigste politische Thema?
Huber: Das wichtigste ist zweifelsohne die wirtschaftliche Tätigkeit, Schaffung von Arbeitsplätzen. Dazu gehört eine echte Steuerreform, die Leistung und Investitionen lohnend macht. Dazu gehört eine sehr offene Bewegung hin zu moderner Technologie. Ich glaube, in diesen Feldern können wir in der Tat in der nächsten Zeit auf gleiche Augenhöhe die Auseinandersetzung mit dieser Regierung aufnehmen. Die Grünen haben sich ja sowieso nur als Wurmfortsatz der SPD dargestellt. Bei der SPD kommen gelegentlich Knallerbsen, aber keine kontinuierliche Arbeit, die von Konzepten getragen wäre. Jetzt glaube ich hat sich für die CDU eine wirklich gute Chance ergeben. Es muss selbstverständlich auch die Aufklärungsarbeit zu Ende gebracht werden, aber das darf niemand mehr lähmen, sondern die Sachauseinandersetzung steht jetzt im Mittelpunkt. Ich glaube, dass die Frische, die Frau Merkel mitbringt, dafür auch sehr positiv ist.
Heinemann: Stichwort Informationstechnologie. Die Regierung möchte befristete Arbeitsgenehmigungen für Menschen aus Nicht-EU-Staaten erteilen. Was halten Sie in diesem Zusammenhang von Jürgen Rüttgers Schlachtruf "Kinder statt Inder"?
Huber: Ich glaube, dass das grob verzerrt worden ist. Er wollte doch nur zum Ausdruck bringen, dass man nicht einfach, wie der Bundeskanzler das gemeint hat, Ausländer hereinholen kann, sondern dass zunächst einmal die Ausbildung und Qualifizierung unserer eigenen Leute vorangetrieben werden soll.
Heinemann: Aber das ist ja verschlafen worden?
Huber: Ich meine, es ist in der Tat sowohl von der Wirtschaft wie auch von staatlicher Seite manches versäumt worden, wobei das ungeheuer große Wachstum dieser Branche in der letzten Zeit uns natürlich alle überrascht oder auch überrollt hat. Aber dass man natürlich viel zu lange gerade auch in SPD-geführten Ländern Technikfeindlichkeit pflegt und dort die jungen Leute abhält, moderne technologische, naturwissenschaftliche Fächer zu studieren, das rächt sich natürlich. Deshalb kann es jetzt nur ein Gesamtkonzept geben: Ausbildung der eigenen Leute, Nachqualifizierung und wenn es dann noch einen Spitzenbedarf gibt, dann sind wir durchaus auch bereit, befristete und begrenzte Genehmigungen für Fachleute aus dem Ausland zu geben. Dazu sind wir bereit, aber das alleine kann es nicht sein.
Heinemann: Herr Huber, sollte die Union auf diesem Niveau "Kinder statt Inder" künftige Auseinandersetzungen führen?
Huber: Ich meine, es gibt immer wieder Zuspitzungen. Wenn man das richtig versteht, dann hat der Kollege Rüttgers mit Sicherheit nicht zur Kinderarbeit aufgerufen. Ich bin ja nun auch lange im politischen Geschäft und gelegentlich muss man auch etwas zuspitzen. Ich meine, da sollte man jetzt nicht den Stab brechen, denn er hat den Finger in die richtige Wunde gelegt. Es kann nicht sein, dass wir bei jedem Bedarf, der vorhanden ist, in der Pflege, in der Gastronomie, jetzt eine neue Einwanderungspolitik betreiben, sondern es kann doch nur sein, dass wir zunächst gezielt herangehen, bei vier Millionen Arbeitslosen und bei vielen jungen Leuten, die Schwierigkeiten haben, einen richtigen Beruf zu finden und zu suchen, hier die Instrumente ausbauen, um den Bedarf richtig zu lenken. Es kann allenfalls nur die Diskussion sein, einen gewissen Spitzenbedarf durch Ausländer abzudecken, aber völlig in der Breite eine neue Zuwanderung zu machen, das wäre völlig falsch.
Heinemann: Braucht Deutschland ein Einwanderungsgesetz?
Huber: Wir brauchen keine Einwanderungsregelung. Wir sind kein Einwanderungsland und wir sind sicher selber in der Lage, die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Zukunft abzudecken. Das heißt, ein Einwanderungsgesetz im Sinne von mehr Zuwanderung brauchen wir absolut nicht. Wir könnten uns allerdings vorstellen, dass wir in der Tat bei der Zusammensetzung der Form der Zuwanderung - es kommen ja im Jahr 700.000 nach Deutschland - eine Veränderung vornehmen. Das heißt, wir sind bereit, auch im Bereich von Asylbewerbern, von Familiennachzug eine Veränderung vorzunehmen. Wenn man dann bei reduziertem Niveau über Spitzenkräfte redet, das kann mit uns gemacht werden. Dort warten wir aber auf ein Konzept. Dort warten wir auf eine Gesamtzusammenfassung und nicht auf eine Knallerbse, wie das der Bundeskanzler mit der sogenannten "Green Card" bei der CeBIT in Hannover gemacht hat.
Heinemann: Läuft das Kalkül der CSU darauf hinaus, den Asylparagraphen 16 des Grundgesetzes zu verändern, also weg vom Rechtsanspruch?
Huber: Das ist nichts neues. Wir sind seit langer Zeit der Meinung, dass das Grundrecht dazu einlädt, das zu missbrauchen. Wir haben ja mit dem Bundesinnenminister Schily erstaunlicherweise jemanden gefunden, der das auch in gleicher Weise thematisiert. Das heißt, wir sind seit zehn Jahren der Meinung, man sollte das umwandeln in eine institutionelle Garantie. Das bedeutet ja für den, der echt verfolgt ist, aber dem Staat eine Abwehrtechnik zu geben gegen den Missbrauch. Da würde ich es sehr begrüßen, wenn der Bundesinnenminister nicht nur gelegentlich bei Interviews so reden würde, sondern wenn die Bundesregierung auch handeln würde.
Heinemann: Herr Huber, unter Helmut Kohl stand die CDU ohne wenn und aber zur Europäischen Union, und zwar zur Integration ebenso wie zur Erweiterung. Edmund Stoiber hat nun angekündigt, so widerspruchslos wie beim Euro ginge das in Zukunft mit der CSU nicht mehr. Wie sollte die künftige Europapolitik der Union aussehen?
Huber: Wir stehen zur Europäischen Union, aber wir wollen die innere Gestaltung dieser Europäischen Union in der Tat reformieren. Auch hier sehe ich, dass wir erstaunlicherweise Zustimmung bekommen gerade auch innerhalb der Länder. Es haben die Ministerpräsidenten ja mit 16 : 0, einstimmig also, festgelegt, wenn es innerhalb der Europäischen Union nicht zu einer klaren Kompetenzabgrenzung kommt, dann würden sie im Bundesrat gegen die Erweiterung stimmen. Das ist etwas, worauf wir und gerade auch Edmund Stoiber seit langem sehr kritisch hinweisen. Wie ist Stoiber als Europagegner diffamiert worden. Heute sieht man, wie weitgehend die Europäische Union sich Kompetenzen anmaßt. Wir sagen ein ganz klares ja zur Europäischen Union und auch zur Erweiterung, aber wir wollen, dass Europa nach einem sinnvollen Bauplan vorgeht, dass sich Europa auf die Kernaufgaben konzentriert. Wenn Sie sehen, gestern haben der Bundeswirtschaftsminister und alle Wirtschaftsminister der Länder gemeinsam beschlossen, eine Klage gegen die Europäische Union anzustrengen wegen der Wirtschaftsförderung, dann freue ich mich darüber, dass jetzt auch mehr kritische Bereitschaft vorhanden ist, Kompetenzüberschreitungen der Kommission wirksam entgegenzutreten.
Heinemann: In den "Informationen am Morgen" sprachen wir im Deutschlandfunk mit Erwin Huber, CSU, dem Leiter der bayerischen Staatskanzlei. - Haben Sie vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!
Link: (Heiner Geißler: "Angela Merkel ist von Anfang an auch meine Kandidatin gewesen" (20.3.2000)==>/cgi-bin/es/neu-interview/589.html)
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