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"Wir waren in Deutschland nicht mehrheitlich kapitalismuseuphorisch"

Christoph Möllers, Professor für Staats- und Verfassungsrecht in Göttingen, glaubt, dass es keine einfachen Lehren aus der aktuellen Finanzkrise gibt. Einerseits habe man an schwer zu beeinflussende ökonomische Gesetze geglaubt, die vor allem im Rahmen der Globalisierung die soziale Marktwirtschaft veränderte. Andererseits habe man sich auch viel von den Liberalisierungsmaßnahmen versprochen. Jetzt sei das politische System vor allem bei der Regulierung technischer Dinge gefragt.

Christoph Möllers im Gespräch mit Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: Jahrelang hieß es, die internationalen Finanzmärkte, die transnationalen Unternehmen, die Globalisierung, die sind nun einmal da mit ihrer ganzen Macht und gegen diese Macht kann man mit Politik wenig ausrichten. Auch weil die Marktgesetze Inbegriff der Vernunft seien, möge sich der Staat auch weitgehend raushalten. - Am Telefon begrüße ich Christoph Möllers, Professor für Staats- und Verfassungsrecht in Göttingen und Autor des Buches "Demokratie - Zumutungen und Versprechen". Guten Morgen, Herr Möllers.

    Christoph Möllers: Guten Morgen.

    Spengler: Herr Möllers, Millionen Deutsche wurden im letzten Jahr dazu gebracht, so schreibt der "FAZ"-Mitherausgeber Frank Schirrmacher, ihr Leben neoliberal umzustellen, den Finanzmärkten zu trauen und dem Staat zu misstrauen. Wie konnte es zu einem solchen Irrglauben kommen?

    Möllers: Na ja, es gibt natürlich verschiedene Varianten, zum Irrtum zu kommen. Ich denke, gerade in Deutschland ist es immer eher so eine technokratische, indem man im Grunde gesagt bekommt, es gibt Dinge, die nicht anders gehen, es gibt eine gewisse Form von Sachzwang und deswegen müssen wir dem folgen. Die Gesetze der Ökonomie sind Naturgesetze. - In anderen Ländern ist das wahrscheinlich anders. In den USA, wenn wir uns in den USA die Republikaner angucken, ist es eher so eine Form von höher ideologisiertem Glauben an den Markt, der auch viel mit Religion zu tun hat. Verschiedene Systeme, die zusammenhängen, aber doch aus unterschiedlichen Quellen etwa ihre Überzeugungen speisen.

    Spengler: Ich will noch einmal Schirrmacher zitieren. Der schreibt, dass Eliten die Chance gerade dann haben, Gesellschaften zerstören zu können, wenn die Eliten ökonomisch von der Gesellschaft isoliert sind. Sprich: wenn einer 80 Millionen im Jahr verdient, dann fehlt ihm das Bewusstsein dafür, wie es überhaupt ist, mit 40.000 Euro auskommen zu können. Stimmen Sie da zu?

    Möllers: Ich denke, das kann passieren. Das muss wahrscheinlich nicht passieren. Es ist immer auch eine Frage, wie sich die Eliten selber einordnen, ob sie sagen, das was ich bekommen habe, verdanke ich gewisser Weise auch einem größeren Ganzen, dem ich es zum Beispiel wiedergeben will, oder ob ich sage, das bin allein ich und das trennt mich von den anderen.

    Spengler: Aber Letzteres haben wir doch erlebt, diese Hybris?

    Möllers: Letzteres haben wir erlebt, natürlich, aber das ist natürlich eine Sache, wo ich immer denken würde, ein bisschen sind wir da immer alle mitverantwortlich. Man kann ja auch sagen, die Leute, die da so erfolgreich sind, werden in einer Weise verehrt oder werden in einer Weise ikonisiert, die sie selber auch dazu bringt, so etwas zu glauben. Ich denke, wir alle müssen uns fragen, wie wir mit ökonomischen Zusammenhängen umgegangen sind, und wir alle müssen langsam auch gucken, welche Folgen wir daraus für uns ziehen.

    Spengler: Wie sind wir denn Ihrer Ansicht nach damit umgegangen? Unkritisch?

    Möllers: Na ja, wir sind zum Teil unkritisch damit umgegangen und natürlich nicht völlig ohne Grund. Das muss man auch sagen. Das macht die Sache so wahnsinnig kompliziert. Auf der einen Seite haben wir offensichtlich sehr oft geglaubt, dass es ökonomische Gesetze gibt, an denen wir nichts ändern können. Auf der anderen Seite haben wir natürlich auch erlebt - man denke an den Zusammenbruch des Sozialismus -, dass es auch gewisse Grenzen des staatlichen Handelns gibt. Wir haben aus diesen Dingen sozusagen unsere Schlüsse gezogen, und unsere Schlüsse waren teilweise einfach auch falsch.

    Spengler: War der Markt für uns ein Fetisch, dessen Gesetzen wir schicksalhaft ausgeliefert waren?

    Möllers: Na ja, ich meine in Deutschland kann man das wahrscheinlich in der Krassheit nicht sagen, weil Deutschland natürlich immer noch eine sehr, sehr stark regulierte soziale Marktwirtschaft ist. Ich glaube, was vielleicht eher der Fetisch war, war so ein bisschen die Internationalisierung, also der Teil der Wirtschaft, der internationalisiert war, und die Frage, was man daraus machen kann. Was wir ja im Moment sehen, ist vielleicht auch, dass eine Demokratie alleine das Problem tatsächlich nicht lösen kann, sondern nur verschiedene Demokratien, die zusammenarbeiten. Unser Glaube oder unsere Fetischisierung geht vielleicht weniger über den Markt, in dem man gerade in Deutschland ja immer ziemlich kritisch war, sondern über die Globalisierung und was Globalisierung eigentlich bedeutet.

    Spengler: Nun zeigen Länder - wir haben es gerade im Bericht gehört - wie Spanien, dass durchaus auch der einzelne Staat etwas tun kann. Ist denn der Staat nicht dazu da, die Gemeinschaft zu schützen vor dem rücksichtslosen Handeln einzelner?

    Möllers: Der Staat sind halt wir und was die Gemeinschaft ist, müssen wir uns auch immer wieder überlegen. Klar ist er dafür da, aber zwei Dinge muss man dort wahrscheinlich aber trotzdem auseinanderhalten: auf der einen Seite, dass wir die Leute, die in Armut fallen, davor bewahren müssen, weil sie sonst auch in gewisser Weise aus der demokratischen Selbstbestimmung rausfallen, und auf der anderen Seite Ungleichheit, die es in der Demokratie irgendwie auch immer gibt. Ich denke, es gibt Grenzen der Ungleichheit, die durch die Demokratie gezogen werden, aber diese Grenzen sind natürlich auch weit und über die müssen wir auch immer wieder neu nachdenken. Das macht die Sache so schwierig.

    Spengler: Müssen wir denn in einer Demokratie die Spaltung der Gesellschaft hinnehmen, in Menschen, die Konsequenzen erleiden, und in Menschen, die davon verschont werden oder gar davon profitieren?

    Möllers: Na ja, wir müssen den Leuten natürlich schon plausibel machen - in einer Demokratie jedenfalls -, dass jeder für sein Handeln verantwortlich ist und dass dem, der für sein Handeln nicht verantwortlich sein kann, auch geholfen wird. Das ist im Moment natürlich ein bisschen das Problem, dass die Leute erleben, dass es Menschen gibt, die im Grunde Hilfe brauchen und sie nicht bekommen, und es andere gibt, die für die Konsequenzen ihres relativ erfolgreichen Handelns dann trotzdem letztlich nicht verantwortlich sind, wenn sie Verluste erleiden. Das ist sicherlich wichtig. In gewisser Weise sind demokratische Gesellschaften immer ein bisschen gespalten. Das gehört auch dazu. Aber man sollte auch nicht umgekehrt jetzt in eine völlige Vereinheitlichungsrhetorik verfallen.

    Spengler: Professor Möllers, das Vertrauen in die Vernunft der Marktwirtschaft ist sicher verspielt worden. Ist aber nicht auch das Vertrauen in die Politik verspielt worden?

    Möllers: Das kann man immer so oder so sehen. Ich finde ja immer, als Daumenregel dafür, wie man demokratisches politisches Handeln beurteilt, kann man immer sein eigenes Leben nehmen. Ich denke, man misstraut seiner Freiheit oder man gibt seine eigene Freiheit nicht deswegen auf, weil man sich irrt oder weil man Dinge falsch eingeschätzt hat, sondern man behält sie zumindest so lange, wie man noch den Eindruck hat, man kann irgendwie auf Irrtümer reagieren und Dinge anders machen oder davon lernen. Den Eindruck macht die Politik im Moment ja doch immer noch.

    Spengler: Was ist denn für Sie die Lehre aus der Finanzkrise jetzt für unser politisches System?

    Möllers: Für unser politisches System ist wahrscheinlich tatsächlich die Lehre, dann doch noch mal ganz konkret auf die Internationalisierung von Institutionen zu schauen. Ich denke, das sind vielleicht auch zum Teil eher technische Dinge, die wir uns jetzt mal angucken müssen.

    Spengler: Also jetzt internationale Finanzregeln zu erwirken?

    Möllers: Europäisierung der Bankenaufsicht und solche Dinge, das wird wahrscheinlich als nächstes kommen. - Für den innenpolitischen Bereich ist die Lehre natürlich in der Tat, dass ich denke, dass wir, wie Roosevelt immer so schön gesagt hat, noch mal erkennen, dass die Gesetze der Wirtschaft halt man made sind und nicht von Natur herkommen. Ich denke, das wird auch eine echte Änderung sein. Ich glaube, wir werden schon erleben, dass wir den Umgang mit der Frage, was ein Markt ist - und wir werden Märkte immer brauchen; das ist, glaube ich, auch kein Zweifel -, von nun an anders beschreiben werden.

    Spengler: Also die Wirtschaft ist für die Menschen da und nicht umgekehrt?

    Möllers: Klar ist die Wirtschaft für die Menschen da, aber es ist auch immer die Frage, was das heißt. Ich denke, wenn wir ganz ehrlich mit uns sind, dann sehen wir auch, wir alle waren immer in Deutschland sicherlich mehrheitlich nicht besonders kapitalismuseuphorisch, aber wir alle haben uns auch etwas von Liberalisierungsmaßnahmen versprochen. Und wir haben jetzt alle erlebt, dass es damit ein Problem gibt, und wir müssen daraus gewisse Konsequenzen ziehen. Das wird auch auf Dauer natürlich trotz allem unsere Märkte angehen. Das ist sicherlich klar.

    Spengler: Wenn Banken nur noch mit Hilfe des Steuerzahlers gerettet werden können, ist es dann nicht das Recht des Steuerzahlers mitzuentscheiden, zum Beispiel über Millionengehälter oder Abfindungen auch bei Banken, die nicht direkte Hilfen erhalten, sondern die indirekt profitieren?

    Möllers: Ja. Ich denke, das kann man so sagen. Wenn der Staat Dinge reguliert, kann er sich auch in die internen Angelegenheiten der Bank einmischen. Es sind dann sozusagen nicht mehr die internen Angelegenheiten der Banken, sondern auch die des Staates. Es ist aber auch klar, dass das natürlich symbolisch ist. Damit lösen wir ein symbolisches Problem der Ungerechtigkeit, was wichtig ist, aber vielleicht doch nicht das entscheidende. Das entscheidende ist, dass die Banken sozusagen allen irgendwie Geld zur Verfügung stellen, auch nicht nur Leuten, die sehr wohlhabend sind, sondern auch Leuten, die Kleinkredite brauchen, Leuten, die in irgendeiner Weise eine Firma gründen wollen oder irgendwas anderes. Insofern würde ich denken klar, der Staat hat jetzt eine gewisse Verantwortung dafür, und das bedeutet auch, er kann solche Maßnahmen treffen, die vorher nicht durchsetzbar waren. Aber das ist erst einmal das zweitrangige.

    Spengler: Christoph Möllers, Professor für Staats- und Verfassungsrecht in Göttingen. Danke für das Gespräch, Herr Möllers.

    Möllers: Ich danke. Auf Wiederhören!