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"Wir werden im Moment noch etwas verschont"

Der Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, Hans-Werner Sinn, sieht gegenwärtig keine gravierenden Auswirkungen der Krise am amerikanischen Finanzmarkt auf die deutsche Wirtschaft. Im Moment werde die Bundesrepublik noch verschont, auch die Banken hierzulande seien kaum betroffen, sagte Sinn. Eine Senkung des Leitzinses durch die Europäische Zentralbank halte er vorerst nicht für notwendig.

Moderation: Jürgen Liminski | 18.03.2008
    Jürgen Liminski: Die Turbulenzen an den Finanzmärkten weiten sich aus. Das Vertrauen in das Bankensystem ist erschüttert. Es gibt ernsthafte Sorgen über eine systemische Bankenkrise. In Washington greift man jetzt zu rabiateren Mitteln, die an die Weltwirtschaftskrise vor 80 Jahren erinnern. Nackte Panik sagt unser Korrespondent in Washington. Panikstimmung an den Börsen der Welt. Neue Krise, alte Angst, hektische Aktionen zur Rettung von Großbanken - so oder ähnlich lauten auch die Schlagzeilen der Zeitungen heute auf ihren ersten Seiten. Nun wissen wir seit Ludwig Erhard, Wirtschaft ist zu 50 Prozent Psychologie. Hat sich der Anteil jetzt erhöht? Wie stark sind wir von den Turbulenzen und der drohenden Rezession in Amerika betroffen? - Die Fragen gehen an Professor Hans-Werner Sinn, Präsident des Ifo-Wirtschaftsforschungsinstituts in München. Zunächst mal guten Morgen, Herr Sinn.

    Hans-Werner Sinn: Guten Morgen.

    Liminski: Herr Sinn, der frühere Chef der amerikanischen Notenbank Alan Greenspan hat die jetzige Krise als die schlimmste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg bezeichnet. Ist es auch für uns Europäer so schlimm? Ist der Einbruch des Dax gestern ein Indiz für eine größere Krise in Europa?

    Sinn: Nein, das glaube ich nicht. Wir werden im Moment noch etwas verschont. Das Phänomen ist ja zwar auf den Finanzmärkten vorhanden, aber in der realen Ökonomie eben noch nicht. Da muss man strikt trennen. Wie laufen die Ansteckungswege? Der eine ist, dass europäische Institute amerikanische Wertpapiere gekauft haben aus dem Bereich dieser Mortgage Backed Securities. Das sind letztlich schlecht übersetzt Pfandbriefe, Forderungen, die abgesichert sind durch Hypothekenkredite. Dass die jetzt zum Teil nicht zurückgezahlt werden, ist das Problem. Und wer als deutsche Bank da involviert ist, der muss halt abschreiben. Die Privatbanken sind aber kaum involviert. Die waren klug genug, sich da nicht zu beteiligen. Wer sich beteiligt hat, das sind die deutschen Staatsbanken: die Sachsen-LB, die West-LB und die Bayern-LB. Die haben riesige Abschreibungsverluste hinzunehmen, aber dafür muss jetzt der Steuerzahler aufkommen. Das bedeutet nicht, dass da eine Systemkrise in Deutschland droht. Diese Krise droht aber in Amerika, denn die amerikanischen Banken hängen natürlich voll drin. Da gibt es mehrere Opfer. Die müssen gestützt werden, werden gestützt - das haben wir jetzt gerade gestern gesehen -, um einen Kollaps größeren Ausmaßes zu verhindern.

    Liminski: Wie sicher können wir uns denn wähnen vor einer Rezession in Amerika, wenn die dort einbricht?

    Sinn: Gar nicht sicher. Ich halte das mittlerweile für wahrscheinlich, denn die Hauspreise sind doch seit eineinhalb Jahren sehr stark gefallen. Der Verkauf neu gebauter Immobilien ist um mehr als die Hälfte gefallen. Das sind dramatische Entwicklungen. Das bedeutet, wenn die Leute das Gefühl haben, dass sie ärmer werden, weil ihre Häuser nicht so viel wert sind, ferner eben auch Kredite nicht verlängern können, dass sie dann anfangen müssen, den Gürtel enger zu schnallen. Die amerikanischen Konsumenten werden also weniger konsumieren und das hat einen stark negativen Effekt auf die amerikanische Konjunktur bis hin zur Möglichkeit der Rezession. Wie gesagt: Man weiß das natürlich noch nicht. Eine Rezession ist ein Ereignis, wo technisch hintereinander in drei Quartalen die Wachstumsrate negativ ist. Das muss man in der Tat für dieses Jahr befürchten. Dann kommt natürlich von daher der Einfluss auf die Weltkonjunktur. Amerika hat einen Anteil von 28 Prozent am Weltsozialprodukt und es gilt noch immer der Satz "wenn die Amerikaner husten, kriegt die Welt einen Schnupfen". Dazu gehören auch wir in Deutschland.

    Liminski: Heute wird die FED den Zinssatz erneut senken. Die EZB bleibt bisher standhaft. Soll auch sie den Zins senken, um den Binnenkonsum in Europa anzukurbeln?

    Sinn: Nein. Das kann sie mit einer Zinssenkung nicht erreichen. Mit einer Zinssenkung kann sie aber die Investitionen stimulieren, denn die Zinsen sind ja der Preis für die aufgenommenen Kredite der Investoren. Das könnte sie tun, aber ich würde das jetzt noch nicht machen. Ich würde mein Pulver nicht frühzeitig verschießen, sondern erst mal warten, wie die Ansteckungswege dann laufen. Wenn die europäische Konjunktur tatsächlich einbrechen würde, dann wäre es Zeit. Aber im Moment sehe ich das noch nicht wirklich. Der Aufschwung der Weltwirtschaft vor fünf Jahren begann in Amerika und pflanzte sich dann so allmählich fort. Mit eineinhalb Jahren Verzögerung sind auch wir angesteckt worden. Ich glaube beim Abschwung wird das so ähnlich sein. Es ist noch nicht so weit!

    Liminski: Kann denn eine Notenbank überhaupt die Dinge regeln? Hier geht es offenbar um Vertrauen und das ist wohl im Eimer.

    Sinn: Das stimmt. Manches kann sie nicht regeln. Sie kann billiges Geld zur Verfügung stellen und damit verhindern, dass die Banken sich nicht mehr refinanzieren können. Aber das Hauptproblem ist ja: durch diese Abschreibungen entsteht ja ein Eigenkapitalverlust. Den kann die Notenbank - allerdings gestern Amerika war eine Ausnahme - in der Regel nicht wirklich kompensieren, jedenfalls nicht durch niedrigere Zinsen. Wenn Banken weniger Eigenkapital haben, dann müssen sie auch ihre Ausleihungen an Krediten an die Privatwirtschaft reduzieren, denn das muss ja beides in einer festen Proportion sein. Damit geht das dann über in einen negativen Effekt auf die privaten Investitionen.

    Liminski: Manchmal ist der klassische Reflex in solchen Krisen die Abschottung - zum Beispiel in Frankreich. Dort denken Ökonomen in diese Richtung, zumal der Handel vor allem im Euro-Raum abgewickelt wird. Ist das realistisch in einer globalisierten Welt?

    Sinn: Nein. Wir sind total verwoben in dieser Welt durch Außenhandelsverflechtungen. Europa verkauft, selbst wenn man die internen Ströme rausrechnet, netto ein Viertel seiner Exporte ins Ausland. Wir haben eine Exportquote von einem Viertel. Vom Sozialprodukt wird ein Viertel ins Ausland verkauft. Damit sind wir extrem stark abhängig von dem, was im Rest der Welt passiert. Das kann man ja gar nicht zurückdrehen. Dann müssten wir letztlich auf die Arbeitsteilung verzichten und das würde erhebliche Wohlstandseinbußen bedeuten.

    Liminski: Ist ein Ende der Immobilienkrise, die ja zu den Turbulenzen an den Finanzmärkten und Börsen geführt hat, überhaupt abzusehen?

    Sinn: Nein! Nein, leider nicht. Die Hauspreise sind nach wie vor im freien Fall begriffen. Am aktuellen Rand fallen sie immer weiter und die Krise ist noch nicht im Griff.

    Liminski: Kein Ende der Finanzkrise in Sicht. Das war Professor Hans-Werner Sinn, Präsident des Ifo Wirtschaftsforschungsinstituts in München. Besten Dank für das Gespräch, Herr Sinn!