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"Wir werden sofort mit der Beweisaufnahme fortfahren"

Jerzy Montag, Obmann für Bündnis 90/Die Grünen im Visa-Untersuchungsausschuss, bedauert die Entscheidung des Bundesverfassungsgericht, den Ausschuss trotz möglicher Neuwahlen weiter ermitteln zu lassen. Montag kritisiert, man müsse nun als einzige in der Bundesrepublik davon ausgehen, dass es nicht zu Neuwahlen komme. Selbstverständlich werde der Ausschuss die Entscheidung aber befolgen.

Moderation: Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gestern war vielfach die Ansicht zu hören, das war eine Ohrfeige für Rot-Grün. Karlsruhe hat also entschieden, dass der Visa-Untersuchungsausschuss des Bundestages weiter seiner Arbeit nachgehen soll. Zur Freude natürlich der Opposition, denn die rot-grüne Ausschussmehrheit hatte beschlossen, die Zeugenvernehmung solle beendet werden. Andernfalls würde es nicht mehr zu schaffen sein, vor den Neuwahlen dem Plenum des Bundestages einen Abschlussbericht vorzulegen. - Am Telefon begrüße ich nun Jerzy Montag. Er ist der Obmann von Bündnis 90/Die Grünen im Visa-Untersuchungsausschuss. Guten Morgen, Herr Montag.

    Jerzy Montag: Einen schönen guten Morgen!

    Meurer: Hätten Sie sich diese Entscheidung des Verfassungsgerichts vielleicht besser ersparen sollen?

    Montag: Wenn wir sie vorher hätten wissen können, dann hätten wir sie schon ersparen müssen. Es ist nicht erfreulich und Sie sehen mich auch nicht erfreut, eine solche Entscheidung eines Gerichts zu erhalten, aber sie ist jetzt so gefallen und wir werden sie selbstverständlich befolgen.

    Meurer: War es eine Ohrfeige, weil Rot-Grün versucht hat, die Zeugenvernehmung abzubrechen?

    Montag: Ich bin, bevor ich Bundestagsabgeordneter geworden bin, 23 Jahre Rechtsanwalt gewesen und habe viele, viele Jahre Tausende Fälle vor Gericht vertreten. Nicht immer, wenn ich verloren habe, bin ich geohrfeigt worden. Nein, eine Ohrfeige war es nicht, aber wir haben die Sache verloren. Wir sind mit unserer Argumentation, die ich in der Sache immer noch für richtig halte, nicht durchgedrungen. Das Bundesverfassungsgericht hat seine Entscheidung bisher nicht begründet und ich muss offen gestehen, ich verstehe sie nicht, aber ich werde sie trotzdem befolgen.

    Meurer: Was soll denn in der Sache richtig gewesen sein?

    Montag: Wir haben entgegen Ihrer Anmoderation die Beweisaufnahme nicht beendet, sondern wir haben die Zeugenvernehmung unterbrochen um abzuwarten, ob wir tatsächlich, wie wir alle annehmen, mit Neuwahlen zu rechnen haben oder nicht. Das Sekretariat hat uns mitgeteilt, dass der Ausschuss ansonsten einen Bericht für den deutschen Bundestag und damit für die Öffentlichkeit nicht schreiben kann.

    Meurer: Aber faktisch wäre das ja darauf hinausgelaufen, dass der Innenminister nicht mehr auf dem Zeugenstuhl Platz genommen hätte?

    Montag: Wenn tatsächlich es zu vorgezogenen Neuwahlen kommt, dann hätte das dies bedeutet. Das Bundesverfassungsgericht hat uns gestern verpflichtet, bis zum 22. Juli so zu tun, als gäbe es in Deutschland keine Debatte über Neuwahlen, so zu tun, als würde sich niemand auf die Neuwahlen vorbereiten. Ich glaube wir sind die einzigen heute in der Bundesrepublik, die davon auszugehen haben, dass es nicht zu Neuwahlen kommt. Das ist eine Entscheidung des Gerichts, die wie gesagt noch nicht begründet ist, ich sie nicht verstehen kann. Wir werden sie aber trotzdem nach Wort und Sinn befolgen und werden sofort mit der Beweisaufnahme weiter fortfahren.

    Meurer: Da Sie Rechtsanwalt sind, Herr Montag, warum haben Sie nicht abgewartet, bis der Bundestag wirklich aufgelöst ist und alles sozusagen Recht und Ordnung hat?

    Montag: Ich kann nur wiederholen. Wir hatten aus dem Sekretariat des Ausschusses und aus Erfahrungen vorangegangener Ausschüsse die eindeutigen Informationen, dass der Vorlauf für die Erstellung des Schlussberichtes - und das ist die Arbeit des Untersuchungsausschusses - dann nicht mehr möglich gewesen wäre. Deswegen haben wir in höchster Not die Reißleine gezogen und gesagt, wir müssen uns jetzt so verhalten, als ob wir kaum noch Zeit hätten. Und sollten wir tatsächlich Zeit haben - das bedeutet: sollte es nicht zu Neuwahlen kommen -, dann hätten wir nach dem 22. Juli sofort mit der Beweisaufnahme weiter gemacht. Jetzt hat es das Bundesverfassungsgericht gerade umgekehrt haben wollen. Ich muss allerdings sagen: Es steht in den Sternen, ob wir dann wirklich, sollte es zu Neuwahlen kommen, den Abschlussbericht werden fertigen können.

    Meurer: Ein Abschlussbericht, wäre das wirklich inhaltlich vertretbar gewesen ohne die Aussage des Bundesinnenministers Otto Schily?

    Montag: Höchstwahrscheinlich hätte sich die Frage vielleicht gar nicht so gestellt, aber wenn Sie sie jetzt schon so alternativ stellen, natürlich wäre es vertretbar gewesen. Wir hätten den Abschlussbericht auf der Ebene derjenigen Zeugen, die wir schon gehört haben, schreiben können und müssen. Sie dürfen eins nicht übersehen: Beim Untersuchungsausschuss des deutschen Bundestages spielen Zeugen nicht die wichtigste Rolle. Wir haben 1500 Ordner Akten. Die ganze Situation des Innenministeriums ist dem Ausschuss bereits über die Akten weitgehend erschlossen. Die Vorfälle, die es in der Innenpolitik zu diskutieren und zu bewerten gibt, hätten wir in den Grundzügen auch ohne die Aussagen im Untersuchungsbericht unterbringen können.

    Meurer: War das vor allem der Wunsch der SPD gewesen und Sie haben dann nachgegeben?

    Montag: Es war eine gemeinsame Überlegung, eine gemeinsame Abwägung zwischen Risiken für beide Seiten und eine gemeinsame Entscheidung.

    Meurer: Wie geht es denn jetzt mit dem Ausschuss weiter, Herr Montag? Das Verfahren scheint ja so zu sein, dass der Ausschuss fertig sein muss, sobald Bundespräsident Köhler den Bundestag aufgelöst hat, was für spätestens 21. Juli erwartet wird. Ist das auch dann der Schlusstermin für den Ausschuss?

    Montag: So lautet die achtzeilige dürre Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht. Wir müssen bis zu diesem Zeitpunkt nicht fertig sein, sondern wir müssen bis zu diesem Zeitpunkt so tun, als gäbe es keine vorgezogenen Neuwahlen. Wir müssen davon ausgehen, und zwar bis zum 22. Juli, dass Neuwahlen erst im Herbst 2006 stattfinden, dass wir eine Sommerpause haben, dass wir nach der Sommerpause weiter arbeiten können und erst am 23. Juli dürfen wir so tun, als ob wir wüssten, dass die Legislaturperiode verkürzt ist. Wir werden uns dieser schwierigen Aufgabe stellen.

    Meurer: Welche Zeugen sollen jetzt noch aussagen?

    Montag: Das Bundesverfassungsgericht hat uns verpflichtet, alle die Zeugen, die jetzt schon auf dem Tableau stehen, auf die wir uns verständigt haben, die geladen waren - und das sind alle Zeugen bis zum 8. Juli -, jetzt zu hören.

    Meurer: Und das wird auch geschehen?

    Montag: Wir werden die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach Punkt und Komma, nach Sinn und Wort durchführen.