Spengler: Roland Koch hat heute die Unionsspitze eingeladen, um die Oppositionsarbeit in Bundesrat und Bundestag zu koordinieren. Die Union sucht eine Strategie, die sie gegenüber der Bundesregierung verfolgen kann. Für welche Strategie plädieren Sie, Herr Merz, Konfrontation oder Kooperation?
Merz: Herr Spengler, es wird beides stattfinden. Das Kooperationsangebot steht, aber die Bundesregierung muss jetzt zunächst einmal ihre Konzepte vorlegen. Sie haben es selber gerade gesagt: 4,62 Millionen Arbeitslose. Das sind fast 1,2 Millionen mehr, als der Bundeskanzler sich selbst messen wollte. Wir haben also in der Tat den dringenden Wunsch, dass die Bundesregierung jetzt endlich mal auf den Tisch legt, was sie für einen Masterplan für dieses Land hat, wie die Konzepte der Bundesregierung aussehen, und die Bundesregierung muss einen grundlegenden Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik vollziehen.
Spengler: Es wird in den Zeitungen berichtet, Herr Merz, dass Sie die Bundesregierung dazu auffordern wollten, innerhalb von 14 Tagen ein solches Gesamtkonzept auf den Tisch zu legen, und auch den Kanzler zwingen wollten, die Vertrauensfrage damit zu verbinden. Warum sind Ihnen die Parteifreunde im Präsidium bei diesem Vorschlag nicht gefolgt?
Merz: Ich habe gestern gesagt - und zwar öffentlich, und dazu stehe ich -, wir erwarten, wir müssen von der rot-grünen Bundesregierung erwarten, dass sie im Monat Februar 2003, also in diesem Monat, jetzt ihr Konzept auf den Tisch legt. Wir haben eine desaströse Lage auf dem Arbeitsmarkt. Wir haben eine tiefe strukturelle Wachstums- und Beschäftigungskrise unserer Volkswirtschaft. Da erwarten wir von der Bundesregierung und ich persönlich erwarte vom Bundeswirtschafts- und -arbeitsminister Wolfgang Clement, dass er jetzt in einem umfassenden Sinne ein Konzept auf den Tisch legt und sagt, das ist unsere politische Agenda für Deutschland, das ist der Plan, der Masterplan zur Gesundung der Volkswirtschaft in unserem Land. Wir werden das eine oder andere auch von unserer Seite aus dazu beitragen. Sie wissen, Herr Spengler, dass ich in den letzten Tagen auch sehr deutlich gesagt habe, was ich vom Einfluss der großen Verbände und dem Einfluss der großen Gewerkschaften halte. Hier muss die Bundesregierung Farbe bekennen. Das sollte sie schnell tun, denn wir haben keine Zeit mehr. Es läuft uns die Zeit davon.
Spengler: Richtig! Müsste denn nicht auch die Union Farbe bekennen, weil es bleibt ja auch auf ihrer Seite bislang nur bei Einzeläußerungen? Müsste also nicht auch ein klares Konzept bei der Union auf den Tisch?
Merz: Ja. Ich finde wir haben auch die ersten richtigen Schritte getan. Wir haben ein sehr umfassendes Regierungsprogramm im letzten Jahr gehabt. Wir haben ganz konkrete Vorschläge im Regierungsprogramm für den Arbeitsmarkt gemacht. Das kann man, ich finde das muss man auch an der einen oder andere Stelle noch konkretisieren. Die Lage ist schlechter geworden seit der Bundestagswahl im letzten Jahr und seit dem Jahreswechsel. Man muss das eine oder andere konkretisieren. Die Grundbotschaft aber steht und stimmt. Sie lautet erstens: Es muss in diesem Land der Grundsatz wieder gelten, dass derjenige, der arbeitet, mehr Geld verdient als derjenige, der nicht arbeitet und soziale Leistungen bezieht. Das ist eine nicht ganz leichte politische Kehrtwende, insbesondere in der Sozialpolitik, aber dazu stehen wir. Zweitens: Wir wollen betriebliche Bündnisse für Arbeit. Das heißt Betriebe müssen, wenn Belegschaft, wenn Betriebsrat und Geschäftsführung es übereinstimmend wollen, von den starren Regeln unserer Tarifverträge, der Flächentarifverträge abweichen dürfen. Das muss man gesetzlich regeln. Dazu werden wir auch noch einmal konkretere Vorschläge machen, wie man das lösen kann. Im Ziel sind wir uns seit langer Zeit einig. Das ist das Angebot der Union. Die Regierung ist am Zug. Im übrigen, Herr Spengler, das will ich auch noch sagen. Die Arbeitsteilung in einer Demokratie ist die: Die Regierung muss regieren. Wenn wir ein Problem haben, muss die Regierung sagen, wie sie das Problem lösen will und nicht hilflos auf die Opposition blicken und sagen, wie hättet ihr es denn gern. Wenn die Regierung nicht mehr weiter weiß, dann muss sie die Schlüssel zum Kanzleramt abgeben und muss sagen, wir sind am Ende. Dann müssen es andere übernehmen. Wir trauen es uns zu!
Spengler: Betriebliche Bündnisse haben Sie gerade erwähnt. Ist aber nicht genau das auch ein Problem innerhalb der Union, wenn ich etwa an die Äußerung von Horst Seehofer denke? Ist es nicht auch ein Problem für Sie, dass Sie auch zwischen liberalen und sozialen Positionen innerhalb der Union hin- und hergerissen sind?
Merz: Herr Spengler, ich finde es zeichnet eine große Volkspartei wie die CDU und die CSU aus, dass wir auch in Details unterschiedliche Auffassungen haben. Aber wir sind uns im Ziel einig, dass der Arbeitsmarkt geöffnet werden muss, dass man auch wieder das Lohnabstandsgebot einhalten muss, dass wir dafür sorgen müssen, dass Wachstum und Beschäftigung wieder zu Stande kommen können in Deutschland. Dann werden wir über das eine oder andere Detail zu sprechen haben. Ich werde das auch vortragen, dass aus meiner Sicht die Lage jetzt keine Detaildiskussion mehr verträgt, sondern dass man einfach nach vorne blicken muss und sagen muss, das sind unsere Lösungsangebote. Wir sind natürlich auch bereit, mit der Regierung über verschiedene Details zu reden, aber die Richtung muss stimmen. Bei uns stimmt sie; bei der Bundesregierung stimmt sie nicht. Deswegen muss der Bundeskanzler und muss der Bundeswirtschaftsminister dieses Schiff rot/grün herumheben und sie müssen dafür sorgen, dass dieses Schiff wieder in die richtige Richtung fährt. Dann können wir uns auch über Geschwindigkeiten und über Details am Kurs unterhalten, aber die Grundsatzfragen müssen geklärt werden.
Spengler: Gehört zu dieser richtigen Richtung die Rücknahme des sogenannten Steuervergünstigungsabbaugesetzes?
Merz: Das ist in der Tat eine Empfehlung an die rot-grüne Bundesregierung. Dieses Gesetz hat keine Chance, verabschiedet zu werden. Wir werden dieses Gesetz ablehnen, so wie es dort steht. Das ist eine vollkommen übereinstimmende Auffassung in der Union, im Bundestag wie in den Ländern. Die Bundesregierung wäre gut beraten, sich und uns Zeit zu sparen mit der weiteren Beratung dieses Gesetzes.
Spengler: Dann würden vier Milliarden Euro im Bundeshaushalt fehlen. Wie soll diese Lücke geschlossen werden?
Merz: Herr Spengler, das ist eine Rechnung, die ich absolut nicht akzeptiere. Der Bundesfinanzminister stellt uns seit Wochen vor die Scheinalternative: entweder höhere Verschuldung oder höhere Steuern. Das Land steht am Rande einer Rezession. In einer solchen Lage verbietet sich das Drehen an der Steuerschraube. Es gibt eine klare Alternative zu dem, was die Bundesregierung hier vor sich hinwurschtelt. Wir wollen Wachstum und Beschäftigung und für Wachstum und Beschäftigung muss der Arbeitsmarkt geöffnet werden. Dann gibt es auch höhere Steuereinnahmen und dann lösen sich eine ganze Reihe von weiteren Problemen, nicht nur im Bundeshaushalt, nicht nur in den Länderhaushalten, sondern auch in den sozialen Sicherungssystemen Schritt für Schritt. Es werden weitere Reformen folgen müssen. Wir stehen für Reformen und nicht für eine rein fiskalische Betrachtung der Probleme, die wir heute haben.
Spengler: Das war Friedrich Merz, der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion. Wir haben das Gespräch vor der Sendung aufgezeichnet.
Link: Interview als RealAudio