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"Wir wissen nicht, was in Libyen jetzt demnächst stattfindet"

Es sei völlig offen, welche politischen Ziele die Rebellen eigentlich verfolgen, sagt Michael Hörster, Vorsitzender der deutsch-arabischen Parlamentariergruppe im Bundestag. Deutschland müsse daran interessiert sein, dass möglichst schnell "demokratische Strukturen implantiert werden können".

Michael Hörster im Gespräch mit Dirk Müller | 22.08.2011
    Dirk Müller: Die Korrespondenten vor Ort lassen kaum noch einen Zweifel zu. Die Rebellen in Libyen haben offenbar die Hauptstadt Tripolis erobert. Der militärische Konflikt ist wohl entschieden, zugunsten der Aufständischen und zugunsten der NATO-Truppen. Wo sich genau Muammar al-Gaddafi aufhält, ist nach wie vor unklar. Zwei seiner Söhne sind laut Rebellen festgenommen worden.
    Bei uns am Telefon begrüße ich nun den CDU-Außenpolitiker Joachim Hörster, Vorsitzender der deutsch-arabischen Parlamentariergruppe im Bundestag, ein ausgewiesener Kenner des Norden Afrikas. Guten Morgen!

    Joachim Hörster: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Herr Hörster, ist das ein Sieg der Revolution?

    Hörster: Also nach alledem, was man so an Nachrichten erhält, scheint es so zu sein, dass die Aufständischen gewonnen haben und dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis alle Relikte des früheren Gaddafi-Regimes außer Macht gesetzt worden sind. Allerdings genaue und belegbare Informationen, wie denn nun der Stand der Dinge genau ist, haben wir auch alle noch nicht.

    Müller: Herr Hörster, fünf Monate hat dieser Einsatz gegen Gaddafis Truppen gedauert. Die Rebellen haben Seite an Seite mit der NATO gekämpft. Wie groß sind die Wunden im Land?

    Hörster: Also ich glaube, dass die Wunden ziemlich groß sind und dass wir im Moment noch gar nicht übersehen können, was die Folgen des Erfolgs über Gaddafi sein werden. Es ist völlig offen, welche politischen Ziele eigentlich die Rebellen verfolgen, und es gab ein einziges gemeinsames Ziel zwischen den Rebellen und der NATO, und das war, Gaddafi zu beseitigen, dieses Regime zu beenden, das ja schrecklich genug war und das für eine Reihe von Terrorattentaten in der Vergangenheit verantwortlich zeichnete. Das war wichtig, Gaddafi zu beseitigen, aber es ist weitestgehend unklar, was jetzt folgt.

    Müller: Für Sie ist das also noch keine ausgemachte Sache, dass nun nach dem vermeintlichen Sieg der Rebellen die Zeichen auf Demokratie stehen?

    Hörster: Ich hoffe das und ich nehme an, dass ich da gleich liege mit allen politischen Kräften in Deutschland, aber darüber hinaus in der NATO auch. Aber sicher verbürgen dafür, dass jetzt Demokratie folgt und als Ziel angestrebt wird, kann man sich nicht.

    Müller: War das richtig, frühzeitig den Nationalen Übergangsrat, also den Rat der Rebellen, anzuerkennen?

    Hörster: Also das ist ja nun Schnee von gestern, verschüttete Milch, die Sache ist ja gelaufen und deswegen kann man hinter den Status quo nicht zurück. Aber ich wäre da ein bisschen vorsichtiger gewesen mit dem Nationalen Übergangsrat, weil man muss sich ja die Leute mal angucken, die da drinsitzen und was sie früher gemacht haben, auch schon während der Gaddafi-Zeit. Da sind Leute dabei, mit denen wir, glaube ich, eigentlich nichts zu tun haben wollen.

    Müller: Also ist das noch keine ausgemachte Sache? Sie sind da eher skeptisch, wenn ich Sie richtig verstanden habe?

    Hörster: Ich bin höchst unsicher, was jetzt kommt, weil auch der nationale Übergangsrat ja bisher nicht verkündet hat, welche Strukturen er haben möchte, was er anstrebt. Wir wissen nicht, was in Libyen jetzt demnächst stattfindet. Werden die Anhänger Gaddafis massakriert, oder werden sie einigermaßen menschenrechtswürdig behandelt? Was da passiert, kann keiner übersehen, kann keiner beurteilen. Und deswegen, glaube ich, ist es wichtig, dass sehr schnell mit dem Übergangsrat jetzt Kontakt aufgenommen wird, auch wenn ich ihm skeptisch gegenüberstehe, weil er die einzige Größe ist, die gegenwärtig ansprechbar ist.

    Müller: Nun hat die NATO sich ja nun aktiv militärisch an diesem Konflikt beteiligt, diesen Konflikt auch mit entschieden. Wird die NATO auch jetzt künftig den entscheidenden politischen Einfluss haben?

    Hörster: Na ja, der NATO-Generalsekretär hat ja heute Nacht eine Mitteilung verlautbaren lassen, die nicht danach aussieht, dass die NATO sich in die Führungsrolle beim Wiederaufbau in Libyen, bei dem Wiederaufbau neuer Strukturen, staatlicher und politischer Strukturen bemüht. Also ich glaube, da werden noch einige Konsultationen zwischen den NATO-Staaten notwendig sein, um dann zu sehen, welche gemeinsame Position man einnehmen kann.

    Müller: Wünschen Sie sich eine aktive Rolle der NATO, oder beispielsweise Washingtons?

    Hörster: Also ich würde das ganz einfach einmal so betrachten: Aus der Sicht Deutschlands und aus der Sicht Europas ist es notwendig, dass sich die Verhältnisse im Norden Afrikas stabilisieren, und es ist notwendig, dass Libyen eine staatliche Einheit bleibt und keine Sezessionsvorstellungen dort vorhanden sind, die dann möglicherweise auf Nachbarländer übergreifen könnten. Also wir sind daran interessiert, dass alsbald der Wiederaufbau beginnt, dass demokratische Strukturen implantiert werden können, und wir sind daran interessiert, dass so schnell wie möglich Wahlen stattfinden, damit eine Regierung gewählt werden kann, die sich wirklich darauf berufen kann, vom Volk gewünscht zu sein.

    Müller: Reden wir, Herr Hörster, über den Aspekt, den Sie gerade eingebracht haben: Sezession, also mögliche Spaltung, Aufteilung des Landes. Wir haben, viele von uns haben in den vergangenen Monaten gelernt, dass Libyen vor allem ein Sammelsurium von völlig unterschiedlichen Stämmen mit völlig unterschiedlichen Interessen ist. Wird das jetzt zum Menetekel?

    Hörster: Ich hoffe nicht. Aber Sie haben das zurecht erwähnt, das ist in der ganzen Diskussion häufig an den Rand geschoben worden. Der Krieg, der in Libyen stattgefunden hat, dieser Bürgerkrieg, dieser Konflikt, ist ja auch ein Stammeskonflikt gewesen, und wenn man einmal genau betrachtet: Es hat ziemlich lange gedauert, bis die Rebellen, die Aufständischen gegen Gaddafi für sich in Anspruch genommen haben, auch so etwas wie Demokratie einführen zu wollen. Das war über lange Zeit nicht der Fall und deswegen ist dort ein Risiko vorhanden, dem wir unsere besondere Aufmerksamkeit widmen sollten.

    Müller: Wir haben das eben in unserem Korrespondentenbericht aus Berlin gehört, Herr Hörster. Bundesverteidigungsminister de Maizière hat nun deutsche Soldaten wieder ins Spiel gebracht. Ist das ein bisschen früh?

    Hörster: Na ja, also ich meine, Deutschland ist ein wichtiges Land auch innerhalb der NATO, und wenn die NATO sich zu gemeinsamem Einschreiten, zu gemeinsamen Maßnahmen verabredet, dann bin ich der Auffassung, dass wir uns da nicht außen vor lassen dürfen von vornherein, sondern dass wir schauen müssen, was ist das Ziel, was soll angestrebt werden mit welchen Mitteln, und dass wir dann entscheiden, inwieweit wir uns daran beteiligen. Jetzt zu sagen, wir nehmen teil oder wir nehmen nicht teil, ist viel zu früh.

    Müller: Inwieweit könnte das problematisch sein, dass die Deutschen sich bislang zurückgehalten haben, sich enthalten haben im Weltsicherheitsrat, bei der Militäraktion?

    Hörster: Also da gibt es ja eine gespaltene Wahrnehmung. Das eine ist: Die Deutschen haben den Rücktritt von Gaddafi schon sehr früh gefordert und sind sehr früh zu Distanz auf Gaddafi gegangen. Sie haben aber auch gesagt, dass sie sich nicht daran beteiligen wollen, das Gaddafi-Regime militärisch zu bekämpfen, weil das, was als Maßnahme vorgesehen war, die Einhaltung einer Flugverbotszone, ja nicht zielführend war, wie sich ja auch gezeigt hat, denn es ist ja nicht die Flugverbotszone von der NATO eingehalten worden, sondern die NATO hat aktiv das Gaddafi-Regime militärisch bekämpft. Das ist etwas anderes.

    Müller: Aber das Ergebnis passt Ihnen ja jetzt?

    Hörster: Ja selbstverständlich! Ich kenne niemanden, der der Auffassung war, man hätte Gaddafi im Amt halten müssen, ganz im Gegenteil. Je schneller der verschwindet aus Libyen, um so besser ist das für das Land.

    Müller: Aber mit Rücktrittsforderungen hätte man ihn nicht zum Rücktritt gebracht?

    Hörster: Mit Sicherheit nicht.

    Müller: Hat man aber getan!

    Hörster: Ja! Aber ich meine, wir legen ja Wert darauf, dass unsere erste Maßnahme nicht die ist, nach Waffen zu greifen, sondern dass man versucht, im Wege der Verhandlungen, im Wege von Maßnahmen, die ihm unangenehm sind, die das System wirtschaftlich schädigen, dann doch irgendwie ein Nachgeben zu erzwingen. Zumindestens ist ja auch mal versucht worden zu erreichen, ob es mit ihm einen Verhandlungsweg gäbe, aber das gab es ja auch nicht.

    Müller: Also war die deutsche Zurückhaltung richtig?

    Hörster: Die Deutschen haben sich militärisch nicht beteiligt. Das halte ich für richtig.

    Müller: Nach wie vor?

    Hörster: Nach wie vor.

    Müller: Das heißt, die anderen machen die Arbeit, die Drecksarbeit?

    Hörster: Nein, das würde ich so nicht sagen, sondern es wäre nach meinem Dafürhalten eine völlig andere Situation gewesen, wenn innerhalb der NATO Franzosen, Engländer, Amerikaner und andere ein Ziel definiert hätten, das erreicht werden soll, und man dann darüber gesprochen hätte, mit welchen Mitteln man es am besten erreichen kann. So haben wir aber erlebt, dass Franzosen und Engländer vor allem angestrebt haben, militärisch vorzugehen, ohne das abzusprechen. Das gehört nämlich auch noch zur Wahrheit dazu. Und dann waren die Italiener mal dabei, dann waren sie nicht dabei, dann waren die Amerikaner erst gegen einen solchen Eingriff, dann waren sie dafür kurzfristig. Es war eine ziemlich unklare Situation und man kann nicht sagen, dass hier ein geordnetes Verfahren innerhalb der NATO stattgefunden hat, was die Abstimmung unter den Bündnispartnern anbetrifft.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der CDU-Außenpolitiker Joachim Hörster, Vorsitzender der deutsch-arabischen Parlamentariergruppe. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Hörster: Ja, bitte sehr.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.