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"Wir wollen ein solidarisches System behalten"

IG-Metall-Chef Jürgen Peters hat die Eckpunkte der großen Koalition zur geplanten Gesundheitsreform begrüßt. Richtig sei, dass jeder Bürger krankenversichert sein muss. Er warnte zugleich, es müsse bei der Umsetzung der Eckpunkte unbedingt bei der paritätischen Finanzierung des Gesundheitssystems zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern bleiben. Ansonsten würden sich die Arbeitgeber nicht mehr um Kosteneffizienz bemühen müssen.

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann |
    Dirk-Oliver Heckmann: Auch wenn für viele die Diskussion um die Gesundheitspolitik ein Brief mit sieben Siegeln sein mag, es handelt sich um eines der entscheidenden Themen, denn hier steht nicht weniger als die Zukunftsfähigkeit unseres Gesundheitswesens auf dem Spiel. Trotz aller bisheriger Reformen: die Krankenkassen schreiben wieder tiefrote Zahlen und die demographische Entwicklung wirkt wie eine Zeitbombe. Die Union forderte deshalb die Kopfpauschale, die SPD die Bürgerversicherung. Die Aufgabe der großen Koalition ist es nun, aus den völlig entgegenstehenden Konzepten ein gemeinsames zu entwickeln. Bis zur parlamentarischen Sommerpause Ende der Woche sollte es stehen, im Groben zumindest. Gestern Abend dann der Beginn der Marathonsitzung im Kanzleramt. Bei uns am Telefon ist jetzt Jürgen Peters, der Vorsitzende der IG Metall. Ich grüße Sie!

    Jürgen Peters: Schönen guten Morgen!

    Heckmann: Herr Peters, Sie haben schon im Vorfeld davon gesprochen, mit den Plänen zur Gesundheitsreform würde dem Solidarprinzip der Todesstoß versetzt. Wenn Sie sich jetzt die Ergebnisse anschauen, bleiben Sie dabei?

    Peters: Wenn es dabei bleibt, dass das paritätische Beitragsaufkommen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern nicht berührt ist, dann sehe ich, dass das Prinzip mindestens an der Stelle gehalten wurde. Wenn allerdings es nachher so sein wird, dass die Arbeitgeberbeiträge eingefroren und die Arbeitnehmer die eventuell weiteren zusätzlichen Belastungen alleine tragen, dann ist das System schon gestört. Das ist dann das Aus auch für die paritätische Finanzierung. Wir wollen ja, dass die Arbeitgeber in diesem System bleiben und in der gleichen Belastungsstufe auch sind wie die Arbeitnehmer, damit sie sich bei eventuellen Kostenexplosionen auch um eine Kostendämpfung mitbemühen, wie wir das auch machen müssen.

    Heckmann: Wie würden Sie denn die Verhandlungsführung der SPD unterm Strich beurteilen?

    Peters: Ich kenne diese Eckpunkte auch nur, wie Sie sie jetzt mitgeteilt haben. Wenn es so ist, dass im Augenblick der steuerfinanzierte Anteil noch relativ gering ist, so muss ich sagen ist das sicherlich prinzipiell richtig, was hier die SPD vorhat, eine dritte Säule der Finanzierung aufzubauen, eine steuerfinanzierte Säule. Das ist prinzipiell richtig, weil auch über diese Steuer so etwas wie ein Ausgleich im System gemacht werden kann. Sie müssen ja wissen: Wir wollen ein solidarisches System behalten, wo der Besserverdienende für den nicht so gut Verdienenden eintritt, wo der Gesunde für den Kranken geradesteht. Diese Prinzipien müssen Leitmotiv sein für jede Reform. Das bedeutet, ich muss hier auch dem Besserverdienenden zumuten, dass er mehr bezahlt. Da haben wir beispielsweise schon ein großes Problem. Man hat sich offenbar darauf verständigt, dass die Privaten unberührt bleiben. Das heißt in diesem System haben wir die Krux, dass die Besserverdienenden sich aus der Solidargemeinschaft ausklinken können, können in eine Privatversicherung gehen, haben dort, weil sie die besseren Risiken alle aufeinander vereinen, geringere Beiträge beziehungsweise Prämien zu zahlen und die anderen, die gesetzliche Krankenversicherung, muss die Lasten tragen, die natürlich dann auch irgendwo ihre Begrenzung haben. Da ist ja das Problem: Wie wird ein solcher Lastenausgleich zwischen den Privaten und den Gesetzlichen organisiert. Dazu habe ich bisher nichts gehört und das ist einer der Grundpfeiler auch, dass hier ein Risikostrukturausgleich gemacht wird. Man kann nicht immer die Alten, die Kranken in einer Versicherung lassen und die Gesunden, Leistungsstarken, insbesondere Einkommensstarken entziehen sich der Solidarität. Das geht natürlich nicht.

    Heckmann: Wenn es dabei bleibt, Herr Peters, dass die Privatversicherten eben nicht in der Form einbezogen werden, wie das ursprünglich von der SPD zumindest gefordert worden ist, dann muss man sagen "Ziel verfehlt" oder?

    Peters: Noch einmal: Ich weiß nicht, was jetzt im Einzelnen alles besprochen wurde. Wir jedenfalls sehen die Notwendigkeit, dass man die Versicherungspflichtgrenze heraufheben muss. Das ist zum Beispiel eine Stellschraube, um das Ausbluten der gesetzlichen Krankenversicherung zu verhindern und langfristig wieder das System zu stabilisieren. Richtig ist, wenn es denn so kommt, wie ich gehört habe, dass jeder krankenversichert sein muss. Das halte ich für eine ganz wichtige Botschaft und auch eine richtige Botschaft. Das zweite, dass man nicht daran denkt, den Leistungskatalog zusammenzuschrauben oder zusammenzustreichen. Ich halte das deshalb für erforderlich, weil wir brauchen ein Gesundheitssystem, das für alle gleichermaßen Leistungen erbringt und dass die Einnahmen für diese Ausgaben unterschiedlich durch die Einkommensstärke geregelt wird. Das ist der Grundgedanke, der dahinter steht, und diesen Grundgedanken müssen wir erhalten und da werde ich mir das ansehen, was im Detail heute Nacht zwischen den Koalitionsvertretern verabredet wurde.

    Heckmann: Gehört für Sie, Herr Peters, zu den richtigen Botschaften auch die Tatsache, dass die Krankenkassenbeiträge im kommenden Jahr um rund 0,5 Prozentpunkte steigen sollen?

    Peters: Wir haben immer gesagt, es ist allemal besser, die Beiträge moderat anzuheben, um damit der Finanzsituation der Kassen Rechnung zu tragen, als jetzt das System zu zerstören und beispielsweise nur eine einseitige Kostenverlagerung weg von den Arbeitgebern hin zu den Arbeitnehmern zu machen. Wenn es bei der paritätischen Finanzierung bleibt, ist ein Grundsatz erhalten und das ist richtig und das ist verteidigungswert. Wir wissen, dass wir in jedem Falle etwas verändern müssen; verändern auf der Ausgabenseite. Jetzt will ich mich nicht dazu äußern, ob das zu voreilig war, dass es so schnell keine Einsparungen gibt. Wir sehen außerordentlich viele Einsparmöglichkeiten gerade auf der Ausgabenseite. Wir haben ein teures System – das bezweifeln wir nicht -, aber ob es in jedem Falle effizient ist, das ist das Thema. Wir brauchen eine Effizienzsteigerung im System. Das heißt die Ausgabenseite muss betrachtet werden. Es kann doch nicht angehen, dass wir Medikamente haben, die wahnsinnig viel Geld kosten und es gibt andere Präparate, die eine gleiche Wirkung haben, die werden aber nicht verschrieben. Wir haben eine Apparatemedizin, die wahnsinnig viel Geld verschlingt. Hier sich zu reduzieren, hier zu effektiveren Strukturen zu kommen, darüber nachzudenken lohnt sich doch allemal.

    Heckmann: Herr Peters, wenn es bei der Parität bleibt, haben Sie gesagt, sind Sie einigermaßen zufrieden. Gesetz den Fall es bleibt nicht bei der Parität, wie reagieren die Gewerkschaften?

    Peters: Dann muss jeder wissen: Wenn es nicht bei der Parität bleibt, blutet dieses System aus und dann werden wir erleben, dass die Arbeitgeber sich nicht mehr um die weitere Kosteneffizienz im System bemühen müssen, weil sie ja mit ihren Beiträgen konstant bleiben. Und das zweite: Wir werden erleben, dass dann auch die gesetzliche Krankenversicherung immer weiter ausblutet und letztendlich nur noch ein Torso ist und die Privaten mit den guten Risiken letztendlich auch nicht überleben können, weil das System insgesamt marode geworden ist.

    Heckmann: Herr Peters, bei der stundenlangen Diskussion und bei den Verhandlungen im Kanzleramt gab es auch eine Einigung beim Thema Unternehmenssteuerreform. Es wurde jetzt angekündigt, dass der Körperschaftssteuersatz auf unter 30 Prozent gedrückt werden soll. Ist denn die Koalition dort auf dem richtigen Weg?

    Peters: Ich halte davon überhaupt nichts. Wir haben in der Vergangenheit die Steuern für die Unternehmen gesenkt noch und nöcher, alles mit dem Bemerken, dass mit diesem Steuersenkungsprogramm die Unternehmen wieder Spielräume für Investitionen bekommen und damit Arbeitsplätze in Deutschland geschaffen werden. Ein Pfeifendeckel! Wir haben erlebt, dass rund 28 Milliarden den Unternehmen in dieser Steuerreform zugute gekommen sind. Diese 28 Milliarden haben sich überhaupt nicht in Investitionen und schon gar nicht in den Aufbau von Beschäftigung ausgewirkt. Warum sollte die jetzige angepeilte Steuerreform, die rund acht Milliarden wieder bedeutet, nämlich acht Milliarden Verlust für den Staat, diesmal anders werden? Ich habe große Bedenken, dass hier den Unternehmen erneut die Steuern gesenkt werden. Wir haben heute schon die niedrigsten Steuern im Systemvergleich zu Europa, nicht nominal, sondern real. Es kommt auf die realen Steuern an und nicht auf die nominalen. Was wir brauchen ist einen funktionsfähigen Staat, der auch Geld hat, um seine Aufgaben wahrzunehmen. Wir brauchen beispielsweise öffentlich geförderte Beschäftigungsprogramme. Wir brauchen wieder eine noch stärkere Investitionstätigkeit des Staates. Deshalb habe ich kein Verständnis dafür, dass der Staat auf Geld verzichtet und anschließend muss die Arbeitnehmerschaft das über die Pendlerpauschale und so weiter wieder bezahlen. Das macht keinen Sinn!