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"Wir wollen gegen die PKK nicht militärisch vorgehen"

Der Bürgermeister der nordirakischen Stadt Erbil, Nihad Qoja, hat nach der jüngsten Eskalation zwischen Kurden und der türkischen Armee eine diplomatische Lösung des Konflikts angemahnt. Der Irak selber sei mit der PKK im Dialog. Sollte die Türkei in den Irak einmarschieren, prophezeite Qoja "blutige Kämpfe" mit Opfern auf beiden Seiten.

Moderation: Friedbert Meurer | 23.10.2007
    Friedbert Meurer: Seit langem gilt der Norden des Irak als ruhiger Teil des Landes oder als relativ ruhiger Teil. Einen alltäglichen brutalen Terror wie in der Mitte oder im Süden gibt es nicht. Und ausgerechnet im ruhigen Nord-Irak droht es jetzt einen neuen Krieg zu geben, denn die Türkei will nicht länger hinnehmen, dass die PKK vom Boden des Irak aus türkisches Gebiet angreife. Am Wochenende hat es schwere Gefechte mit Toten auf beiden Seiten gegeben und Ankara droht mit dem Einmarsch in den Nord-Irak. Die Armee hat 100.000 Mann zusammengezogen.

    In Erbil, der Hauptstadt des kurdischen Nord-Irak, habe ich mit dem Bürgermeister der Stadt gesprochen, Nehad Qoja, und ihn zunächst gefragt, welche Folgen es seiner Ansicht nach hätte, wenn die Türkei tatsächlich im Nord-Irak einmarschiert.

    Nihad Qoja: Wir hoffen, dass die Türkei diesen Schritt nicht macht, aber wenn es dazu kommt, dann wird eine katastrophale Situation in dem Sinne entstehen, dass es sowohl für die Türkei als auch für unsere Bevölkerung natürlich blutige Kämpfe geben wird, was wir natürlich nicht hoffen, weil wir mit der Türkei in der Nachbarschaft leben. Wenn Probleme da sind, dann sollte man diese Probleme durch friedliche Gespräche, durch Dialog lösen. Die Türkei mobilisiert wie gesagt zurzeit an der Grenze. Die Menschen sind bei uns sehr, sehr unruhig, auch zurecht natürlich, weil keiner möchte, dass die Türkei sich hier in Kurdistan einmischt oder einmarschiert, weil in der Folge eine katastrophale Situation entsteht.

    Meurer: In der NATO hat man durchaus etwas Sympathie für den Bündnispartner Türkei. Warum tut die kurdische Autonomieregierung nichts, um die PKK davon abzuhalten, die Türkei anzugreifen?

    Qoja: Wir haben selber mit der PKK Mitte und Ende der 90er Jahre Probleme gehabt. Es gab blutige Auseinandersetzungen mit der PKK. Das PKK-Lager ist an der iranischen Grenze auf dem Kandil-Berg und dieser Berg ist unzugänglich. Damals hatten wir auch selber Probleme damit gehabt und es gibt keine Straßen, die zu diesem Camp führt. Deswegen wird es auch für die Türkei sehr, sehr schwierig sein. Die Türkei muss erst mal eine Reihe von Bergketten überwinden, wo es keine Straßen gibt, um sich dann vielleicht mit der PKK anzulegen oder sie zu bekämpfen. Außerdem sind diese Lager ungefähr 100 Kilometer von der türkischen Grenze entfernt. Die PKK befindet sich in einem Lager, wo normale Menschen nicht einfach ankommen können, geschweige denn Militärfahrzeuge und Panzer und solche Dinge.

    Meurer: Herr Qoja, diese Schwierigkeiten leuchten ein. Aber will denn die Autonomieregierung in Erbil überhaupt etwas gegen die PKK tun?

    Qoja: Wir sind mit der PKK im Dialog. Wir wollen mit der PKK in einem friedlichen Gespräch zu einem guten Ergebnis kommen, damit wir ein Blutvergießen vermeiden, weil diese Region seit Jahrzehnten unter Kämpfen zwischen Ländern, zwischen Völker, zwischen Gruppen leidet. Aus Erfahrung sagen wir daher, die beste Lösung ist der Dialog. Wir sind bereit, als kurdische Regionalregierung eine Vermittlerrolle zu spielen, damit die PKK und die Türkei das Problem friedlich lösen können.

    Meurer: Aber die Autonomieregierung ist folglich nicht bereit, Herr Qoja, etwas militärisch gegen die PKK zu tun, die Lager zu schließen oder die Anführer festzunehmen?

    Qoja: Das werden wir nicht machen, weil wir wollen gegen die PKK nicht militärisch vorgehen. Wir haben diese Erfahrung damals gemacht und es hat kein Ergebnis gegeben. Anschließend haben wir den Dialog mit der PKK geführt, worauf die PKK zurzeit kein Problem im irakischen Kurdistan macht. Es gibt sozusagen einen Frieden zwischen uns und der PKK. Wie gesagt die Gebiete, wo die PKK sich aufhält, liegen an der iranisch-irakischen Grenze. Weder für uns noch für das türkische Militär ist dieses Gelände zugänglich.

    Meurer: Sie würden also auch davon abraten, dass die Amerikaner härter vorgehen gegen die PKK?

    Qoja: Ich weiß nicht, ob die Amerikaner überhaupt in der Lage sind, gegen die PKK etwas zu unternehmen. Die Amerikaner haben große Probleme im Irak. Außerdem wenn die Türkei in den Irak oder Nord-Irak einmarschiert, dann bringt das natürlich die Amerikaner auch im Irak als Militärmacht in Verlegenheit, weil die Sicherheit dieses Staates liegt zurzeit unter amerikanischer Verantwortung. Diese Region, nicht nur im Irak, sondern im Nahen Osten, hat genug Probleme und wenn die Türkei diesen Schritt macht, wird die Lage natürlich eskalieren. Es kann sein, dass andere Länder sich einmischen, Iran oder Syrien, und daher raten wir ab. Weder die Türkei noch andere Nachbarländer sollen diesen Schritt machen, in den Nord-Irak einzumarschieren. Wir müssen den Dialog versuchen, wie gesagt noch einmal durch unsere Erfahrungen: Dialog ist der einzige Weg, um ein Blutvergießen zu vermeiden.

    Meurer: In Deutschland hatte man lange nichts mehr gehört von der PKK oder auch vielleicht nicht genau genug hingehört, sondern eher, dass Ankara ja die Rechte der Kurden in der Türkei stärkt. Was sind das für Leute in der PKK? Was wollen die?

    Qoja: Die PKK ist eine Organisation aus dem türkischen Kurdistan. Die kämpfen für ihre Rechte. Das hat mit uns nichts zu tun. Deswegen ist es eine große Frage, warum die Türkei in der jetzigen Situation versucht, ins irakische Kurdistan einzumarschieren. Wir glauben, das Militär in der Türkei hat seine Position durch Wahlen in der Türkei verloren. Um seine Position nochmals zu stärken versuchen die, auch der Regierung Erdogan Probleme zu schaffen, gegen die PKK vorzugehen. In das irakische Kurdistan einzumarschieren bringt die Regierung Erdogan in Verlegenheit.

    Meurer: Aber die Frage ist auch, was will ausgerechnet jetzt die PKK, wo Ankara den Kurden mehr Rechte gibt?

    Qoja: Das muss man die PKK fragen. Wir können für die PKK keine Antwort geben. Das sollte man wirklich die PKK-Leute in Europa oder woanders fragen.

    Meurer: Der Bürgermeister von Erbil Nihad Qoja im Deutschlandfunk zur sich zuspitzenden Situation im Nord-Irak.