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"Wir wussten ja gar nicht, dass ein Zelt eine Baugenehmigung braucht"

Die Hilfsorganisation Grünhelme hat zwischen Bethlehem und Hebron ein Berufsausbildungszentrum gebaut, das nun wieder abgerissen werden soll. Rupert Neudeck, Gründer der Organisation, erklärt, dort befände sich auch einer der letzten Orte, an dem Israelis und Palästinenser den Dialog pflegten.

Rupert Neudeck im Gespräch mit Christoph Heinemann | 04.06.2010
    Christoph Heinemann: Die Hilfsorganisation Grünhelme hat schlechte Nachrichten erhalten: Die Organisation hat zwischen Bethlehem und Hebron ein Berufsausbildungszentrum gebaut, und das soll nun wieder abgerissen werden. Am Telefon ist Rupert Neudeck, der Gründer der Grünhelme. Guten Morgen!

    Rupert Neudeck: Ja, guten Morgen!

    Heinemann: Herr Neudeck, wer hat das verfügt und wie begründet?

    Neudeck: Auf diesem Berg sind einige Einrichtungen, die zunächst mal nur für ein Begegnungszentrum da sind, und die israelische Militärverwaltung hatte schon neun Elemente auf diesem Berg ausgemacht, die ohne Erlaubnis gebaut worden sind. Nun muss man wissen als deutscher Zuhörer, dass man in diesem Gebiet Palästinas nicht selbst bauen kann. Die Palästinenser dürfen nicht bauen, sie dürfen nur bauen, wenn sie eine Genehmigung dafür haben und die bekommen sie in der Regel nicht. Die israelischen Siedlungen darum herum, um diesen Berg, die ich selbst gesehen habe noch vor zwei Wochen, die sind aber weiter dabei, kräftig zu bauen. Und jetzt ist eben die Verfügung gekommen, trotz eines Einspruchs des Abgeordneten des Bundestages Ruprecht Polenz an den Außenminister Westerwelle und auch an den israelischen Botschafter Yoram Ben-Zeev, dass es diese Verfügung gibt, es sind im Beisein auch der Abgeordneten Kerstin Müller, die zufällig auf dem Berg war, sind diese Behörden gekommen, im Beisein von Soldaten, und haben sogenannte nine demolishing orders, also, neun Zerstörungsbefehle gegeben. Und man muss sich als deutscher Zuhörer nun auch wieder mal klar machen, was für Gebäude das sein sollen: Das sind einmal die Zelte, auf denen die jungen Pilger und die jungen Schüler leben, wenn sie Begegnungstreffen haben, dann ist es eine Wasserzisterne, es ist ein Vordach, auf dem eine Solaranlage ist, die wir dort vor einem Jahr hingebracht haben als Grünhelme, dann ist es auch noch ein Ziegen- und ein Hühnerstall. Das alles soll zerstört werden, und es ist die letzte Verfügung so gewesen nach meiner Kenntnis, dass innerhalb von fünf Tagen diese Zerstörung entweder von dem Besitzer Daoud Nassar, das ist der junge Palästinenser, der junge christliche Palästinenser, der dieses Begegnungszentrum macht, entweder macht er selbst diese Zerstörung, oder sie werden von Bulldozern am Sonntag oder Montag gemacht. Das ist der letzte Stand der Dinge.

    Heinemann: Um es noch mal zu klären: Sie haben dort ohne Baugenehmigung, ohne offiziellen Bescheid gearbeitet und gebaut?

    Neudeck: Ja, also, diese … Wir wussten ja gar nicht, dass ein Zelt eine Baugenehmigung braucht, oder ein Vordach eine Baugenehmigung braucht. Und jetzt ist uns das aber schriftlich so verkündet worden. Für das Berufsausbildungszentrum – für das wir auch einen Brief der Kanzlerin Angela Merkel haben, die das sehr begrüßt –, für dieses Berufsausbildungszentrum sind wir dabei, jetzt gegenwärtig eine offizielle Genehmigung für die Bauten von zwei Lehrwerkstätten und von einem Internat, einer Mensa und einem Esssaal zu bekommen. Das wollen wir gegenwärtig machen, aber dafür brauchen wir natürlich den Berg, der durch diese Maßnahmen der Zerstörungsorder natürlich total zerstört wurde. Und das Begegnungszentrum, das dort schon existiert und das sehr bekannt geworden ist auch in Deutschland, weil es eben Menschen zusammenführt, weil es auch Israelis zusammenführt mit Palästinensern, das ist fast einer der ganz wenigen Orte, wo das noch geschieht, deshalb ist es so unglaublich wertvoll, dass dieser Ort erhalten bleibt und dass er uns nicht zerstört wird.

    Heinemann: Welche Gründe vermuten Sie hinter dieser Maßnahme jetzt?

    Neudeck: Leider ganz schlimme, ganz brutale: Um diesen Berg herum sind sechs israelische Siedlungen entstanden. Siedlungen nennt man das ja ein bisschen euphemistisch, das sind eben Plätze, wo israelische Siedler auf palästinensischem Territorium nach Völkerrecht illegal sich ansiedeln, und die fressen sich eigentlich immer mehr an diesen Berg von Daoud Nassar heran. Dieser Berg ist in eindeutigem Besitz der Familie von Daoud Nassar und 1916 ist er aus dem osmanischen Reich, also aus dem Libanon, was wir ja heute Libanon nennen, gekommen und hat also auch schriftliche Dokumente für den Besitz dieses Berges, er kann das also nachweisen. Da sind mehrere Prozesse geführt worden, die diesen Nachweis gebracht haben, aber diese Zerstörungsorder ist eigentlich eine Absicht israelischer Siedlungen, dort eben das ganze Territorium für sich zu reklamieren. Daran führt eigentlich kein Weg, an dieser Einschätzung, kein Weg dran vorbei.

    Heinemann: Rupert Neudeck, der Gründer der Hilfsorganisation Grünhelme. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Neudeck: Auf Wiederhören!