Birke: Herr Kunert, konnten Sie denn in den Ihnen bekannten Manuskriptteilen antisemitische Klischees entdecken?
Kunert: Vor allen Dingen schließe ich mich erstmal Reich-Ranicki an: das ist ja wirklich ganz schlecht geschrieben muss man sagen. Ach, also - mein Gott - ein Autor, der leider von Buch zu Buch die Treppe runterging.
Birke: Woran machen Sie das fest, Herr Kunert, warum ist es schlecht?
Kunert: Es ist auf eine ganz merkwürdige Art vermuschelt, ich finde keinen Satz, der wirklich steht. Das gleitet alles so ineinander über und, mein Gott, das ist ein Buch, ich glaube, das - abgesehen von dem Skandal, den es jetzt macht - auch noch dazu todlangweilig sein wird.
Birke: Herr Kunert, schlecht geschrieben ist sicher ein Kriterium, aber es geht ja hier ganz konkret um den Vorwurf des Antisemitismus. Haben Sie Hinweise auf solche Klischees mit antisemitischen Tendenzen gefunden?
Kunert: Die Geschichte selber ist ja natürlich sehr fragwürdig. Einerseits muss ich Ihnen sagen: als Autor geht man nie auf Verrisse ein; das ist das eine. Geht man auf Verrisse ein und hat dann noch einen Kritiker, der zufälligerweise Jude ist, dann wird der Fall schon prekär. Und ohne Walsers Paulskirchenrede würde ich noch sagen: na ja, gut gut gut, aber hier zeichnet sich bei diesem Autor eine Entwicklung ab, die ich richtig unbehaglich finde, wissen Sie.
Birke: Herr Kunert, aber der Publizist Ralph Giordano hat zum Beispiel gesagt, Sie spielen ja darauf an, dass ein jüdischer Kritiker in den Mittelpunkt eines Roman gestellt wird, jeder Jude könne, müsse und solle kritisiert werden, es gäbe keinen kritischen Naturschutz, unter dem Juden stünden. Nehmen wir Deutschen im Hinblick auf unsere schreckliche Vergangenheit uns da immer wieder zu sehr zurück?
Kunert: Wissen Sie, es ist ja immer die Rede davon, nun müssten wir endlich mal zur Normalität zurückkehren zwischen Juden und Deutschen. Wobei ich die nicht richtig auseinanderhalten kann, weil es deutsche Juden gibt und - was solls? Rückkehr zur Normalität heißt auch, der Antisemitismus, der doch ein bisschen verdeckt unter der Oberfläche schwelt, kommt nun zutage. Auch bedingt durch die Vorgänge im Nahen Osten.
Birke: Sie erkennen hier, also Ihre Mutter Herr Kunert, das sollten wir vielleicht den Hörern sagen, war Jüdin. Sie selbst haben ja auch wegen dieses Umstandes in Ihrer Jugend gelitten. Erkennen Sie denn jetzt nun in dem Buch Walsers, auch in den Debatten um die Äußerungen des FDP-Vizes Jürgen Möllemann nun Entwicklungen, die regelrecht Antisemitismus in der Bundesrepublik provozieren?
Kunert: Es sind kleine Menetekel, wissen Sie. Es sind die Zeichen an der Wand. Es heißt also, Walser hat ja schon in seiner Paulskirchenrede eine Klientel bedient, die ihm Standing ovations brachte. Möllemann hat im Internet 22.000 Zustimmungen bekommen. Ich muss Ihnen sagen, das sind Dinge, die vielleicht heute noch gar nicht so bedrohlich sind, aber es sind Anzeichen. Das heißt also, es sind Anzeichen deutscher Geschichte; Anzeichen, dass wir eigentlich als ein westeuropäisches Volk Schwierigkeiten haben, mit Minoritäten zu leben im Gegensatz zu anderen westeuropäischen Völkern.
Birke: Herr Kunert, weil wir die Vergangenheit noch immer nicht richtig bewältigt haben?
Kunert: Die Vergangenheit kann nicht bewältigt werden. Das wird ein grauenvolles Wort, denn der Begriff ist ja ein gewalttätiger. Nein, das was geschehen ist, ist überhaupt nicht auszuradieren, nicht zu vergessen und ist der große wissen Sie, haha, wenn man das vergleichen wollte, es ist der Marmorblock, den die Deutschen immer wieder auf den Berg rollen und der ihnen immer wieder entgleitet.
Birke: Herr Kunert, ganz kurz noch: zur Stunde tagt das FDP-Präsidium. Dabei geht es unter anderem um die Äußerungen von Jürgen Möllemann und seine Vorwürfe gegen Michel Friedman vom Zentralrat der Juden. Haben Sie eine Empfehlung an die FDP-Spitze.
Kunert: Ich würde sagen, Herr Möllemann sollte statt des Fallschirms mal einen Regenschirm benutzen, wenn er das nächste mal abspringt.
Birke: Das war der Schriftsteller Günther Kunert zur Antisemitismusdebatte. Vielen Dank für dieses Gespräch.
Kunert: Danke.