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Wird Russland wieder zweite Supermacht?

25.09.2003
    Wiese: Am Telefon begrüße ich jetzt den Russlandexperten Alexander Rah von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, guten Tag.

    Rah: Guten Tag, Herr Wiese.

    Wiese: Herr Rah, lassen Sie uns mit dem Ende des eben gehörten Berichts beginnen. Diese so genannte Achse Berlin-Moskau-Paris in Sachen Irak-Krieg, gab es die überhaupt jemals? Gehörte Moskau nicht eigentlich nie richtig dazu?

    Rah: Ich denke, dass diese Achse doch existiert hat und die Tatsache, dass sich Putin jetzt, bevor er Bush auf amerikanischem Boden sieht, sich zunächst mit Schröder und Chirak trifft, um seine Position noch mal abzusprechen, davon zeugt, dass der Geist dieser Troika weiterhin über der Weltpolitik weht. Auf der anderen Seite ist die Spannung natürlich raus. Weder Russland, noch Frankreich und Deutschland würden sich mit Bush zerstreiten. Ich glaube, Russland verfolgt eine sehr geschickte Doppelstrategie. Putin hat es geschafft, anders als Deutschland und Frankreich, nicht als großer Verlierer in diesem Spiel dazustehen, die USA brauchen ihn, und das wird er ausnutzen.

    Wiese: Also stimmt die Analyse des eben gehörten Wissenschaftlers nicht, Russland könne nie Verbündeter von Deutschland und Frankreich sein?

    Rah: Ich glaube, dass Herr Delagin einfach zu große Vorstellungen davon entwickeln möchte, was eine Art Verbund schafft zwischen Russland, Deutschland und Frankreich darstellen könnte, das ist alles, denke ich, Zukunftsmusik. Zu so einer Achse wird es auch nicht kommen. Auf der anderen Seite hat es doch die weltpolitische Lage gezeigt am Anfang der Irak-Krise, dass drei wichtige europäische Länder, zu denen Russland sich natürlich auch zählt, in der Lage sind, eine Art Gegengewicht zu den USA zu bilden.

    Wiese: Herr Rah, Sie sprachen eben von einer Doppelstrategie Russlands. Welche eigenen eigentlichen Interessen verfolgt Moskau denn in der Irakpolitik? Könnte es die Schwierigkeiten, die Washington im Irak hat, nicht als Vehikel nutzen, selbst wieder größeren Einfluss zu gewinnen, langfristig vielleicht sogar wieder zur zweiten Supermacht zu werden?

    Rah: Ja, so sehe ich das auch. Der Irak ist eigentlich nur Mittel zum Zweck. Präsident Bush hat gesagt, dass der Antiterror-Krieg Jahre dauern wird und anders als die Europäer sind die Amerikaner auch mitten im Krieg gegen Teile der arabischen Welt. Ich glaube, so deutlich sollte man das auch mal sagen. Ich denke, das Russland eben anders als die Europäische Union sich definieren möchte als eine Art neue Weltmacht und über die Wirtschaftsschiene ist es ja lange nicht gegangen, also kann Russland aus seiner Sicht sich jetzt über die sicherheitspolitische Schiene durch die Zusammenarbeit mit den Amerikanern in der Antiterror-Koalition sich möglicherweise wieder in der ersten Liga der Weltpolitik etablieren. Und möglicherweise, davon träumt Putin, wieder zweite Weltmacht werden. Aber dafür müssen natürlich Kriege gefochten werden, dafür muss Russland Seite an Seite, vielleicht noch enger als die EU, noch enger als die Nato an die Amerikaner heranrücken, nicht nur im Irak, sondern vermutlich später irgendwann mal auch in Nordkorea.

    Wiese: Dafür müssen Kriege ausgefochten werden, sagen Sie, Kriege auch im Irak. Wäre es denkbar oder ist es denkbar, dass russische Truppen im Irak an der Seite der Amerikaner kämpfen?

    Rah: Es gibt viele Staaten, die aus Prestigegründen in den Irak jetzt wieder Truppen entsenden. Dazu gehören die Ukraine, dazu gehören die Polen. Manche Kritiker sagen, dass diese Staaten nicht vorbereitet dafür sind, eine solche Militäroperation mit den Amerikanern durchzuführen. Dasselbe kann man natürlich über Russland sagen, das seine eigenen Probleme in Tschetschenien hat, aber aus Prestigegründen will natürlich Putin jetzt Seite an Seite mit den Amerikanern in den Irak-Konflikt hineingehen, die Amerikaner möglicherweise aus dem Irak ein bisschen verdrängen, eigene Position stärken, und vor allen Dingen auch die amerikanischen Basen in Zentralasien, die ihm praktisch da vor die Nase gesetzt wurden, auch in Zukunft ein bisschen reduzieren, weil er natürlich möchte, dass die Amerikaner aus dieser Gegend so schnell wie möglich herausziehen und Russland seine Einflusssphäre grade in Zentralasien, im kaspischen Raum wieder stärken kann.

    Wiese: Aber mit einem militärischen Engagement im Irak würde doch Putin die Verbündeten dieser Achse, also Paris und Berlin, desavouieren?

    Rah: Ja, ich denke, dass man eigentlich auch das deutsche Engagement um den Irak herum hier auch als etwas mehr sicherheitspolitischer Natur sehen sollte. Die deutschen Leader-Truppen werden praktisch in Afghanistan in einem praktisch selben Szenario eingesetzt, um die Amerikaner dort zu entlasten. So gesehen ist das ein gemeinsames großes Spiel, das dort gespielt wird, im Kampf gegen den Terrorismus und die Russen können aus bekannten Gründe, sie haben ja Krieg in Afghanistan geführt, nicht heute in Afghanistan stationiert werden. Aber im Irak, wo sie ja auch bei der Bevölkerung positiver gesehen werden als die Amerikaner, könnten sie vielleicht zu einem Stabilisationspfeiler werden. Auf das hofft nämlich Putin.

    Wiese: Das war Alexander Rah von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Vielen Dank, Herr Rah, auf Wiederhören.

    Rah: Auf Wiederhören.

    Link: Interview als RealAudio