Donnerstag, 25. April 2024

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Wirecard-Skandal
De Masi fordert Untersuchungsausschuss

Der Wirecard-Bilanzskandal soll in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss aufgearbeitet werden. Das hatte der Linken-Politiker Fabio de Masi im Dlf gefordert. Das Parlament habe bisher keine volle Dokumenteneinsicht bekommen. Zudem müsse die Finanzaufsicht in Deutschland anders aufgestellt werden.

Fabio de Masi im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 01.09.2020
Fabio de Masi, stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion Die Linke bei seiner Rede bei der 170. Sitzung des Deutschen Bundestag im Plenarsaal in Berlin
Fabio de Masi, stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion Die Linke (dpa/ picture alliance/ Flashpic)
Fabio de Masi, Obmann der Linken im Finanzausschuss des Bundestages, hält einen Untersuchungsausschuss im Skandal um den Finanzdienstleister Wirecard für unverzichtbar. Wirecard hatte im Juni 2020 Luftbuchungen in Höhe von 1,9 Milliarden Euro eingeräumt und ist inzwischen insolvent. Der Ausschuss sei nötig, da das Parlament bisher keine volle Dokumenteneinsicht bekommen habe. Er äußerte sich zuversichtlich, dass am Ende auch die Grünen der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zustimmen werden. Er könne sich nicht vorstellen, dass sie als diejenigen dastehen wollten, die den größten Finanzskandal in der deutschen Nachkriegsgeschichte nicht hinreichend aufgeklärt hätten.
Außenansicht des Bürogebäudes von Ernst &Young im München mit dem Schriftszug EY
Wirecard-Skandal - "Menschliches Versagen an verschiedenen Stellen"
Im Wirecard-Skandal sind neben der Aufsichtsbehörde Bafin auch die Wirtschaftsprüfer in die Kritik geraten. Dabei sei die normale Wirtschaftsprüfung keine Betrugsprüfung, sagte Bilanz-Experte Edgar Löw im Dlf.
Heckmann: Was möchten Sie denn von Felix Hufeld, dem BaFin-Chef, in erster Linie wissen?
de Masi: Ach, so einiges! Herr Hufeld war ja schon einmal im Finanzausschuss und er hat dort sehr widersprüchliche Angaben gemacht. Zum Beispiel hat er gesagt, dass es damals eine gemeinsame Entscheidung mit der Europäischen Zentralbank gewesen sei, die Wirecard AG als Technologie-Unternehmen einzustufen und nicht als Finanz-Holding. Das klingt jetzt sehr abstrakt, aber da geht es ums Ganze, denn dadurch, dass die Finanzaufsicht die als Technologie-Unternehmen wie zum Beispiel Volkswagen eingestuft hat, dadurch waren die nicht zuständig für die Geldwäsche-Aufsicht. Und die Bayern haben uns gestern erzählt, sie sehen sich auch nicht zuständig. Das heißt auf Deutsch, niemand war zuständig für die Geldwäsche-Aufsicht über einen Mega-Finanzkonzern an der Börse, der sogar die Commerzbank aus der Börse rausgekegelt hat, und das ist einfach unfassbar.
Der Sitz der Wirecard AG in Aschheim.
Wirecard-Skandal - "Ein Riesenschaden für viele Kleinanleger"
Der Fall Wirecard hat immensen Schaden für das Vertrauen in den Finanzplatz Deutschland gebracht, sagte Hans Michelbach (CSU) im Dlf. Aber auch viele Kleinanleger hätten ihr Geld verloren, sagte der Obmann der Unionsfraktion im Finanzausschuss.
Heckmann: Unfassbar sagen Sie, aber von der Faktenlage her gedeckt. Sowohl die BaFin, Sie haben es gesagt, als auch Finanzminister Scholz haben von Anfang an ganz klargemacht, die Aufsichtsbehörde sei nicht zuständig für die entscheidenden Teile von Wirecard gewesen. Muss man nicht sagen, die BaFin trifft keine Schuld? Wenn sie nicht zuständig ist, ist sie nicht zuständig.
de Masi: Nein, ich sehe das absolut nicht von der Faktenlage gedeckt. Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel. Die Finanzaufsicht BaFin hat ein sogenanntes Leerverkaufsverbot erlassen. Das heißt, sie wollte verhindern, dass Investoren sich mit Wirecard-Aktien eindecken, die abstoßen und dann auf fallende Kurse wetten. Das ist ja legitim, dass man das in bestimmten Fällen macht, weil solche Leerverkäufe auch die Finanzstabilität bedrohen können. Allerdings hat die BaFin in dieser Leerverkaufsverfügung geschrieben, dass Wirecard ein Anbieter von Zahlungsdiensten sei. Damit wäre Wirecard eigentlich unter das Zahlungsregister gefallen und auch unter der Aufsicht der BaFin gewesen im Bereich Bilanzen, im Bereich Geldwäsche.
Berlin: Olaf Scholz (SPD), Bundesminister der Finanzen, wartet auf den Beginn einer Sitzung des Bundestags-Finanzausschusses zum Wirecard-Skandal. 
Scholz hat noch längst nicht alle Antworten gegeben
Finanzminister Olaf Scholz präsentiert im Wirecard-Skandal einen Aktionsplan, mit dem die Finanzaufsicht hierzulande mehr Biss bekommen soll. Das sei folgerichtig, meint Theo Geers. Aus dem Schneider sei Scholz aber noch lange nicht.
"Das Finanzministerium hat auch Informationen geliefert"
Heckmann: Das heißt, Sie würden sagen, es stimmt gar nicht, dass die BaFin nicht zuständig gewesen sei?
de Masi: Absolut! Und als ich die BaFin damit konfrontiert habe, hat man gesagt, man habe diesen Begriff untechnisch verwendet. Jetzt ist die BaFin eine Behörde, wo auf einen Quadratmeter fünf Juristen kommen, und da wird nichts einfach untechnisch aufgeschrieben. Auch die europäischen Aufsichtsbehörden haben diesen Begriff des Zahlungsanbieters übernommen. Von daher ist diese Behauptung, Wirecard sei so etwas wie Volkswagen gewesen, da sei man nur für die Bank zuständig, aber nicht für den Autokonzern, etwas hanebüchen, denn Wirecard hat Zahlungen abgewickelt. Wie viele andere europäische Unternehmen mit einem ähnlichen Geschäftsmodell. Ayden in den Niederlanden zum Beispiel wird dort auch von der Finanzaufsicht beaufsichtigt. Nur in Deutschland soll das anders gewesen sein? Das kann mir keiner erzählen.
Heckmann: Jetzt hat sich ja Kanzlerin Merkel in China bei ihrer letzten Reise dorthin stark gemacht für Wirecard. Ex-Wirtschafts- und Verteidigungsminister zu Guttenberg war vorher bei ihr im Kanzleramt und Merkel hat das jetzt noch mal gerechtfertigt mit den Worten, das sei doch schließlich normal. Schließlich habe gegen Wirecard nichts vorgelegen.
de Masi: Dass gegen Wirecard nichts vorgelegen habe, das ist schon eine etwas eigentümliche Sichtweise, denn das Kanzleramt, das wissen wir, die haben damals Informationen vom Finanzministerium angefragt, und das Finanzministerium hat auch Informationen geliefert. Eine dieser Informationen war unter anderem eine kleine Anfrage von mir aus dem Jahr 2019, die sich auf die negativen Berichte der Financial Times unter anderem bezog. Und gestern hat sich das Kanzleramt hingestellt und gesagt, dass sie diese negativen Berichte nicht zur Kenntnis genommen hatten, von einer der führenden weltweiten Wirtschaftszeitungen …
"Bundeskanzleramt weigert sich, Kommunikation offenzulegen"
Heckmann: "Financial Times".
de Masi: Genau, von der "Financial Times". Das kam als Statement vom Abteilungsleiter für Wirtschaftspolitik, vom Chefberater für Wirtschaftspolitik von Kanzlerin Merkel. Das ist zumindest besorgniserregend.
Zweitens stellt sich ja die Frage, wie läuft denn so etwas ab. Kommt da der Karl Theodor zu Guttenberg vorbei in seiner privaten Eigenschaft, so war die Darstellung des Kanzleramtes, und dann sagt er, es wäre ganz wichtig, Angela, dass Du in China mal für dieses Unternehmen hier lobbyierst. Soll ich demnächst kommen und sagen, ich kenne hier eine Pommesbude auf St. Pauli, ob sie sich für die mal in China einsetzen könnte. – Diese Entscheidungen, für wen sich dort eingesetzt wird, die müssen doch auch nach bestimmten Kriterien fallen, wenn man zur chinesischen Staatsführung fährt. Das ist alles noch nicht überzeugend dargelegt. Auch haben wir bis jetzt nicht die Kommunikation gesehen. Das Kanzleramt hat zum Beispiel den deutschen Botschafter in China und den chinesischen Botschafter in Deutschland gebeten, die Anliegen von Wirecard weiter zu flankieren, und bisher weigert sich die Bundesregierung, das Bundeskanzleramt, diese Kommunikation offenzulegen.
Heckmann: Herr de Masi, noch versuchen die Parlamentarierinnen und Parlamentarier des Bundestages ja, die Sache im Finanzausschuss zu klären. Ein Untersuchungsausschuss ist allerdings nicht ausgeschlossen, wird möglicherweise auch wahrscheinlicher. Sie sind dafür. Weshalb?
de Masi: Ich bin dafür, weil wir keine volle Dokumenteneinsicht bekommen und weil ich glaube, wir brauchen auch den politischen Druck, damit wir jetzt die Finanzaufsicht in Deutschland anders aufstellen. Denn Wirecard ist ja nur ein Beispiel von vielen Problemen, die wir haben. Deswegen müssen wir tiefer eindringen und verstehen, was da vor sich gegangen ist. Gab es zum Beispiel ein bewusstes Wegschauen? Auch in Bayern stellen sich da einige Fragen. Es gab Geldwäsche-Verdachtsmeldungen auch gegen den flüchtigen Wirecard-Vorstand Jan Marsalek. Was ist eigentlich damit passiert? Das sind Fragen, die bisher noch unzureichend geklärt wurden, obwohl wir die ganze Sommerpause im Prinzip durchgearbeitet haben mit Fragenkatalogen und Ähnlichem.
"Bei mir kriegt jeder sein Fett ab"
Heckmann: Aber so ein Untersuchungsausschuss ist natürlich auch ein wunderbares Mittel, um zum Beispiel SPD-Kanzlerkandidat Scholz im Wahlkampf unter Druck zu setzen. Ist das nicht das wahre Motiv? Muss man das nicht zugeben?
de Masi: Das ist ja nicht mein Problem oder meine Entscheidung, wenn dort die Finanzaufsicht von Olaf Scholz nicht hinreichend aufgestellt wurde. Ich kann ja nicht auf einen Untersuchungsausschuss verzichten, nur weil das jetzt unbequem für Olaf Scholz ist. Das ist nicht meine Aufgabe als Oppositionspolitiker. Ich muss meinen Job machen. Mir geht es hier nicht um irgendwelche politischen Spielchen. Bei mir kriegt jeder sein Fett ab, ob das das Kanzleramt oder Herr Scholz ist. Da bin ich ganz gerecht.
Heckmann: Die Grünen sind noch zurückhaltend, wollen sich heute entscheiden, nach der Sitzung. Womit rechnen Sie? Sie haben schon gesagt, Sie haben eine Flasche Rotwein gewettet, dass es einen Untersuchungsausschuss geben wird, auch mit Zustimmung der Grünen. In welcher Preislage war diese Wette?
de Masi: Der Rotwein, da bin ich beim Preis gar nicht so entschieden, denn ein guter Rotwein muss nicht immer teuer sein. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich heute Abend eine Flasche Rotwein aufmachen kann.
Zuversichtlich, dass Grüne mitziehen werden
Heckmann: Sie sind der Ansicht, dass die Grünen einem Untersuchungsausschuss zustimmen werden. Bisher zieren sie sich ja.
de Masi: Absolut, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass die Grünen als diejenigen dastehen wollen, die diesen größten Finanzskandal in der deutschen Nachkriegsgeschichte nicht hinreichend aufklären wollen. Ich glaube, dass die Grünen da noch etwas Uneinigkeit hatten. Die wussten nicht genau, wen das vielleicht in Bedrängnis bringt, und da geht es ja auch um Koalitionen und so weiter und so fort. Ich kann mir vorstellen, dass die Grünen vielleicht auch etwas im Mittelpunkt des Interesses stehen wollten, wenn sie zuletzt Ja oder Nein sagen. Das sind die üblichen politischen Spiele. Das ist für mich jetzt nicht sonderlich interessant. Ich glaube, dass die Grünen dem zustimmen werden.
Heckmann: Okay! Machen wir da einen Punkt, Herr de Masi. Ich weiß, Sie müssen ins nächste Interview. Trotzdem möchte ich Sie nicht entlassen ohne eine Frage zur Zukunft Ihrer Partei. Ihre Partei sucht eine neue Doppelspitze. Janine Wissler aus Hessen und Susanne Hennig-Wellsow aus Thüringen werden da heiß gehandelt. Wäre das eine Konstellation, mit der Sie gut leben könnten?
de Masi: Das werde ich jetzt hier nicht kommentieren. Ich kann mit vielen Konstellationen gut leben. Aber das entscheiden wir alles in Ruhe und ich kümmere mich jetzt erst mal um Wirecard. Da habe ich genug zu tun.
Heckmann: Worauf kommt es denn bei der Parteiführung jetzt an?
de Masi: Ich glaube, es kommt bei der Parteiführung vor allem darauf an, dass wir die Wähler-Milieus, die wir verloren haben in den letzten Jahren, auch aufgrund eigener Fehler, die Arbeiter, die Angestellten zurückholen. Da müssen wir auch etwas demütig sein und vielleicht ausstrahlen, dass wir uns manchmal zu sehr darum bemüht haben, wie man korrekt spricht, und zu wenig um die realen Sorgen und Probleme von Menschen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.