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Wirklichkeit der deutschen Entwicklungshilfe

Entwicklungspolitik ist keine Exportpolitik. Das war die klare Feststellung im Bericht der beiden Hilfsorganisationen Welthungerhilfe und Terres Des Hommes: Sie beklagen, dass in vielen Entwicklungsprojekten der Bundesregierung Lieferverträge für deutsche Firmen versteckt seien.

Von Rainer Brandes | 09.11.2011
    Projekte zur Entwicklungshilfe laufen in Deutschland häufig so: Die Bundesregierung schließt mit einem Entwicklungsland ein Abkommen über ein bestimmtes Projekt – und schreibt in den Vertrag gleich hinein, wer die technische Hilfe leistet – zum Beispiel die staatliche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Die GIZ wiederum hat Verträge mit deutschen Unternehmen, die die notwendigen Geräte liefern. Lieferbindung nennen Entwicklungshilfe-Experten das. Man könnte es auch Exporthilfe für deutsche Firmen nennen. Und die habe in der Entwicklungshilfe nichts zu suchen, kritisiert die Geschäftsführerin von Terre Des Hommes, Danuta Sacher:

    "Wir haben nichts gegen Außenwirtschaftsförderung, aber wir haben was dagegen, dass die Außenwirtschaftsförderung mit den begrenzten Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit getätigt wird."

    Laut Berechnungen der Welthungerhilfe machten diese Lieferbindungen im Jahr 2009 im Bereich der technischen Zusammenarbeit 51 Prozent aus – und das, obwohl sich die Bundesregierung international dazu verpflichtet hat, bindende Lieferverträge zu beseitigen. Das Entwicklungshilfeministerium weist die Vorwürfe zurück. Das seien veraltete Zahlen. Sprecherin Juliane Puls:

    "Nach aktuellen Schätzungen sind es, was die technische Zusammenarbeit betrifft, 30 Prozent und insgesamt auf dem derzeitigen Stand haben wir 80 Prozent Lieferbindungen. Also, ich kann die Zahlen der Welthungerhilfe nicht nachvollziehen."

    Die Hilfsorganisationen erneuern in ihrem Bericht ihre seit Jahren erhobene Kritik an der Unterfinanzierung der deutschen Entwicklungshilfe. Eigentlich wollte Deutschland bis zum Jahr 2015 seine Ausgaben in diesem Bereich auf 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens steigern. Zurzeit zahlt Deutschland gerade einmal gut die Hälfte des angestrebten Beitrages. Für Wolfgang Jamann ist das nicht hinnehmbar. Er ist Geschäftsführer der Welthungerhilfe.

    "Mir fällt immer nur ein, wenn ich jede Woche höre, was welche Bank mal wieder abschreibt an Milliardenbeträgen. Googeln Sie mal, Bank X hat mal wieder 1,2 Milliarden Euro einfach durch den Gully gespült. Da sind ja oft auch mittlerweile Steuergelder drin. Die Forderung nach einem Aktionsplan zur Steigerung einer Erhöhung von Entwicklungsmitteln im Bereich zwischen ein und zwei Milliarden Euro pro Jahr, das sind wirklich Peanuts im Vergleich zu dem, was im Moment alles an anderer Front aufgewendet wird."

    Auf besonders wenig Verständnis bei Terres Des Hommes und Welthungerhilfe trifft da der Plan der Bundesregierung, die Mittel für Entwicklungshilfe in den kommenden Jahren um fast vier Milliarden Euro auf 5,7 Milliarden zu kürzen. Hinzu komme, dass diese Mittel auch noch ineffizient eingesetzt würden. Zurzeit fördere Deutschland insgesamt
    9000 Projekte. Viel zu viele, findet Wolfgang Jamann.

    "Das ist natürlich eine Projektitis, die selber ja Herr Niebel immer wieder anprangert und auch ablehnt, die die Umsetzung und Koordinationskapazitäten der Partnerländer komplett überfordert."

    Hier immerhin verspricht Minister Dirk Niebel Abhilfe. In Zukunft will sein Ministerium nur noch in 50 Ländern aktiv sein. Bisher waren es 58.