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Wirtschaft erwartet keine schnelle Reform der Unternehmensbesteuerung

Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, hat vor überzogenen Erwartungen an den Job-Gipfel zwischen Bundeskanzler Schröder und der Unionsspitze am Donnerstag gewarnt. Die Regierung habe sich zu stark auf eine Unternehmenssteuerreform festgelegt, die aber kurzfristig nicht zu machen sei, sagte Hüther. Er forderte eine schnelle Senkung der Lohnnebenkosten mit einer Gegenfinanzierung über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer.

Moderation: Klaus Remme |
    Klaus Remme: Hört man die Vorberichterstattung für das Treffen von Bundeskanzler Schröder mit den Spitzen der Union am Donnerstag, dann könnte man meinen, die Massenarbeitslosigkeit sei als Fluch vor wenigen Tagen über uns hereingebrochen und die Führung des Landes berät nun über Sofortmaßnahmen. Als Jobgipfel wird propagiert, was doch in Wahrheit nicht mehr ist als ein Treffen der politischen Kräfte, die seit Jahrzehnten erfolglos versuchen, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Und der Wähler weiß mehrheitlich offenbar, was er davon zu halten hat. Laut jüngster Umfrage glauben 64 Prozent nicht daran, dass der Donnerstag Hoffnung bringt für die 5,2 Millionen Arbeitslosen in diesem Land. Die Protagonisten des Politspektakels haben sich gestern Abend im öffentlich-rechtlichen Fernsehen bereits in Stellung gebracht.

    Bei so viel Taktik und Manöver wollen wir eine Meinung außerhalb der Parteipolitik hören. Am Telefon ist Michael Hüther. Er leitet das Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln. Guten Morgen Herr Hüther.

    Michael Hüther: Guten Morgen!


    Remme: Herr Hüther, Sie haben am Freitag zusammen mit anderen Wirtschaftsinstituten Sofortmaßnahmen vorgeschlagen auch mit Blick auf dieses Treffen, darunter als Gegenfinanzierung für Entlastungen eine Erhöhung der Mehrwertsteuer. Der Kanzler hat das abgelehnt. Sind Sie enttäuscht?

    Hüther: Ach man muss nicht gleich erwarten, dass die Regierung, wenn man so etwas vorlegt, darauf anspringt. Ich finde es nur nicht sehr klug von seiner Person, denn er hat ja nicht so viele Optionen. Was will er denn am Donnerstag in der Regierungserklärung ankündigen, außer irgendeinem klein klein, guten Absichten und möglicherweise etwas mehr in Bildung und Forschung zu investieren, was gut klingt. Aber wir haben uns überlegt: wir brauchen einen Hebel dort, wo wirklich über neue Arbeitsplätze entschieden wird. Uns sagen die Unternehmer, die Arbeitgeber: ein Haupthemmnis sind die hohen Lohnnebenkosten. Deswegen war das der Ansatzpunkt: ein Prozentpunkt runter beim Beitrag zur Arbeitslosenversicherung und dann haben wir gesagt, die direkten Steuern müssen auch runter. Aber jetzt uns zu verzetteln in einer Unternehmenssteuerreform, bringt nichts, schaffen wir auch nicht. Deswegen den Solidaritätszuschlag abschaffen. Den zahlen alle Unternehmer, alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in West- und Ostdeutschland, 5,5 Prozent der Steuerschuld. Dies sind zusammen 18 Milliarden. Die müssen wir natürlich irgendwo gegenfinanzieren. Es ist nicht einfach im Haushalt von Herrn Eichel zu verstecken. Dafür dann, aber wirklich erst dafür eine Mehrwertsteuererhöhung. Das schien uns und scheint uns unverändert ein gut überlegter Hebel.

    Remme: Haben Sie denn politische Verbündete für diese Idee?

    Hüther: Nun es ist ja nicht so, dass das nicht im Regierungslager auch schon diskutiert und konzipiert wurde. Wir wissen ja aus Presseberichterstattungen vom letzten Sommer, dass Herr Eichel ähnliche Überlegungen angestellt hat. Also es ist nicht so, dass es da keine Anknüpfungspunkte gibt. Auf der anderen Seite gibt es Anknüpfungspunkte bei der Opposition, die ja auch den Arbeitslosenversicherungsbeitrag senken möchte. Wir haben nur gesagt, realistischerweise zum 1. Juli beginnend können wir da keine großen Einsparungen im Haushalt der Bundesagentur erwirtschaften. Deshalb diese Gegenfinanzierung und Sie sehen ja auch heute die Presseberichterstattung. Wenn über Unternehmenssteuern gesprochen wird, geht es ja nicht um eine Entlastung der Unternehmen, sondern um ein Umschichten in die geringeren Steuersätze und eine breitere Bemessungsgrundlage. In unserem Ansatz würden die Unternehmen etwas bekommen, denn den Solidaritätszuschlag zahlen sie auch.

    Remme: Herr Hüther, beide politischen Lager haben in den letzten Jahrzehnten erfolglos versucht, das Problem zu lösen. Was ist die zentrale Erklärung für das Versagen?

    Hüther: Die zentrale Erklärung für das Versagen ist, dass man zu wenig langen Atem hatte. Wir wissen aus dem Erfolg anderer Länder - und das ist nicht nur Österreich; das ist Schweden, es sind andere Länder auf der Welt, die massiv umsteuern mussten -, die haben dann mittelfristige Reformpakete vorgelegt, haben damit auch der Bevölkerung eine Orientierung gegeben. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Wir haben hier eine Wirtschaftspolitik, die nach Gelegenheit gemacht wird. Es gibt eine Gelegenheit wie vor über drei Jahren, als die damalige Bundesanstalt für Arbeit offenbarte, dass sie keine Vermittlungsleistungen richtig erbringt. Dann kam es zu einem Maßnahmenpaket, das danach der Bundestag umgesetzt hat, und so weiter und so fort. Das ist das, was auch die Menschen - Sie haben eben diese wenig positiven Erwartungen der Bürger geschildert - irritiert. Man muss langfristige Pläne machen. Man muss ein bisschen Atem haben und zwei Dinge akzeptieren. Zu allem Erfolg gehört eine Konsolidierung des Staatshaushaltes. Das war auch in anderen Ländern so. Dann muss man irgendwo kreativ investieren, beispielsweise indem man Investitionen stimuliert oder in Bildung geht. Also wir machen vieles links und rechts, aber eigentlich in der Mitte nicht und nicht konsequent zusammengedacht.

    Remme: Ist dies eine Lage, in der sich auch ein Wissenschaftler wie Sie eine große Koalition wünscht?

    Hüther: Das kann durchaus hilfreich sein. Ich meine wir haben das immer mal wieder erlebt, nicht nur formal, sondern auch informell. Wir haben sie ein Stück weit ja durch den Vermittlungsausschuss und die derzeit gegebenen Mehrheitsverhältnisse in der Länder-kammer und im Bundestag. Also im Grunde ist es ja so, dass der Problemdruck so hoch ist, dass wir uns alles andere auch nicht mehr leisten können.

    Remme: Ein Thema, das in Ihren Vorschlägen nicht vorkam, war die Idee eines staat-lich geförderten Programms zur Ankurbelung der Wirtschaft. Was sagen Sie dazu?

    Hüther: Davon ist aus zwei Gründen nicht viel zu halten. Erstens haben wir gar nicht die Mittel im Staatshaushalt, irgendwo etwas zu lockern. Diejenigen, die das vorschlagen, reden ja auch nur von zehn Milliarden. Also wo sollen diese zehn Milliarden aus Investiti-onshilfen oder was auch immer oder direkten Ausgaben des Staates landen?
    Das zweite ist: es wird ja gelegentlich gesagt gut, dann soll man es den Kommunen geben, die eine große Zahl der Investitionsausgaben bewältigen und im Augenblick wenig ausgeben. Dann ist das zwar nicht schlecht gedacht. Nur wir wissen: die Kommunen wer-den solche zufließenden Mittel erst einmal verwenden, ihren Haushalt zu sanieren. Wir haben das schon erlebt in den letzten Jahren bei den 1,5 Milliarden Investitionsprogramm für Ganztagsschulen. Die Länder haben bisher maximal 20, 25 Prozent der Mittel abgeru-fen für die Kommunen. Das heißt hier ist eine Systematik gegeben, die nicht wirkt. Wir können zwar feststellen, die Kommunen investieren nicht richtig, aber wir müssen ihnen eigentlich viel mehr Haushaltsautonomie geben, dann könnten sie auch etwas tun, und nicht irgendwelche Mittel durchschleusen.

    Remme: Auslöser dieses Gipfels ist die Zahl von 5,2 Millionen Arbeitslosen. Die nächs-te Monatsstatistik kommt bestimmt. Rechnen Sie mit einer weiteren Verschlechterung?

    Hüther: Es ist noch mal saisonal damit zu rechnen, auch die Witterung, die wir jetzt hatten. Aber auch hier muss man natürlich eins ganz deutlich sagen: Diese 5,2 Millionen, die wir jetzt messen, sind ja in der Substanz kein anderer Befund, als wir sie im zweiten Halb-jahr 2004 hatten. Wir hatten schon seit geraumer Zeit dieses hohe Maß an Unterbeschäf-tigung. Wir gehen jetzt ehrlicher damit um, weil wir auch die prinzipiell erwerbsfähigen frü-heren Sozialhilfeempfänger dazurechnen. Also auch hier dramatisch, aber jetzt nicht aus der Zahl die Nummer machen, sondern einfach den Druck jetzt verstärken, dass die Politik letztlich zu Lösungen auch findet.

    Remme: Wie groß ist denn Ihre Hoffnung auf konkrete Ergebnisse?

    Hüther: Fifty fifty wäre noch optimistisch beschrieben, nach dem was man an Vorgeplänkeln hat. Meine Befürchtung, warum das nicht groß voran gehen wird, besteht darin, dass die Regierung sich sehr stark kapriziert hat auf die Unternehmenssteuerreform. Das ist aber kurzfristig nicht zu kriegen. Das ist ein systematischer Ansatz, der neu definiert werden muss. So sagt das auch der Bundesfinanzminister zurecht. Das kriegen wir nicht einfach jetzt mal kurz hin. Unsere Überlegung war, einen Hebel zu setzen, der jetzt noch wirkt. Na ja, man soll nicht die Hoffnung aufgeben, aber allzu optimistisch sehe ich es ehr-lich gesagt nicht.

    Remme: Herr Hüther, wir haben mit Horst Köhler einen ausgewiesenen Wirtschaftsexperten an der Spitze des Staates. Morgen will er eine Grundsatzrede halten. Sollte er sich stärker einmischen?

    Hüther: Er tut es ja schon. Er ist natürlich auch durch die Verfassung begrenzt. Er kann ja nicht ins Tagesgeschäft eingreifen. Es gibt ja auch hier eine klare Aufgabenteilung zwischen Bundespräsident und Kanzler. Wir haben ja schon gesehen: auch seine prinzipiell ermahnenden Worte, bei der Föderalismusreform doch voranzukommen, haben letztlich bei der Lage zwischen den Parteien nicht gefruchtet. Er kann natürlich eine öffentliche Kulisse aufbauen und wir werden sehen, ob er morgen dafür etwas tut. Das sollte er nut-zen, das kann er auch und das kann er vielleicht auch bei der Erwartung, die an ihn he-rangetragen wird, und in seiner Position, in seiner Herkunft als Ökonom auch besser als vielleicht sein Vorgänger.

    Remme: Michael Hüther war das. Er leitet das Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln. Herr Hüther, vielen Dank für das Interview!

    Hüther: Gerne!