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Wirtschaft gegen Fremdenfeindlichkeit
Ein Verein für weltoffene Sachsen

Die fremdenfeindlichen Ausschreitungen von Chemnitz sind Gift für die sächsische Wirtschaft. Das haben Unternehmer erkannt und einen Verein gegründet, der in den Betrieben für mehr Weltoffenheit sorgen soll. Allerdings müssen Arbeitgeber und Beschäftigte mitspielen.

Von Alexandra Gerlach | 21.09.2018
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    Workshops für Weltoffenheit: Trainerin Reingard Brendler (Open Saxony/ Deutschlandradio)
    Am Anfang stand die Sorge um den Wirtschaftsstandort Sachsen, sagt Markus Rustler, der den Verein vor zwei Jahren in Dresden mitgegründet hat:
    "Sinn und Zweck dieses Vereins ist es zum einen, ein Netzwerk von Unternehmen zu bilden, das sich ganz klar zu Weltoffenheit positioniert und das auch nach außen hin kommuniziert."
    Angebote für "schwierige Verhältnisse" im Unternehmen
    Der dunkelhaarige, dynamische Enddreißiger ist Geschäftsführer des Dresdner Maschinenbauunternehmens Theegarten-Pactec, das Bonbon-Einwickelmaschinen produziert. Er ist weltweit unterwegs und Vize-Vorstandssprecher des Vereins "Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen e.V.". Seine Worte für das Interview wählt Rustler ebenso sorgfältig wie entschieden:
    "Wir wollen darüber hinaus aber natürlich auch unseren Mitgliedsunternehmen Angebote bieten, wie sie mit, sagen wir, schwierigen Verhältnissen in der Belegschaft umgehen, aber auch, wie sie mit bestimmten Problemstellungen - sei es bei der Integration von ausländischen Mitarbeitern -, umgehen können, wo sie die richtigen Ansprechpartner finden."
    Mit zehn Mitgliedern hatte der Verein 2016 angefangen. Inzwischen ist das Netzwerk auf 70 Unternehmen – darunter auch große Konzerne wie Infineon oder Wacker Chemie - angewachsen. Mit einem Jahresetat von rund 150.000 Euro aus Mitgliedsbeiträgen und einem kleineren Teil öffentlichen Fördermitteln finanziert der Verein seine Arbeit gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus sowie für interkulturelle Bildung. Die Mitglieder eint, dass sie auf internationalen Märkten unterwegs sind und Fachkräfte aus dem Ausland beschäftigen. So auch Theegarten-Pactec. Mitarbeiter aus 15 Nationen arbeiten am modernen Haupt-Firmensitz im Süden von Dresden.
    "Problemlos! Alles nette und fleißige Leute, die gut integriert sind und das funktioniert ganz hervorragend."
    Engagement gegen ein "Klima der Angst"
    An der Fassade kündet ein großes Banner vom Engagement der Eigentümerfamilie und ihrer Belegschaft für Toleranz und Weltoffenheit. Viele der sächsischen Firmen seien auf Dauer auf Migration angewiesen, prognostiziert der Ex-Kölner sorgenvoll und meint damit sowohl potentielle Arbeitskräfte aus den alten Bundesländern als auch weltweit.
    "Und ein Klima der Angst, das hier momentan kreiert wird, ist da natürlich nicht förderlich, und das bekommen die Unternehmen hier früher oder später leider zu spüren".
    Doch manche Firmenchefs unternehmen erst gar nicht den Versuch, Ausländer oder gar Geflüchtete in ihren Betrieb zu integrieren. Aus Sorge vor Spannungen in der Belegschaft. Der Verein "Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen" setzt hier an, und bietet in Zusammenarbeit mit dem Dresdner Bildungsträger "Courage - Werkstatt für demokratische Bildungsarbeit e.V." Trainingsprogramme für Mitarbeiter an. Das vom Bund geförderte Modell-Projekt, "Open Saxony" will mit Bildungs- und Argumentationstraining Vorurteile abbauen und Fakten gegen Fake News setzen.
    Fakten gegen Fake
    Courage-Geschäftsführerin und Trainerin Nina Gbur ist Ende dreißig und stammt ursprünglich aus Baden-Württemberg. Seit 2003 arbeitet sie in der Erwachsenenbildung. Zum Interview im schmucklosen Besprechungsraum hat die Diplom-Sozial-Pädagogin einen ganzen Stoß Flyer und Infomaterialien mitgebracht, ganz oben eine Power-Point-Foliensammlung mit Daten und Fakten zum Thema Asyl in Deutschland.
    "Das hier, was vor mir liegt, ist eine Präsentation, die ein Trainerinnen-Team von uns in einem sächsischen Unternehmen gemacht hat und das sind die Themen, die die Menschen sich gewünscht haben. Wer erhält in Deutschland Schutz? Rund um das Thema Asyl, welche Rechte haben Asylsuchende? Da gibt es ganz viel Unwissen, da gibt es die wildesten Ideen davon, was Asylsuchende in Deutschland bekommen, und da ist es häufig sehr aufschlussreich, wenn man den Menschen einfach Fakten erzählen kann".
    Problem: Unternehmer an Bord zu bekommen
    Der härteste Bereich dieser Arbeit sei es, die Betriebe für dieses Thema zu interessieren und die Mitarbeiter für einen kostenfreien Workshop zu gewinnen, erzählt Nina Gbur:
    "Wir stoßen auf ganz viel positive Resonanz, wir bekommen ganz viel gesagt, ja das ist toll, das ist ein super Projekt! Aber nicht alle Unternehmen sind der Meinung, dass sie das brauchen."
    Freiwilligkeit und der Wille etwas dazu zu lernen seien jedoch Voraussetzung, da das Training ansonsten keine Früchte trage, betont "Open-Saxony"-Trainerin Reingard Brendler. Sie hat interkulturelle Pädagogik studiert und arbeitet seit Oktober 2017 im Projekt "Open Saxony".
    "Wir machen immer eine Mischung aus Wissensvermittlung und aber auch Raum für Austausch geben, einfach miteinander reden, Fragen loswerden, zu diskutieren. Wir üben auch Rollenspiele, bestimmte Situationen, üben mal, wie kann man denn argumentieren tatsächlich."
    Rückenstärken gegen rechtsextrem
    Vorurteile ausmerzen, Fakten nennen und Argumente gegen rechtspopulistische Parolen geben. Dieser Dreiklang kommt offenbar an, bei denen, die den Workshop schon mitgemacht haben, meint Trainerin Brendler:
    "Was von sehr vielen Teilnehmern die Rückmeldung war, war, dass es sie massiv gestärkt hat, also, und dass sie jetzt mehr Kompetenzen haben, wie sie dem begegnen können".
    Namhafte sächsische Unternehmen, wie die Uhrenmanufaktur NOMOS aus Glashütte, haben dieses Schulungs-Angebot bereits genutzt. Eine Reaktion der Geschäftsführung auf Kundenanfragen, die wissen wollten, ob Zitat: "Nazis" an den wertvollen Uhren gearbeitet hätten. Der Verein "Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen" sieht jedenfalls dringenden Handlungsbedarf. Markus Rustler:
    "Wir versuchen permanent, weitere Unternehmen zum einen von der Dringlichkeit und auch von der Güte der Sache zu überzeugen. Aber es ist ein langer und mühsamer Weg natürlich".