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Wirtschaft
Was die Ukraine hat und woran es ihr fehlt

Nach dem politischen Umsturz steht die Ukraine vor gewaltigen Problemen. Dem Land droht die Pleite, die neue Führung in Kiew braucht dringend Geld, um Schulden bedienen zu können. Ökonomen warnen vor Turbulenzen, sollte rechtzeitige Hilfe ausbleiben. USA und EU haben Unterstützung in Aussicht gestellt, doch sie wird an Auflagen gebunden sein.

Von Michael Braun | 24.02.2014
    Auf dem verwüsteten Unabhängigkeitsplatz in Kiew versuchen mehrere Männer mit Schaufeln, qualmenden Schutt zu entfernen.
    Die Ukraine, obwohl sie eine Kornkammer Europas ist, hat seit Langem mehr eingeführt als ausgeführt. (picture alliance / dpa / Sergey Dolzhenko)
    Vor der Hoffnung kommt erst mal die Vorsicht. Und das könnte der Ukraine ein neues Problem bereiten: Das Bankensystem wackelt. Robert Kirchner von der Deutschen Beratergruppe für die Ukraine ist gerade aus dem Land zurückgekommen und hat beobachtet,
    "… dass die Leute versuchen, ihre Einlagen teilweise abzuziehen und möglicherweise auch in Dollar zu tauschen, weil sie da denken, dass das Geld sicherer ist. Ich denke, das wird auch ein ganz wesentlicher Aspekt eines Programms sein."
    Dieses und andere Programme dürften nun von Internationalem Währungsfonds und EU angeschoben werden. Denn zuletzt hatte Russland die Zahlungsfähigkeit der Ukraine sichergestellt. Moskau hatte Mitte Dezember Kredite über 15 Milliarden Dollar in Aussicht gestellt. Die wurden aber offenkundig gestoppt. Und die eigenen Mittel der Ukraine zerrinnen:
    "Die Devisenreserven lagen Ende Januar bei etwas weniger als 18 Milliarden Dollar. Das sind etwas über zwei Monate Importdeckung. Also ein sehr niedriger Wert, ein Mehrjahrestief. Für viele Jahre ist das der niedrigste Wert, den wir gesehen haben. Und es ist auch davon auszugehen, dass dieser Wert weitet gesunken ist in den letzten Tagen und Wochen im Februar, weil ja hier sich die Lage weiter verschärft hat."
    Wovon also das Gas bezahlen, das die Wohnungen wärmt und die Stahlindustrie im Osten des Landes produzieren lässt?
    Die EU hatte der Ukraine ja ein Assoziierungsabkommen angeboten. Daran hingen auch Hilfen des Internationalen Währungsfonds. Die werden aber nur gegen meist strenge Auflagen gegeben. Im Falle der Ukraine wird das heißen: Die Gaspreise sollen nicht mehr subventioniert werden. Der abgesetzte Präsident Janukowitsch hatte sie auch als Wahlgeschenke eingeführt. Und hatte dabei sowohl den Staatshaushalt in die roten Zahlen geführt als auch die Leistungsbilanz im negativen Bereich gehalten: Die Ukraine, obwohl sie eine Kornkammer Europas ist und obwohl sie im Osten industriell geprägt ist, hat seit Langem mehr eingeführt als ausgeführt. Das Zwillingsdefizit in Staatshaushalt und Außenhandel zu beseitigen – das ist das Ziel der Auflagen des IWF. Die Hilfen aus Moskau waren weitgehend ohne ökonomische Auflagen zugesagt worden, hatten diese Defizit also nur finanziert, nichts aber dazu beigetragen sie zu beseitigen. Wenn IWF und EU helfen, dann auch aus eigenem Interesse. Regierungsberater Kirchner:
    "Die Ukraine hat viele Standortvorteile. Es ist die Kornkammer Europas. Es ist ein Markt von 45 Millionen Leuten. Es liegt nah an der EU. Es könnte auch als verlängerte Werkbank benutzt werden, es könnte sich sozusagen in die globalen Wertschöpfungsketten integrieren. Also, die Möglichkeiten sind da enorm."
    Das alles wäre natürlich als mindestens assoziiertes EU-Mitglied noch interessanter: Dann könnten Waren aus der Ukraine weitgehend zollfrei exportiert werden.