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Wirtschaft will osteuropäische Fachkräfte nach Deutschland holen

Die Bundesregierung erwägt, angesichts des Fachkräftemangels in Deutschland die bis 2009 geltenden Beschränkungen für osteuropäische Arbeitnehmer früher als geplant aufzuheben. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) begrüßte den Vorstoß. "Deutschland muss sich verdammt noch mal vorbereiten darauf, dass wir weniger werden", sagte DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben.

Moderation: Doris Simon | 25.07.2007
    Doris Simon: Wer nur auf die Arbeitslosenzahlen schaut, der kann es sich nicht vorstellen, aber etliche Branchen in Deutschland leiden unter Fachkräftemangel. Dieser Bedarf scheint mit deutschen Arbeitskräften nicht zu decken zu sein, und deshalb setzt nun in Berlin ein Sinneswandel ein. Es gibt Anzeichen dafür, dass die Bundesregierung früher als geplant osteuropäischen Fachkräften den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt erlauben will. Eigentlich wollte Berlin den Osteuropäern frühestens 2009 die Arbeitnehmerfreizügigkeit gewähren, die sonst in der EU gilt. Die Angst vor Billiglohnkonkurrenz stand bei dieser Entscheidung im Vordergrund. Martin Wansleben ist Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages DIHK. Und er ist jetzt am Telefon, guten Morgen!
    Martin Wansleben: Morgen, Frau Simon!
    Simon: Herr Wansleben, Ihr Verband hat die Öffnung ja schon lange gefordert, sind Sie zufrieden mit der Entwicklung?

    Wansleben: Also wir sind froh, dass sich langsam was bewegt, denn ich will Ihnen einfach mal eine Zahl nennen. In diesem Jahr sind rund 980.000 Schülerinnen und Schüler aus den Schulen gekommen, und 800.000 haben wir eingeschult. Das heißt also, da sind schon mal 180.000 weniger eingeschult worden, als wir jetzt aus den Schulen rauskommen haben. Das zeigt, was die Demografie bedeutet, Deutschland muss sich verdammt noch mal vorbereiten darauf, dass wir weniger werden. Und wenn wir haben wollen, dass wir unsere Fabriken hier, unsere Firmen weiterhin auslasten wollen, dann müssen wir uns öffnen, da führt überhaupt kein Weg dran vorbei.

    Simon: Wie schnell glauben Sie denn, dass diese teilweise Freizügigkeit kommen könnte? Das Kabinett will ja im August beraten.

    Wansleben: Gut. Ich meine, das Hauptproblem, was wir haben, sind Fachkräfte. Da zieht auch jede Angstmacherei in Sachen Mindestlohn überhaupt nicht, denn die Fachkräfte, die wir brauchen, die verdienen allemale überall, wo sie arbeiten, schon mehr als den Mindestlohn. Die kommen auch für den Mindestlohn überhaupt nicht nach Deutschland, denn die haben ja die Möglichkeit, in Schweden, Norwegen, in England und in anderen Ländern der Europäischen Union schon längst zu arbeiten. Deswegen geht es jetzt darum, dass wir so schnell wie möglich gerade für Fachkräfte unsere Grenzen öffnen. Wir haben selbstbewusst, um nicht jetzt hier mit der Vorschlagshammermethode zu operieren, gesagt, es gibt einen Stufenplan, wir können uns vorstellen, dass wir die Grenzen öffnen für Fachkräfte, für Hochschulabsolventen zum Beispiel. Wir schlagen dringend vor, dass diejenigen, die hier in Deutschland ihr Studium absolviert haben, also, der deutsche Steuerzahler hat das Studium bezahlt, dass die dann auch hier bleiben können und hier arbeiten können und nicht außer Landes gewiesen werden, um dann woanders ihr Glück zu versuchen. Also, es gibt so verschiedene Stufen, die wir vorschlagen und die wir auch für dringend halten, deswegen begrüßen wir sehr, wenn jetzt Herr Andres (Staatssekretär im Arbeitsministerium, Gerd Andres (SPD), Anm. d. Red.) sagt, wir können uns das vorstellen.
    Simon: Das heißt aber, eine Zeit ist nicht absehbar. Was man sich fragt, ist, warum gibt es überhaupt diesen Fachkräftemangel? Die DIHK, also Ihr Gremium, hat ja das Problem bei seinen Personalbedarfsstudien regelmäßig festgestellt. Ist da nicht genügend aus-, um- und weitergebildet worden?

    Wansleben: Gut, ich meine, also, die Ausbildungszahlen gehen ja massiv hoch, vielleicht gehen wir noch mal eins zurück. Also, wenn wir uns mal vorstellen, 2003, 2004, da war es ja doch relativ finster konjunkturell. Da mussten Firmen entlassen, und es ist natürlich aus heutiger Sicht leicht zu sagen, warum haben die damals entlassen? Manche Firmen wären gar nicht mehr da, wenn sie nicht entlassen hätten. Inzwischen ist es ja doch so, dass die Ausbildungszahlen erheblich hochgehen, im letzten Jahr fünf Prozent, im Moment deuten sich zehn Prozent an, also, da kann man nicht sagen, dass die Firmen nicht ausbilden. Aber in vielen Fällen geht es natürlich auch um Hochschulabsolventen, also, nehmen Sie doch mal Maschinenbauingenieure, da sind in den letzten zehn Jahren, die Absolventen haben sich halbiert. Das ist also keine Frage von Unternehmen, sondern das ist eine Frage von der Lernbereitschaft der Jugend oder der Bevölkerung, wie sie sich mit solchen Fächern beschäftigt. Und die können wir nicht von heute auf morgen aus dem Boden stampfen oder irgendwelche Leute umschulen, sondern die brauchen wir jetzt dringend.

    Simon: Bleiben wir doch mal bei den Maschinenbaustudenten. Sie sagen, das ist eine Aufgabe natürlich auch der Leute, sich dafür zu interessieren. Ist es nicht auch eine Aufgabe des interessierten Gewerbes zu sagen, das sind Jobs, da habt ihr eine Zukunft, und das sind Jobs, die werden auch ordentlich bezahlt? Man muss vielleicht auch mehr als bisher noch Werbung machen für diese Berufe, die Mangel sind.

    Wansleben: Also, ich glaube, im Moment ist das keine Frage von Bezahlung, ich gebe Ihnen Recht, das ist eine ganze Bandbreite, als Vater von zweien, die Ingenieurwissenschaften studieren, kenne ich das Thema. Das ist eine Frage der Eltern, wie sie mit ihren Kindern darüber reden, es ist auch eine Frage der Universitäten. Also ich beobachte mit großer Sorge, wie die Universitäten mit den Studenten und Studentinnen umgehen, also, wie da Klausuren geschrieben werden, wo 80 und mehr Prozent durchfallen, so doof können eigentlich die Schülerinnen und Schüler nicht sein. Und es ist überhaupt keine Frage, es ist natürlich auch eine Aufgabe der Branchen, was die ja auch machen, massiv zu werben, Zukunftsperspektiven zu präsentieren. Sie öffnen sich immer mehr, die Unternehmen, für Praktika von Studenten, um auf diese Art und Weise auch von vornherein einen guten Kontakt zu den Jugendlichen zu kriegen. Hier ist noch eine Menge zu tun, aber um auf den Vorschlag von Herrn Andres zurückzukommen, das ist keine Frage von heute auf morgen, sondern das sind langfristige Entwicklungen, deswegen brauchen wir jetzt eine Öffnung der Grenzen. Und ich sage noch mal, es führt auch gar kein Weg daran vorbei, die Demografie ist so, wie sie ist. Deutschland muss sich ohnehin öffnen. Und da ist es besser, man fängt früh an und man macht einen gescheiten Stufenplan.

    Simon: Sie sprachen vorhin die Entlassungen während der Flaute vor einigen Jahren an. Rückblickend mit ein bisschen Selbstkritik: Hätte da auch mehr mit Weiter-, Umbildung getan werden können, um diese Leute, die entlassen worden sind, vielleicht für andere Stellen nutzen zu können?
    Wansleben: Gut, Sie sprechen ein ganz, ganz schwieriges oder ein ganz wichtiges Thema an. Das ist die Frage, inwieweit wir alle miteinander, ich meine, das trifft ja nicht nur diejenigen, die arbeitslos sind, bereit sind, wirklich das lebenslange Lernen auf sich zu nehmen. Hier muss sicherlich eine ganze Menge passieren, hier werden Unternehmen dazulernen müssen, dass sie nicht mehr die Qualifikationen, die sie brauchen, eins zu eins so auf dem Arbeitsmarkt kriegen, aber hier müssen wir alle als Menschen auch dazulernen und mehr Verantwortung für uns übernehmen. Und wenn heute rund 40, 50 Prozent der Arbeitslosen ohne Qualifikation sind, dann zeigt das ja das wirkliche Ausmaß. Wir kümmern uns im Rahmen des Ausbildungspaktes ja sehr, sehr intensiv um die Frage, wie Jugendliche, die ohne vernünftigen Schulabschluss auf den Ausbildungsmarkt kommen, dennoch integriert werden können, also, um von vornherein zu vermeiden, dass es Leute gibt, die keine vernünftige Qualifikation haben. Auch das ist eine schwierige Herausforderung, die wir nehmen, die wir nehmen müssen. Aber ich sage noch einmal, das können wir alles nicht von heute auf morgen lösen, deswegen brauchen wir offene Grenzen.

    Simon: Die Fachkräfte werden ja vor allem aus dem Osten der EU kommen, das ist die bisherige Erfahrung, aber zum Beispiel in Polen gibt es ja inzwischen selber schon Fachkräftemangel, man holt sich da für vieles ja inzwischen Ukrainer und Weißrussen ins Land. Wenn sich denn dann eines Tages unsere deutschen Grenzen etwas mehr öffnen, sind dann überhaupt noch Interessenten da?

    Wansleben: Sie sprechen gelassen aus, was wir alle befürchten, zumal ja so viele andere Staaten rings um uns herum schon so attraktiv sind und sich so weit geöffnet haben, dass jetzt viele sagen, ihr könnt die Grenzen ruhig öffnen, da kommt ohnehin keiner mehr. Und wenn Sie sich die Pressemeldungen angucken, dass noch nicht mal Erntehelfer nach Deutschland kommen, die gehen gleich woanders hin, dann ist das natürlich auch schon ein schwieriges …

    Simon: Das liegt natürlich auch an den ganz besonders schlechten Löhnen bei uns.

    Wansleben: Ja gut, dann müssen die Firmen, die die brauchen, auch mehr bezahlen, das ist keine Frage von Mindestlohn, sondern das regelt sich am Markt. Ich glaube, hier lernt der eine oder andere auch kräftig dazu, um diese Fragen in Zukunft anders zu lösen. Aber Sie sprechen wirklich an, wieweit ist eigentlich Deutschland wirklich attraktiv für ausländische Fach- und Führungskräfte? Und ich füge sofort eine Frage hinzu: In wieweit ist eigentlich Deutschland auf Dauer für deutsche Fach- und Führungskräfte attraktiv? Denn die Frage stellt sich ja auch, denn Deutschland ist ja nicht die einzige Nation, die ein demografisches Problem hat, das gibt ja noch andere Länder, und für die sind deutsche Fach- und Führungskräfte in Anführungszeichen "ausländische Fach- und Führungskräfte", die sie anwerben sollen. Also, Deutschland ist gut beraten, sich konsequenter hier aufzustellen, deswegen sagen wir noch einmal, wir brauchen das, was Herr Andres zu Recht anstößt, einen Stufenplan, eine frühzeitige Lockerung, Deutschland muss sich vorbereiten.

    Simon: Martin Wansleben war das, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages DIHK, Herr Wansleben, vielen Dank und auf Wiederhören.

    Wansleben: Danke Ihnen nach Köln, auf Wiederhören.