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Wirtschaftsexperte hält G-8-Gipfel für überflüssig

Jürgen Liminski: Am Anfang waren es sechs, heute sind es acht und bald werden es vermutlich neun oder zehn sein und weitere stehen vor der Tür. Das Treffen der Staats- und Regierungschefs der führenden Wirtschaftsnation der Welt hat sich in Form und Inhalt gewandelt. War das im Sinne der Erfinder? Zu dieser Frage begrüße ich den Wirtschafts- und Währungsexperten Professor Wilhelm Hankel. Er hat in führenden Positionen verschiedener Ministerien gewirkt und war in den siebziger Jahren auch Chef der Hessischen Landesbank, dann lehrte er an Harvard und erstellte Gutachten für die Weltbank, heute lehrt er an der Frankfurter Goethe-Universität. Guten Morgen, Herr Hankel.

Moderation: Jürgen Liminski |
    Wilhelm Hankel: Guten Morgen, Herr Liminski.

    Liminski: Herr Hankel, was war die Ursprungsidee, als die sechs Regierungschefs vor 24 Jahren am Kamin des Schlosses Rambouillet das erste Mal zusammenkamen?

    Hankel: Wenn man es nicht ganz so romantisch sieht, wie die Beteiligten, dann war es ein Gang nach Canossa. Man musste 1975 erkennen, dass man zwei Jahre zuvor einen schweren Fehler gemacht hatte. Man hat nämlich das Koordinationsgremium der Weltwirtschaft, was es bis damals gab, das Bretton-Woods-System, in die Luft gesprengt. Daran waren im Wesentlichen die beteiligt, die nach Rambouillet eingeladen haben, nämlich der französische Staatspräsident Giscard d'Estaing und der deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt. Denn in den zwei Jahren ohne ein Bretton-Woods-System war in der Weltwirtschaft praktisch das Chaos ausgebrochen. Wir hatten die Ölkrise, wir hatten erst die Verdreifachung und dann die Verzehnfachung des Ölpreises und blickten - ich übertreibe nicht - in einen Abgrund. Deswegen traf man sich in Rambouillet, um zu sehen, wie man den Schaden wieder beheben könne.

    Liminski: Aus diesem trauten Kreis in Rambouillet ist nun eine Mega-Veranstaltung geworden, und die Expansion ist offenbar noch nicht beendet. Man redet von China als Nummer Neun, und irgendwann wird wohl auch Indien dazugehören. Ist das überhaupt sinnvoll?

    Hankel: Ja, es wird langsam ein Ball der Großen. Wer immer eine gewisse Größe erreicht hat, der darf auf dem Weltwirtschaftsgipfel tanzen. Die Frage ist jedoch, ob ein solches Unterfangen vernünftig ist, denn unsere Welt, unsere Weltwirtschaft, besteht ja nicht nur aus den acht oder den demnächst zehn großen, sondern aus 150 oder 160 kleinen Ländern und Volkswirtschaften. Die haben dann ganz andere Sorgen als wir, und deshalb frage ich mich seit langem: Wie sinnvoll ist ein solches Weltdirektorat, wo sich die Großen treffen, über ihre Sorgen reden und eigentlich nur am Rande über die Sorgen des größten Teils der Menschheit, der in der Dritten Welt lebt - auch in der vierten Welt, jedenfalls in Ländern, die oft auf solchen Gipfeln nicht repräsentiert sind oder bestenfalls als Zeugen, als Zaungäste vernommen werden, wie jetzt wieder.

    Liminski: Eine kleine UNO entsteht da vielleicht doch. Das sieht man ja nicht nur an der Form, auch inhaltlich hat sich Einiges geändert. Nun kann man mit Rathenow sagen: Wirtschaft ist unser Schicksal, und dieses erste Zusammenkommen in Rambouillet - wenn ich Sie recht verstehe - hatte ja auch etwas Schicksalhaftes. Man musste wieder eine neue Weltordnung finden. Wo ließen sich denn inhaltlich Grenzen ziehen, um dem G-8-Treffen eine gewisse Eigenständigkeit zu verleihen? Oder anders gefragt: Welche Themen sind spezifisch für G-8, so dass es kein anderes Forum für sie gibt?

    Hankel: Man muss als Realist zwei Dinge sehen: Das Eine ist, diese Weltwirtschaftsgipfel haben ja gar keinen logistischen Unterbau, sie haben ja noch nicht einmal ein festes Sekretariat. Hier können Probleme zwar behandelt, aber nicht gelöst werden. Sie werden ja auch gar nicht wissenschaftlich unterfüttert. Auf der anderen Seite haben wir für die Analyse unserer Probleme etablierte Organisationen. Wir haben ja nach wie vor den internationalen Währungsfond, wir haben die Weltbank, wir haben die OECD, wir haben die Wirtschaftsorganisationen der UNO, und die analysieren schon sehr richtig. Die analysieren sehr oft die Probleme anders, als sie auf den Weltwirtschaftsgipfeln verhandelt werden. Die eine Frage ist: Braucht man sie überhaupt? Die andere Frage ist: Sind dort die richtigen Leute versammelt? Ich denke, eine Reform dieser Weltwirtschaftsgipfel, wenn man sie beibehält, könnte nur darin liegen, dass man die Dritte Welt stärker gewichtet. Die Dritte Welt, das ist die Menschheit, das sind unsere Probleme, und das sind vor allen Dingen unsere ungelösten Probleme. Darum würde ich es für vernünftiger halten, wenn man statt des Festes der großen, nun auch eine Repräsentation der kleinen und der armen Länder dieser Erde dort errichtet.

    Liminski: In gewissem Sinne geschieht das ja, denn auf der Tagesordnung auf Sea Island stehen so ziemlich alle Themen, die derzeit auf der Welt diskutiert werden - unter anderem eben auch die Armut. Wenn auch andere Themen mit der Weltwirtschaft nur am Rande damit etwas zu tun haben, Sicherheit im Flugverkehr, Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen, von Terrorismusbekämpfung und so weiter. Unser Korrespondent sagte vorhin, heute würden zwölf Papiere verabschiedet. Bei dieser Menge von Themen stellt sich doch die Frage: Kann man das nicht alles auch in der UNO machen?

    Hankel: Ja, es werden Papiere verabschiedet, aber keine Lösungen. Darin liegt eben das Problem. Was den Weltwirtschaftsgipfel im Gegensatz zur UNO auszeichnet - nicht gerade positiv - ist, dass er sanktionslos ist. Die UNO kann Beschlüsse fassen, sie hat den Sicherheitsrat, sie kann sogar in gewissem Sinne Macht ausüben, Truppen schicken. Die UNO ist viel handlungsfähiger; dieser Gipfel ist folgenlos. Deswegen ist entweder zu überlegen, diesem Gipfel den Rang eines Europäischen Wirtschaftsparlaments zu geben oder aber den Gipfel wieder in die UNO zurück zu integrieren. Denn er ist eigentlich ein Ausschnitt aus dem Sicherheitsrat der UNO.

    Liminski: Wenn ich Ihre Äußerungen sozusagen mal in einer Frage bündeln darf: Würden Sie die Institution der G-8-Plus als überflüssig bezeichnen?

    Hankel: Für die Menschheit als Ganzes sicherlich, für die beteiligten Politiker gewiss nicht, denn es ist ja kein Zufall, dass diese Gipfel immer dann besonders heftig auch in die Medien geraten, wenn es zu Hause Probleme gibt. Sie sind so eine Art Selbstdarstellung der großen Länder und ihrer Politiker geworden, und als solche werden sie dann auch wohl kaum abgeschafft werden. Es ist ja seit Langem eine Frage, ob man für die Verständigung der Nationen solche Show-Veranstaltungen braucht. Im Zeitalter von Telefon, Telegraf und drahtloser Verständigung ist das ja ein Anachronismus. Ich könnte mir denken, dass eine Rückverlagerung der Gipfelthemen in die großen, dafür geschaffenen Organisationen, die ja an diesem Gipfel überhaupt nicht vertreten sind, dass das die besseren Resultate bringen würde. Mein Rat: Gebt es zurück in die OECD, gebt es zurück in den IWF, gebt es zurück in die Weltbank und trefft euch öfter dort, weil ihr dann ja auch die Täter, die Leute dabei habt, die das Ganze umsetzen.

    Liminski: Das war Professor Wilhelm Hankel, Wirtschafts- und Finanzexperte. Besten Dank für das Gespräch, Herr Hankel.