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Wirtschaftsexperte kritisiert Lohnforderungen der IG Metall

Der Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, hält die Forderung der IG Metall nach fünf Prozent Lohn- und Gehaltssteigerungen für überzogen. Verteilbar sei nur das, was sich aus der Produktivität ergebe. Aufgrund der Investitionsschwäche der Vorjahre liege diese in Deutschland bei nur etwa einem Prozent, so Hüther.

Moderation: Bettina Klein |
    Bettina Klein: Am Telefon begrüße Professor Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln, guten Morgen Herr Hüther.

    Michael Hüther: Guten Morgen.

    Klein: Fünf Prozent Lohn- und Gehaltssteigerungen fordert die IG-Metall wahrscheinlich offiziell für das gesamte Bundesgebiet. Nimmt die Gewerkschaft da den Wirtschaftsminister mal beim Wort?

    Hüther: Ja, ich denke aber, auch ohne die Hilfe von Herrn Glos wären Sie auf diese Größenordnung gekommen. Das Problem ist ja, wir müssen als Ökonom immer darauf hinweisen: Verteilbar ist nur das, was sich aus der Leistungssteigerung bei der Arbeit im Jahr als neuer Verteilungsspielraum auch ergibt und das nennen wir die Produktivität. Das ist erst mal der Ausgangspunkt und die Produktivität, das ist leider das Problem, ist in Deutschland in den letzten Jahren deutlich niedriger in der Entwicklung gewesen als früher. Das hat zu tun mit der Investitionsschwäche der Vorjahre und liegt etwa nur noch bei gut einem Prozent. Und an dieser Marke muss man sich orientieren, vor allen Dingen, wenn man nicht weitere Beschäftigung gefährden will. Das ist die einfache ökonomische Regel.

    Klein: Nun macht die Gewerkschaft natürlich eine andere Rechnung auf und sagt zum Beispiel definitiv fürs Tarifgebiet Sachsen: Inflationsrate plus Produktivitätszuwachs macht zusammen schon mal vier Prozent und das sei viel realistischer als nur eines.

    Hüther: Also, man kann jetzt hier alles fein rechnen, aber natürlich sind diese genannten vier Prozent zu hoch, denn wir haben Inflation dauerhaft erwartbar unter zwei Prozent. Wir dürfen aber gerade auch nicht die Inflationsrate nehmen, die wir als Konsumenten messen, sondern es muss ja auf die Unternehmensmöglichkeit bezogen werden und das sind die Erzeugerpreise, also das, was die Unternehmen an Preissteigerungen realisieren können. Die sind erstens deutlich niedriger und zweitens haben wir verzerrende Effekte durch Preissteigerungen, die durch den Ölmarkt weltweit begründet sind. Das hat nichts mit der deutschen Situation zu tun, sondern heißt, wir geben Einkommen an die Welt ab, weil dort das Öl teurer wird und wir haben auch Effekte durch höhere Steuern im Verbrauchsbereich, Tabaksteuern beispielsweise, so dass man hier sehr genau hinsehen muss. Bei der Preissteigerung bleibt wenig und wenn wir genau hin sehen, ist es ja auch nicht so, dass wir hier frühere Inflationszeiten erleben, nein, es ist nüchtern zu sehen: Wir haben hohe Unterbeschäftigung in der Ausgangssituation, wenn wir die gesamtwirtschaftliche Trendproduktivität nehmen, gut ein Prozent, dann ist das gerade das höchste der Gefühle, denn Kaufkraft entsteht nicht dadurch, dass wir mal eine Runde ausgeben, sondern entsteht dadurch, dass Sicherheit am Arbeitsmarkt über die Beschäftigungsperspektiven entsteht. Das ist das, was wir aus den letzten Jahren wissen.

    Klein: Also Sie halten den Appell von Bundeswirtschaftsminister Glos da ökonomisch für nicht sinnvoll?

    Hüther: Nein, Kaufkraft - noch mal - entsteht nicht dadurch, dass wir einfach die Einkommen erhöhen, sondern dass wir die Perspektiven über eine verlässliche, wirtschaftliche Entwicklung stärken. Das hat was mit der Wirtschaft insgesamt zu tun, dass Zutrauen entsteht, Vertrauen entsteht in das, was gemacht wird und was die Pläne sind und aber vor allen Dingen auch dadurch, dass am Arbeitsmarkt die Weichen gestellt werden. Und das wäre das fatale: Wir haben in den letzten zehn Jahren in der Tat eine moderate Lohnpolitik betrieben und das Signal, was jetzt gesendet wird von den Gewerkschaften ist, dass hier möglicher Weise eine Trendumkehr eintreten könnte. Das wäre eigentlich genau das, was wir nicht brauchen. Wir müssen ein Stück weiter gehen den Weg, den wir bisher gegangen sind und vor allen Dingen auch der betrieblichen Öffnung. Das sind die wichtigen Schritte vor zwei Jahren mit dem Pforzheimer Abschluss gewesen und das hat in der Tat ja viele Beschäftigung gesichert.

    Klein: Ja, hat Beschäftigung gesichert, aber natürlich auch viele Arbeitsplätze gekostet, das muss man auch mal sehen.

    Hüther: Arbeitsplätze gekostet haben diese Ergänzungstarifverträge nicht. Die Möglichkeit, die betriebliche Ebene zu berücksichtigen, hat in vielen Fällen zumindest Beschäftigungen, Wertschöpfungen gesichert. Mir ist nicht bekannt, dass ein Ergänzungstarifvertrag Beschäftigung gefährdet hat. Es ist natürlich immer so: Wir haben unternehmerische Rahmenbedingungen in bestimmten Situationen, wir haben vielleicht auch unternehmerisches Handeln, das nicht angemessen ist, das mit Fehlern behaftet ist. So ist die Welt nun mal, aber das ist ja kein Beleg dafür, im Einzelfall, dass der Ansatz an sich falsch ist.

    Klein: Es gibt natürlich auch in der Metallbranche große Unterschiede zwischen den Unternehmen, einigen geht es blendend, BMW ist so ein Beispiel, andere wie Siemens oder Opel haben ordentlich zu schlucken gehabt und hier haben Arbeitnehmer auch immer wieder auf Geld und Freizeit verzichtet, um ihre Jobs zu retten. Ist vor dem Hintergrund es nicht auch verständlich, dass man sagt, "Gut, jetzt vielleicht doch auch mal ein anderer Weg"?

    Hüther: Ich kann das durchaus verstehen, dass diese öffentliche Stimmung entsteht und dass man sagt, wir haben das jetzt lang genug gemacht und irgendwie muss es doch auch mal gut sein damit und in diesen Kanon ordnet sich ja sicherlich auch ein, was der Bundeswirtschaftsminister gesagt hat. Nur die Welt um uns herum ist auch nicht stehen geblieben und wir hatten halt einen großen Nachteil erstmal auszugleichen und wir sind mit den Arbeitskosten je Stunde immer noch ziemlich weit vorne und wir sehen ja, wir werden beispielsweise mit den Arbeitskosten in bestimmten Qualifikationssegmenten im unteren Bereich mit Sicherheit nicht Exportweltmeister, sondern wir werden es nur dadurch, dass wir das international einkaufen. Die unterschiedliche Situation der Unternehmen, die kann man ja gerade durch Differenzierungen berücksichtigen. Wir haben, wie Sie es andeuten, eine enorme Spannbreite, aber deshalb muss man diese Differenzierung eröffnen und dann kann man auch Wege gehen der Gewinnbeteilung, der Ertragsbeteiligung auf der unternehmerischen Ebene, die diese Sondersituation über Einmalzahlungen, oder wie auch immer gekoppelt, auch dann möglich werden lässt für die einzelnen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in ihren Haushaltseinkommen.

    Klein: Wie wird dieser Arbeitskampf, der möglicherweise bevorsteht, jetzt ablaufen nach Ihrer Prognose? Fünf Prozent, das werden die Arbeitgeber wohl erst mal nicht mitmachen, wenn man die ersten Signale richtig deutet. Rechnen Sie mit Streik?

    Hüther: Ich weiß nicht, ob es dazu kommt. Ich meine, die öffentlichen Marken, die jetzt vorgenannt werden und diese fünf Prozent sind ja zunächst einmal noch etwas ritualhaft. Man wird wirklich sehen müssen, der Streik, glaube ich, ist dann vermeidbar, wenn wir anknüpfen können an die Logik früherer Jahre, gerade auch an die Verhandlungen vor zwei Jahren in Pforzheim, die ja doch gerade für den Metallbereich ein Durchbruch waren und auch ein Nachholen bedeuten. Wenn Sie das mit der chemischen Branche beispielsweise vergleichen, wo wir Anfang der 70er Jahre den letzten Streik hatten, wo wir sehr kooperative Sozialpartnerschaftliche Verhältnisse haben, wo sehr stark betriebliche Öffnungen genutzt werden und diese eigentlich der Branche, das sieht man ja auch, gut tut. Und ich setze doch sehr darauf, dass man darauf zurückkommt, denn das Argument, Wertschöpfung in Deutschland zu halten, Beschäftigung hier zu halten, sollte doch überzeugen.

    Klein: In Zahlen, wo sehen Sie, nach Ihrer Meinung, vernünftige Lösungen?

    Hüther: Also noch mal gesagt, ökonomisch liegt bei diesem gut ein Prozent eigentlich die Oberkante dessen, was wir gesamtwirtschaftlich vertreten können. Das schließt dann betriebliche Differenzierungen nicht aus, aber so kann man den Weg versuchen, dass man sagt, hier liegt die Marke, die Trendproduktivität ist in dieser Größenordnung zu ermitteln, da führt kein Weg dran vorbei. Und jetzt müssen wir mal schauen, kann das durch Regelungen der betrieblichen Öffnung durch Bindungen mit Einmalzahlungen dort wo Unternehmen das aus ihrer Ertragslage, ihrer Marktmöglichkeit können, ergänzt werden? Das scheint mir, ökonomisch gesehen, ein gangbarer Weg zu sein, ob die Verhandlungen dies am Ende erbringen, das ist eine ganz andere Logik. Wir wissen, das ist immer der Geist, der tief in der Nacht über die Verhandlungspartner kommt.

    Klein: Professor Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft in Köln, schönen Dank Herr Hüther.