Christoph Heinemann: : Schluck aus der Pulle oder Nachschlag in die Tüte. Politik und Sozialpartner diskutieren über die Lohnentwicklung. Sogar Arbeitgeber stellen Prozentpunkte in Aussicht, wo bisher über die Stellen hinter dem Komma gefeilscht wurde.
Am Telefon ist Professor Joachim Scheide, der Leiter des Prognosezentrums des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel. Guten Tag!
Prof. Joachim Scheide: Guten Tag!
Heinemann: : Herr Professor Scheide, zur Lohnentwicklung gibt es wie gehört sehr viele Wortmeldungen aus der Politik. Gilt in Deutschland eigentlich noch die Tarifautonomie?
Scheide: Ja natürlich gilt sie noch! Die Tarifparteien sind gefordert, bei den nächsten Tarifrunden über die Tariflöhne zu entscheiden. Daran ändert sich auch nichts, wenn sich jetzt Politiker zu Wort melden. Man kann jetzt fragen, was der Hintergrund dieser Wortmeldungen ist. Man wünscht sich vielleicht einen besseren privaten Konsum in Deutschland. Grundsätzlich gilt aber die Tarifautonomie und daran ändert sich jetzt auch durch die Einwürfe nichts.
Heinemann: : Welche Folgen haben höhere Löhne für den Arbeitsmarkt?
Scheide: Wir haben in den vergangenen Jahren tatsächlich eine zurückhaltende Lohnpolitik gehabt. Die haben wir als Wirtschaftswissenschaftler immer wieder gefordert. Wir sehen jetzt eigentlich die Früchte dieser Politik. Der Arbeitsmarkt hat sich erstaunlich gut entwickelt in diesem Jahr. Die Arbeitslosigkeit ist deutlich gesunken, die Beschäftigung ist gestiegen. Das ist genau das, was man erwartet, wenn die Löhne hinter dem Produktivitätsfortschritt zurückbleiben, also eine zurückhaltende Lohnpolitik betrieben wird. Da das über Jahre angelegt ist, kann diese Erholung auf dem Arbeitsmarkt auch von Dauer sein. Man muss jetzt davor warnen, dass man diese Lohnzurückhaltung jetzt aufgibt. Dann würde man die Erholung auf dem Arbeitsmarkt gefährden.
Heinemann: : Was heißt das jetzt für die kommende Lohnrunde, wenn die Lohnzuwächse hinter dem Fortschritt der Arbeitsproduktivität zurückstehen sollten?
Scheide: Diese Politik sollte fortgesetzt werden. Das heißt der Lohnanstieg sollte niedriger sein als der Produktivitätsfortschritt.
Heinemann: : Das heißt in%en ungefähr was?
Scheide: Ich würde jetzt mal bei den Nominallöhnen sagen, sie müssten für die Gesamtwirtschaft auf jeden Fall unter 2,5 Prozent sein. Hier muss man aber auch dazu sagen, die Tariflöhne setzen ja sozusagen die Untergrenze fest. Eigentlich sollte man die Untergrenze nicht zu hoch ziehen, damit auch die zum Zuge kommen, bei denen die Produktivität nicht so stark steigt. Wenn jetzt die Arbeitsnachfrage nach bestimmten Fachkräften sehr stark zunimmt, dann dürfen die natürlich auch sehr viel mehr verdienen. Dort soll sich der Lohn dann auch so entwickeln, wie der Markt es vorgibt. Wenn die Nachfrage nach Arbeitskräften oder nach Fachkräften sehr hoch ist, sollen die natürlich einen höheren Lohn bekommen. Nur wir dürfen sozusagen die Mindestgrenze nicht so hoch setzen, denn dann werden die betroffen, die nicht so produktiv sind, oder dann wären die Firmen betroffen, denen es auch nicht so gut geht.
Heinemann: : Können Sie sich vorstellen, dass die Gewerkschaften sich mit einer zwei vor dem Komma zufrieden geben?
Scheide: Einige vielleicht schon. Ich meine wir werden ja auch in der Gesamtwirtschaft ganz unterschiedliche Abschlüsse haben. Im öffentlichen Dienst haben wir wahrscheinlich eine Null vorm Komma. Diese Richtgröße, die ich eben nannte, gilt ganz generell, aber das mag nach Branchen ganz unterschiedlich sein. Die Stahlindustrie kann möglicherweise ganz anders abschließen als die Chemie. Da sollte man durchaus eine Differenzierung zulassen. Das richtet sich auch nach der Lage in diesen Branchen.
Heinemann: : "Lieber in Arbeitsplätze investieren, als Lohntüten zu füllen", meint Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt. Was ist wichtiger, Jobs oder Konsum?
Scheide: Man kann nicht beides haben. Wir werden den Konsum nur dann bekommen, wenn wir auch tatsächlich mehr Jobs produzieren auf mittlere Sicht. Die Lohnzurückhaltung, die wir hatten, führt dazu, dass mehr Jobs entstehen und dann steigt auch das verfügbare Einkommen der Volkswirtschaft insgesamt. Es nützt der Volkswirtschaft insgesamt nichts, wenn einige eine volle Lohntüte haben, die anderen jedoch arbeitslos werden durch die Lohnpolitik, die sich nicht nach dieser Richtschnur der Produktivität richtet. Deshalb ist davor zu warnen, jetzt die Lohntüten füllen zu wollen. Das wäre genau der falsche Schritt und das könnte auch die Erholung auf dem Arbeitsmarkt zum Stillstand bringen.
Heinemann: : Muss die Lohndebatte in Ostdeutschland anders geführt werden?
Scheide: Eigentlich nicht. Man kann sie ein bisschen anders führen, weil dort die Tarifbindung nicht mehr so umfangreich ist wie im Westen. Im Prinzip gelten die ökonomischen Gesetze aber genauso für Ostdeutschland.
Heinemann: : Herr Professor Scheide, die höhere Mehrwertsteuer werden vor allem die unteren Lohngruppen und Familien zu spüren bekommen. Besteht nicht die Gefahr, dass immer mehr Menschen in die "Unterschicht" geraten, wenn man ihnen nicht einen Zuschlag in die Lohntüte gewährt?
Scheide: Ja, hier haben wir ein großes Problem und das kann man sicherlich nicht mit einem Satz beantworten. Der Staat will die Mehrwertsteuer erhöhen und will diese Umverteilung zu Gunsten des Staates durchziehen. dass das zu Lasten derjenigen geht, die konsumieren oder die auch eine feste Rente beziehen, ist völlig klar. Ich glaube da gibt es aber auch keinen Weg vorbei. Man kann jetzt nicht als Ausgleich sozusagen für diese unteren Lohngruppen einen höheren Zuschlag fordern. Dann würden genau diese Arbeitsplätze gefährdet und in Deutschland ist es ja so, dass gerade die Niedriglohngruppen, die Geringqualifizierten sehr stark unter der Arbeitslosigkeit leiden. Dieses Problem würde man verschärfen, wenn man so vorginge.
Heinemann: : Wird die Europäische Zentralbank höhere Löhne mit höheren Zinsen quittieren?
Scheide: Ich würde sagen im Prinzip ja. Das kommt darauf an, wie sich das auf die Inflationsaussichten auswirkt. Sollte es in Deutschland einen kräftigen Lohnanstieg geben, dann würde das Auswirkungen haben auf die Inflationsprognose nicht nur der EZB, sondern allgemein. Das würde die EZB sicherlich veranlassen, die Zinsen eventuell stärker anzuheben, als sie es bislang plant.
Heinemann: : In den "Informationen am Mittag" sprachen wir mit Professor Joachim Scheide vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
Scheide: Auf Wiederhören!
Am Telefon ist Professor Joachim Scheide, der Leiter des Prognosezentrums des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel. Guten Tag!
Prof. Joachim Scheide: Guten Tag!
Heinemann: : Herr Professor Scheide, zur Lohnentwicklung gibt es wie gehört sehr viele Wortmeldungen aus der Politik. Gilt in Deutschland eigentlich noch die Tarifautonomie?
Scheide: Ja natürlich gilt sie noch! Die Tarifparteien sind gefordert, bei den nächsten Tarifrunden über die Tariflöhne zu entscheiden. Daran ändert sich auch nichts, wenn sich jetzt Politiker zu Wort melden. Man kann jetzt fragen, was der Hintergrund dieser Wortmeldungen ist. Man wünscht sich vielleicht einen besseren privaten Konsum in Deutschland. Grundsätzlich gilt aber die Tarifautonomie und daran ändert sich jetzt auch durch die Einwürfe nichts.
Heinemann: : Welche Folgen haben höhere Löhne für den Arbeitsmarkt?
Scheide: Wir haben in den vergangenen Jahren tatsächlich eine zurückhaltende Lohnpolitik gehabt. Die haben wir als Wirtschaftswissenschaftler immer wieder gefordert. Wir sehen jetzt eigentlich die Früchte dieser Politik. Der Arbeitsmarkt hat sich erstaunlich gut entwickelt in diesem Jahr. Die Arbeitslosigkeit ist deutlich gesunken, die Beschäftigung ist gestiegen. Das ist genau das, was man erwartet, wenn die Löhne hinter dem Produktivitätsfortschritt zurückbleiben, also eine zurückhaltende Lohnpolitik betrieben wird. Da das über Jahre angelegt ist, kann diese Erholung auf dem Arbeitsmarkt auch von Dauer sein. Man muss jetzt davor warnen, dass man diese Lohnzurückhaltung jetzt aufgibt. Dann würde man die Erholung auf dem Arbeitsmarkt gefährden.
Heinemann: : Was heißt das jetzt für die kommende Lohnrunde, wenn die Lohnzuwächse hinter dem Fortschritt der Arbeitsproduktivität zurückstehen sollten?
Scheide: Diese Politik sollte fortgesetzt werden. Das heißt der Lohnanstieg sollte niedriger sein als der Produktivitätsfortschritt.
Heinemann: : Das heißt in%en ungefähr was?
Scheide: Ich würde jetzt mal bei den Nominallöhnen sagen, sie müssten für die Gesamtwirtschaft auf jeden Fall unter 2,5 Prozent sein. Hier muss man aber auch dazu sagen, die Tariflöhne setzen ja sozusagen die Untergrenze fest. Eigentlich sollte man die Untergrenze nicht zu hoch ziehen, damit auch die zum Zuge kommen, bei denen die Produktivität nicht so stark steigt. Wenn jetzt die Arbeitsnachfrage nach bestimmten Fachkräften sehr stark zunimmt, dann dürfen die natürlich auch sehr viel mehr verdienen. Dort soll sich der Lohn dann auch so entwickeln, wie der Markt es vorgibt. Wenn die Nachfrage nach Arbeitskräften oder nach Fachkräften sehr hoch ist, sollen die natürlich einen höheren Lohn bekommen. Nur wir dürfen sozusagen die Mindestgrenze nicht so hoch setzen, denn dann werden die betroffen, die nicht so produktiv sind, oder dann wären die Firmen betroffen, denen es auch nicht so gut geht.
Heinemann: : Können Sie sich vorstellen, dass die Gewerkschaften sich mit einer zwei vor dem Komma zufrieden geben?
Scheide: Einige vielleicht schon. Ich meine wir werden ja auch in der Gesamtwirtschaft ganz unterschiedliche Abschlüsse haben. Im öffentlichen Dienst haben wir wahrscheinlich eine Null vorm Komma. Diese Richtgröße, die ich eben nannte, gilt ganz generell, aber das mag nach Branchen ganz unterschiedlich sein. Die Stahlindustrie kann möglicherweise ganz anders abschließen als die Chemie. Da sollte man durchaus eine Differenzierung zulassen. Das richtet sich auch nach der Lage in diesen Branchen.
Heinemann: : "Lieber in Arbeitsplätze investieren, als Lohntüten zu füllen", meint Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt. Was ist wichtiger, Jobs oder Konsum?
Scheide: Man kann nicht beides haben. Wir werden den Konsum nur dann bekommen, wenn wir auch tatsächlich mehr Jobs produzieren auf mittlere Sicht. Die Lohnzurückhaltung, die wir hatten, führt dazu, dass mehr Jobs entstehen und dann steigt auch das verfügbare Einkommen der Volkswirtschaft insgesamt. Es nützt der Volkswirtschaft insgesamt nichts, wenn einige eine volle Lohntüte haben, die anderen jedoch arbeitslos werden durch die Lohnpolitik, die sich nicht nach dieser Richtschnur der Produktivität richtet. Deshalb ist davor zu warnen, jetzt die Lohntüten füllen zu wollen. Das wäre genau der falsche Schritt und das könnte auch die Erholung auf dem Arbeitsmarkt zum Stillstand bringen.
Heinemann: : Muss die Lohndebatte in Ostdeutschland anders geführt werden?
Scheide: Eigentlich nicht. Man kann sie ein bisschen anders führen, weil dort die Tarifbindung nicht mehr so umfangreich ist wie im Westen. Im Prinzip gelten die ökonomischen Gesetze aber genauso für Ostdeutschland.
Heinemann: : Herr Professor Scheide, die höhere Mehrwertsteuer werden vor allem die unteren Lohngruppen und Familien zu spüren bekommen. Besteht nicht die Gefahr, dass immer mehr Menschen in die "Unterschicht" geraten, wenn man ihnen nicht einen Zuschlag in die Lohntüte gewährt?
Scheide: Ja, hier haben wir ein großes Problem und das kann man sicherlich nicht mit einem Satz beantworten. Der Staat will die Mehrwertsteuer erhöhen und will diese Umverteilung zu Gunsten des Staates durchziehen. dass das zu Lasten derjenigen geht, die konsumieren oder die auch eine feste Rente beziehen, ist völlig klar. Ich glaube da gibt es aber auch keinen Weg vorbei. Man kann jetzt nicht als Ausgleich sozusagen für diese unteren Lohngruppen einen höheren Zuschlag fordern. Dann würden genau diese Arbeitsplätze gefährdet und in Deutschland ist es ja so, dass gerade die Niedriglohngruppen, die Geringqualifizierten sehr stark unter der Arbeitslosigkeit leiden. Dieses Problem würde man verschärfen, wenn man so vorginge.
Heinemann: : Wird die Europäische Zentralbank höhere Löhne mit höheren Zinsen quittieren?
Scheide: Ich würde sagen im Prinzip ja. Das kommt darauf an, wie sich das auf die Inflationsaussichten auswirkt. Sollte es in Deutschland einen kräftigen Lohnanstieg geben, dann würde das Auswirkungen haben auf die Inflationsprognose nicht nur der EZB, sondern allgemein. Das würde die EZB sicherlich veranlassen, die Zinsen eventuell stärker anzuheben, als sie es bislang plant.
Heinemann: : In den "Informationen am Mittag" sprachen wir mit Professor Joachim Scheide vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
Scheide: Auf Wiederhören!