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Wirtschaftsexperte warnt vor Aufweichung des Stabilitätspakts

Durak: Wie weit darf die Reform des EU-Stabilitäts- und Wachstumspaktes gehen, ohne eines seiner wichtigsten Ziele ad absurdum zu führen, nämlich die Verpflichtung zur strikten Haushaltsdisziplin, keine Überschreitung der selbst gesetzten Grenzwerte durch Defizite, durch Schulden? Über diese Frage wird in Deutschland, in der EU je heftiger gestritten, desto näher der Tag der Entscheidung rückt, denn Mitte/Ende März wollen ja die EU-Staats- und Regierungschefs auf ihrem Gipfel einen Reformbeschluss fassen. Die EU-Finanzminister seien sich gestern Abend etwas näher gekommen, hieß es aus Brüssel. Wie dem auch sei, in Berlin berät heute der Finanzausschuss des Bundestages dazu, und ich will jetzt darüber sprechen mit Professor Rolf Peffekoven. Er ist Direktor des Instituts für Finanzwissenschaften in Mainz. Herr Peffekoven, ist aus Ihrer Sicht der Stabilitäts- und Wachstumspakt vor den Reformern noch zu retten?

    Peffekoven: Also wir müssen davon ausgehen, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt ja heute schon stark beschädigt worden ist, weil eben drei Jahre lang zwei große Länder, Frankreich und Deutschland, die drei Prozent überschritten haben, ohne dass das die Konsequenzen gehabt hat, die der Vertrag eigentlich vorsieht, also im konkreten Fall Sanktionen. Er ist sehr stark beschädigt, und was jetzt in Brüssel betrieben wird, ist eine weitere Aufweichung des Paktes, und wenn das Erfolg hat, dann, denke ich, wird man akzeptieren müssen, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt tot ist.

    Durak: Welche Folgen hätte das für die europäische Politik?

    Peffekoven: Wir haben ja ein solches fiskalisches Regelwerk in der Währungsunion deshalb eingerichtet, weil wir davon ausgehen können, dass in der Währungsunion, wenn ein Mitgliedsland eine unsolide Finanzpolitik betreibt, also hohe Defizite im Staatshaushalt eingeht, dass dann auch die Folgen von den anderen Mitgliedstaaten mitgetragen werden müssen, und vor allem entsteht in dieser Situation Druck auf die Europäische Zentralbank, eine eher leichte Geldpolitik zu betreiben, weil ja einem hoch verschuldeten Land nicht besser geholfen werden kann als mit niedrigen Zinsen und etwas Inflation. Deshalb ist letzten Endes bei unsolider Finanzpolitik die Aktion der Zentralbank beeinträchtigt und vor allen Dingen ist letzten Endes die Unabhängigkeit der Zentralbank gefährdet. Deshalb wird auch zu Recht gesagt, das führt dann dazu, dass die Stabilität der Währung leidet.

    Durak: Und welche Folgen hätte das für Investoren?

    Peffekoven: Das wird dazu führen, dass man natürlich dann mit höherer Inflation rechnen muss, und höhere Inflation bedeutet immer Verunsicherung für die Investoren, weil die Planbarkeit des Wirtschaftsprozesses darunter leiden wird.

    Durak: Halten Sie es für möglich, dass der Pakt in seiner jetzigen Form dennoch reformiert werden kann? Ich denke daran, dass die Entscheidung über die Bestrafung von Defizitsündern ja in den Händen der Sünder selbst liegt.

    Peffekoven: Das ist ja das eigentliche Problem. Es hätte ein Pakt geschaffen werden müssen – und das ist auch seinerzeit zunächst von deutscher Seite so vorgeschlagen worden und es ist auch vom Sachverständigenrat in Deutschland in die Diskussion gebracht worden -, dass man sagt, wer drei Prozent Defizitquote überschreitet, wird automatisch mit Sanktionen zu rechnen haben. Das hat man leider nicht gemacht, weil kein Land bereit ist, sich in dieser Weise in die eigene Finanzpolitik reinreden zu lassen. Das ist ja heute das eigentliche Problem, das hinter diesen Reformbemühungen steht. Das hat man nicht gemacht, und damit hat man die Entscheidung über Sanktionen dem politischen Entscheidungsprozess überlassen, und da sehen wir ja, was passiert. Drei Jahre lang, und ich prognostiziere, auch noch in einem vierten Jahr wird Deutschland die Defizitquote überschreiten, und es wird gar nichts passieren.

    Durak: Wie sinnvoll ist es denn angesichts der tatsächlichen Haushalts- und Finanzlagen der verschiedenen Länder einschließlich Deutschlands an den ursprünglichen Kriterien, also die Drei-Prozent-Grenze der Neuverschuldung festzuhalten? Das ist ja eine Zahl von vor Jahren.

    Peffekoven: Also die drei Prozent waren seinerzeit eine Zahl, die sicher nicht wissenschaftlich zu beweisen. Man kann nicht sagen, wer ein Defizit von 2,9 Prozent hat, liegt noch innerhalb der Ordnung, und wer 3,1 Prozent erreicht hat, ist schon ein Haushaltssünder. Man hat sich auf diese drei Prozent in der damaligen Situation geeinigt. Damals hat man ein Wirtschaftswachstum von etwa fünf Prozent gehabt, und dann kann man sagen, drei Prozent Defizitquote sind geeignet, um eine Schuldenstandsquote von 60 Prozent, die ja auch angestrebt wird, zu stabilisieren. Es ist nicht so, wie in Deutschland behauptet wird, dass dieser Stabilitätspakt keine Flexibilität in schwierigen Konjunkturlagen bringt. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn wir uns an die Regeln gehalten hätten, hätte das ja bedeutet, dass wir in normalen Zeiten einen ausgeglichenen Staatshaushalt hätten haben müssen. Kommt dann ein Konjunkturabschwung, dann hat man drei Prozent Defizitquote zur Verfügung. Das sind in absoluten Beträgen 60 Milliarden Euro. Damit kann man Konjunkturpolitik betreiben. Unser Fehler liegt darin, dass wir schon in guten Jahren die Defizitquote etwa zur Hälfte ausgenutzt haben.

    Durak: Wann waren diese guten Jahre?

    Peffekoven: Das war zum Beispiel im Jahr 2000. Da haben wir drei Prozent Wirtschaftswachstum gehabt – davon träumen wir im Augenblick -, und im Jahr 2000 haben wir dennoch eine gesamtstaatliche Defizitquote von auch schon annähernd 1,5 Prozent gehabt. Also war schon in guten Zeiten die Hälfte des Rahmens ausgeschöpft, und dann darf man sich weiß Gott nicht wundern, wenn man bei einem Konjunkturabschwung sehr schnell über die drei Prozent hinauskommt, was dann auch geschehen ist.

    Durak: Weshalb ist das so geschehen, aus mangelndem Sachverstand oder aus politischem Kalkül?

    Peffekoven: Das ist letzten Endes geschehen, weil man nicht bereit war, den Staatshaushalt auch in guten Zeiten zu konsolidieren. Die Konsolidierung des Staatshaushalts hätte damals schon bedeutet, dass man die Ausgaben gekürzt hätte. Politiker – das wissen wir aus der Erfahrung – sind nicht bereit, solche Operationen durchzuführen, weil sie natürlich immer irgendwen treffen müssen, und das sind eben dann auch Wähler. Deshalb sind hier Konsolidierungsaufgaben in guten Zeiten nicht gelöst worden, und die sind natürlich in schlechteren Zeiten um einiges schwieriger dann in den Griff zu bekommen.

    Durak: Was erwartet uns also?

    Peffekoven: Also ich befürchte, dass sich die Bemühungen durchsetzen, den Stabilitätspakt aufzuweichen, und das heißt, dass wir damit Gefahr laufen, dass wir die Stabilität des Euros gefährden.

    Durak: Besten Dank für das Gespräch.