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Wirtschaftsforscher für Mindestlöhne

Der Wirtschaftsforscher Gustav Adolf Horn begrüßt die Mindestlohn-Pläne von Bundesarbeitsminister Franz Müntefering (SPD). In vielen Branchen sei die Lohnfindung nicht mehr marktgerecht, sagte der Mitarbeiter der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Die Bundesregierung greife ein, um wieder ein Gleichgewicht der Kräfte herzustellen.

Moderation: Silvia Engels |
    Silvia Engels: Das Bundeskabinett hat soeben die Ausweitung des Entsendegesetzes auf den Weg gebracht. Hinter diesem sperrigen Wort verbirgt sich eine Regelung, die bislang nur in der Baubranche gilt. Danach müssen ausländische Arbeitnehmer, die hierzulande auf dem Bau arbeiten, nach deutschem Tariflohn bezahlt werden. Dieses Prinzip soll künftig auch für Gebäudereiniger gelten, und de facto schreibt das einen Mindestlohn für diese Branchen fest. Und auch das ist wohl erst ein Zwischenschritt.

    Am Telefon ist nun Gustav Adolf Horn. Er leitet das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung beim gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Institut. Guten Tag Herr Horn!

    Gustav Adolf Horn: Guten Tag!

    Engels: Herr Horn, wir haben es gehört. Wenn es nach Arbeitsminister Müntefering geht, werden noch mehr Branchen einen Mindestlohn bekommen, werden noch mehr Branchen einen Mindestlohn bekommen. Das soll Arbeitsplätze sichern. Aber wie soll das denn zusätzliche Jobs schaffen?

    Horn Nun, es schafft dadurch zusätzliche Jobs, dass einmal dort mehr Leute Beschäftigung suchen, weil sich dann Beschäftigung dort mehr lohnt für die Leute. Vor allen Dingen schafft es aber mehr Jobs durch erhöhte Nachfrage der Menschen, die dort dann höhere Einkommen verdienen und diese sicherlich auch wieder ausgeben.

    Engels: Die Nachfrage ist das eine, das andere ist aber, dass dieser Job erst mal geschaffen werden muss und die Arbeitgeber halten ja entgegen, dass Jobs zu teuer werden, wenn ein Mindestlohn zementiert wird. Warum sollte das Ihrer Meinung nach nicht so kommen?

    Horn: Wir sehen in vielen Bereichen in Deutschland, insbesondere in Ostdeutschland, dass die Lohnbildung nicht mehr marktgerecht ist. Es ist so, dass dort die Arbeitgeber im Grunde genommen Löhne diktieren, und das sind Löhne, die nicht den Markterfordernissen entsprechen. Das gibt es auch in anderen Ländern, und um hier sozusagen wieder ein Gleichgewicht der Kräfte herzustellen, verordnet der Staat in der einen oder anderen Form Mindestlöhne. Das ist genau das Ziel auch der Bundesregierung, das in den Branchen zu verordnen, wo tatsächlich kein Gleichgewicht mehr auf dem Markt herrscht.

    Engels: Aber das ist doch schwer zu sehen, wie dieses Gleichgewicht herzustellen ist. Da wird ja auch möglicherweise viel Arbeitskraft wieder in den Schwarzmarkt verdrängt?

    Horn: Weniger, denn natürlich werden auch die Unternehmen darauf achten, dass es nicht eine so genannte Schmutzkonkurrenz gibt, wo einfach nur durch Lohndumping auch ihre eigene Konkurrenzfähigkeit untergraben wird. Wenn es denn ein Gesetz gibt, dass ein bestimmter Mindestlohn gelten soll, dann riskiert ja der, der sich nicht daran hält, eine Bestrafung, und das dürfte doch die meisten davon abhalten, dieses zu tun.

    Engels: Also, Herr Horn, Sie sind von den neuen Gesetzesvorhaben begeistert?

    Horn: Begeistert ist zu viel gesagt. Lieber wäre es mir, wenn die Tariflöhne so funktionierten, wie das in der Vergangenheit auch der Fall war, dass man dieses Gesetz nicht brauchen würde, aber leider sind die Verhältnisse nicht mehr so.

    Engels: Das ist auch der Grund dafür, denn lange Zeit hatten sich die Gewerkschaften ja selbst mit einem Mindestlohn schwer getan. Das ist also der Grund dafür, dass sie jetzt dann doch zustimmen?

    Horn: Das ist richtig, weil die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer in weiten Bereichen insbesondere Ostdeutschlands so schwach geworden ist, dass man mit Tariflöhnen das Lohngefüge nicht mehr auffangen kann. Deshalb muss der Staat hier eingreifen.

    Engels: Auf der anderen Seite bemängeln die Arbeitgeber fehlende Flexibilität für einzelne, notleidende Unternehmen beispielsweise, wo sich ja auch die Gewerkschaften in der Vergangenheit häufig bewegt haben, um den ganzen Betrieb zu erhalten. Das würde doch demnächst dann damit einfach wegfallen?

    Horn: Nein. Die Gewerkschaften haben, glaube ich, an vielen Stellen immer wieder Flexibilität gezeigt, da wo es um einzelne Unternehmen geht und für eine zeitlich begrenzte Phase. Das wird auch in Zukunft der Fall sein, aber wir brauchen tatsächlich eine untere Grenze für die Lohnentwicklung. Wenn man sieht, dass teilweise Löhne von gut drei Euro nur gezahlt werden, dann erzielt man daraus ein Einkommen selbst bei Vollzeitbeschäftigung, das noch unter dem Sozialhilfesatz liegt.

    Engels: Wäre da nicht die andere Methode, die die CDU präferiert, eine günstigere, nämlich statt hier gesetzlich oder mit tariflichen Mindestlöhnen gegenzuwirken statt dessen Kombilohnmodelle zu fördern?

    Horn: Kombilohnmodelle, insbesondere wenn sie flächendeckend eingeführt werden, sind ordnungspolitisch sehr bedenklich, denn hier können dann Übereinkünfte sozusagen zu Lasten Dritter, sprich des Staates geschlossen werden. Die Unternehmen senken die Löhne weiter, die tatsächlich gezahlten Löhne sind niedrig, und der Staat springt einfach ein. Das geht dann zu Lasten der Steuerzahler. Und ich glaube, das kann nicht das Ziel der Aktion sein, insbesondere auch nicht der Politik, dass hier hohe Haushaltslasten entstehen, die aus den Vereinbarungen der Tarifparteien oder der Unternehmen herauskommen.

    Engels: Und bei diesem tariflichen Mindestlohn, von dem wir zu Anfang sprachen, wird kein Geschäft zu Lasten Dritter, in dem Fall gegenüber den Arbeitslosen geschlossen?

    Horn: Nein, denn das wäre nur dann der Fall, wenn die Lohnhöhe das große Problem wäre. Aber gerade bei Stundenlöhnen von drei Euro und etwas mehr kann die Lohnhöhe nicht das große Problem sein. In allen westlichen Industrieländern liegen die Mindestlöhne zum Teil deutlich höher. Das ist einfach das Ergebnis einer schwachen Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer.

    Engels: Blicken wir noch kurz auf eine andere Debatte, die ebenfalls im Kabinett und bei Franz Müntefering eine Rolle spielt, nämlich zum Arbeitslosengeld II. Herr Horn, da hatte sich die Bundesregierung erst vor einigen Monaten darauf verständigt, die Zuverdienstmöglichkeiten für Hartz-IV-Empfänger auszuweiten. Jetzt will Minister Müntefering das wieder begrenzen. Was halten Sie für besser?

    Horn: Nun, eigentlich müssten die Zuverdienstmöglichkeiten tatsächlich gut gegeben sein, um wirklich den Anreiz, in den Arbeitsmarkt hineinzugleiten, deutlich zu erhöhen. Aber das hat sich natürlich als sehr kostspielig herausgestellt. Besser wäre es, man konzentriert alle Energie darauf, wieder mehr Beschäftigung zu schaffen, damit tatsächlich auch diese Zahlungen, die hier über Hartz IV dann geleistet werden, sich wieder vermindern.

    Engels: Welche Folgen hat denn dieses Hickhack für den Arbeitsmarkt und letztlich auch die Planungssicherheit der Unternehmen?

    Horn: Nun, dieses Hickhack zeigt natürlich, dass man nicht vor und nicht zurück kommt. Es zeigt, dass die ganze Hartz-Reform natürlich eine Schieflage hat. Man kann hiermit nicht die Arbeitslosigkeitsprobleme letztendlich lösen. Letztendlich kommt es in der Tat auch noch teuer, weil die Mittel nicht sehr effizient eingesetzt werden. Es wirft einfach ein schlechtes Licht auf die ganzen Reformbemühungen.

    Engels: Besten Dank. Gustav Adolf Horn war das. Er leitet das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung beim Hans-Böckler-Institut, einem gewerkschaftsnahen Institut in Düsseldorf. Ich bedanke mich für das Gespräch!

    Horn: Gern geschehen!