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Wirtschaftsforscher Gerke begrüßt Klärung der Machtfrage bei VW

Der Wirtschaftswissenschaftler Wolfgang Gerke bewertet den Machtzuwachs der Porsche AG bei Volkswagen als positiv für beide Unternehmen und deren Mitarbeiter. "Unter dem Strich muss man sagen, es hätte viel schlechter kommen können", sagte Gerke, Direktor des Instituts für Banken und Börsenwesen an der Universität Erlangen-Nürnberg. Nun sei klar, dass Ferdinand Piech der starke Mann bei Volkswagen sei.

Moderation: Dirk Müller |
    Dirk Müller: Porsche übernimmt die Macht bei VW. So lauten viele Überschriften heute in den deutschen, aber auch in den internationalen Tageszeitungen. Porsche steigt also noch stärker ein als bisher, will sich die erhöhten Anteile rund eine Milliarde Euro kosten lassen. Aber das ist längst noch nicht alles, finanziell gesehen. Ein risikoreicher Schritt.

    Am Telefon ist jetzt Professor Wolfgang Gerke, Direktor des Instituts für Banken und Börsenwesen an der Universität Erlangen-Nürnberg. Guten Tag!

    Wolfgang Gerke: Grüß Gott, Herr Müller!

    Müller: Herr Gerke, braucht Volkswagen einen deutschen Retter?

    Gerke: Nicht unbedingt, aber aus nationaler Sicht ist das sicherlich eine interessante Lösung. VW kann natürlich auch mit einem ausländischen Investor gute Autos bauen und gute Geschäfte machen, aber wenn man den Standort Deutschland im Auge hat - und das liegt natürlich nahe bei Deutschen -, dann ist das eine Lösung, worüber man sehr zufrieden sein kann.

    Müller: Sie sagen also aus nationaler Sicht ja. Ist das noch sinnvoll, heutzutage national zu denken?

    Gerke: Kann man drüber streiten, aber aus Sicht der deutschen Nation ist das durchaus noch sinnvoll, denn die Franzosen denken auch sehr französisch und die Italiener denken italienisch. Jetzt hinzugehen und zu sagen, okay, soll General Motors oder jemand anderes, Toyota oder wie sie alle heißen oder ein Hedgefonds doch Porsche übernehmen und dann teilweise zerschlagen, das würde anderen Interessen, die neben den Aktionärsinteressen ja auch noch eine große Rolle spielen, zuwider laufen. Ich denke hier insbesondere an die vielen Mitarbeiter bei VW.

    Müller: Nehmen wir das Landespolitische einmal weg. Noch einmal diese Frage etwas anders gestellt: Braucht Volkswagen denn tatsächlich einen Retter?

    Gerke: Leider ja, wobei es nicht so dramatisch aussieht, dass man das jetzt Retter nennen muss. Aber ich glaube, VW braucht jemanden, der VW wieder auf Schwung bringt, der die durchaus innovativen Produkte noch besser im Markt platziert und die Konkurrenzfähigkeit von VW steigert. Da ist jemand, der da Druck macht und der auch in der Lage ist, hier zukunftsorientiert interessante Geschäftsmodelle durchzusetzen, sicherlich auch in einer Position eines Retters.

    Müller: Herr Gerke, um das noch einmal klar zu machen. Viele werden ja auch ein wenig verunsichert und verwirrt sein. Die haben heute Morgen in der Zeitung gelesen, es geht um 3,6 Prozent der Stammaktien. Hinterher ergibt das einen Anteil von 30,9 Prozent. Das sind noch nicht so die 50 plus 1. Das ist jedem einleuchtend, dass das natürlich so eine Marke ist, eine Wende ist, die wichtig ist. Sind diese 3,6 Prozent tatsächlich dafür prädestiniert, die Politik, die Innovation im Volkswagen-Konzern zu verändern?

    Gerke: Ja. Das darf man gar nicht unterschätzen. Es ist heutzutage absolut nicht notwendig, dass sie in einem Unternehmen 50 Prozent plus eine Aktie haben. Oftmals sind sie schon mit 20 Prozent so stark bei der Präsenz, die wir auf den Hauptversammlungen haben, dass sie die Politik eines Unternehmens bestimmen können. Wir haben das gesehen, bei der Deutschen Börse AG haben 15 Prozent gelangt, um das Management dort auszuhebeln. Hier ist ja der zweite große Aktionär das Land Niedersachsen und ansonsten Streuaktionäre. Und die Streuaktionäre sind auf Hauptversammlungen nicht sehr stark vertreten, so dass mit über 30 Prozent nun die Familie Piech und Porsche in der Tat demonstriert haben, wer das Lenkrad in Zukunft in der Hand hält, und das ist eindeutig Herr Piech.

    Müller: Wären umgekehrt gedacht, Herr Gerke, internationale Finanzinvestoren, auch diese viel beschworenen Hedgefonds und die viel befürchteten Hedgefonds, wäre das eine Katastrophe?

    Gerke: Nein. Eine Katastrophe wäre das nicht, aber es hätte die Geschicke von VW total verändern können. Es hätte die Gefahr bestanden, dass VW in Einzeleinheiten aufgelöst wird, dass Teile vielleicht sogar geschlossen werden und dass man dann vielleicht den Konzern zusammenbaut oder viele Töchter zusammenführt in anderen Einheiten und für die Aktionäre daraus einen Mehrwert kreiert, aber dieser Mehrwert für die Aktionäre muss kein Mehrwert für die Mitarbeiter sein. Und aus dieser Sicht ist es sehr zu begrüßen, dass das Land Niedersachsen und Porsche zusammen jetzt über 50 Prozent haben und damit die Begehrlichkeit von Finanzinvestoren natürlich geringer geworden ist.

    Müller: Gehen wir noch einmal genauer darauf ein. Wird mehr Porsche bei VW auch besser sein für die Mitarbeiter von VW?

    Gerke: Davon gehe ich aus. Die Mitarbeiter profitieren davon, wenn Synergieeffekte in der Entwicklungspolitik beiden Unternehmen zugutekommen. Da ist in der Vergangenheit schon vieles zusammen geschehen, und das wird in Zukunft intensiviert werden. Je besser die Produkte sind, je mehr sie auch in den Zeitgeist hinein passen, also je energiesparender, umweltschonender sie sind, umso besser. Auch Porsche hat da einen Nachholbedarf. Die Serie Cayenne, also der Geländewagen, wird sicherlich auch mit einem Motor, der umweltfreundlicher ist, noch besser zu verkaufen sein, als das jetzt der Fall ist.

    Müller: Wie groß ist das Risiko für Porsche?

    Gerke: Ich sehe für Porsche verglichen mit den Alternativen kein sonderlich großes Risiko. Porsche liegt hervorragend im Markt. Porsche verdient für die Aktionäre blendend, hat hoch anerkannte Produkte. Dennoch ist das Unternehmen, wenn es um teure Neuentwicklungen geht, natürlich so alleine auch nicht sonderlich günstig aufgestellt. Da kann Größe helfen, Kosten zu sparen. Da ist die Zusammenarbeit mit einem Unternehmen, mit dem man sowieso schon in der Vergangenheit intensiv verbunden war, besser als mit irgendeinem fremden Unternehmen. Von daher sehe ich eher eine Gefahr für die Manager von Porsche, die jetzt in Zukunft, auch wenn sie noch so erfolgreich in der Vergangenheit gewesen sind, noch stärker von den Familien Piech und Porsche abhängen. Wenn man sich anschaut, welch guten Ruf Herr Wiedeking genießt, dann muss man trotzdem dazu sagen, dass er in Zukunft letzten Endes auch trotz aller Erfolge voll von den Entscheidungen der Familie Piech abhängt.

    Müller: Warum trägt er das doch jetzt offiziell so offen mit?

    Gerke: Er hat gar keine andere Wahl, und sicherlich wird sein Einfluss erst einmal auch nicht geringer werden, sondern größer werden, denn er ist ja eine Vertrauensperson, die in der Vergangenheit das in sie gesetzte Vertrauen auch voll eingelöst hat. So etwas kann sich immer schnell mal ändern. Das schwächt seine Position. Aber solange er Erfolg hat, wird er sicherlich an Einfluss auch gewinnen.

    Müller: Unter dem Strich, Herr Gerke: alles ist gut?

    Gerke: Nein. Das wäre zu einfach gesagt. Unter dem Strich muss man sagen, es hätte viel schlechter kommen können. Ich begrüße, dass jetzt ganz eindeutige Verhältnisse sind. Mir hat aus Corporate-Governance-Gesichtspunkten heraus nicht gefallen die extrem starke Position des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden von VW als obersten Kontrolleur und Aufsichtsrat, aber jetzt sind die Verhältnisse so eindeutig, dass man sagen muss, okay, wer das Lenkrad so eindeutig in die Hand nimmt, der muss auch für alles was jetzt passiert voll die Verantwortung tragen. Ich glaube, dass diese eindeutigen Entscheidungsbefugnisse in Zukunft eher von Vorteil sind.

    Müller: Professor Wolfgang Gerke war das, Direktor am Institut für Banken und Börsenwesen an der Uni Erlangen-Nürnberg. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.