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Wirtschaftskrise
Leidtragende und Profiteure in der russischen Provinz

Kirow ist eine Stadt mit rund einer halben Million Einwohner und liegt knapp 1.000 Kilometer nordöstlich von Moskau. Zu Sowjetzeiten gab es dort viele Rüstungsbetriebe, doch sie wurden geschlossen. Die Region war stets von Subventionen aus Moskau abhängig. Und jetzt wird die aktuelle Wirtschaftskrise in Kirow bemerkbar - doch einige Betriebe profitieren auch.

Von Gesine Dornblüth | 19.02.2016
    Blick in einen leeren Flur mit Luftballons des Einkaufszentrums Krim in Kirow.
    Das neue Einkaufszentrum Krim in Kirow steht zur Hälfte leer, Kundschaft ist rar (Deutschlandradio / Gesine Dornblüth)
    Im Einkaufszentrum Krim in Kirow hängen noch Luftballons von den Decken. Der Komplex wurde im Herbst eröffnet. Ins Erdgeschoss und in den ersten Stock sind ein Schnellrestaurant und einige Boutiquen eingezogen. Doch Kundschaft ist rar. Die übrigen vier Etagen stehen ganz leer.
    Vor dem Einkaufszentrum verteilt Wladislaw Werbezettel eines Pfandleihhauses. Er ist Mitte 20, von Beruf Klempner.
    "Ich hatte vor gut einem Monat zuletzt Arbeit auf dem Bau, aber auch dort nicht in meinem Beruf, sondern ich habe als Maurer ausgeholfen. Wir haben eine Krise. Da werden überall Leute entlassen."
    Nachfrage im Wohnungsmarkt eingebrochen
    In den letzten Jahren wurde in Kirow, wie in vielen russischen Städten, umfangreich gebaut. Viele Menschen investierten, teils staatlich gefördert, in Wohnungen. Jetzt ist die Nachfrage eingebrochen, zahlreiche Baustellen stehen still. Verlässliche Zahlen zu Entlassungen und Arbeitslosigkeit gibt es in Kirow nicht. Die Chefredakteurin einer Lokalzeitung berichtet von zwei großen Unternehmen mit jeweils mehreren hundert Arbeitnehmern, die im vergangenen Jahr geschlossen hätten. Deren Bankrott habe sich aber schon vorher abgezeichnet, wegen schlechten Managements. Andererseits würden zwei Rüstungsbetriebe neu eröffnet.
    Wladimir Schurawljow ist Abgeordneter im Stadtparlament von Kirow und selbst Unternehmer. Er sagt, die verschiedenen Branchen seien ganz unterschiedlich von der Krise betroffen.
    "Schwierig ist es für all die Unternehmen geworden, die Teile importieren. Zum Beispiel für Nähereien. Denn in Russland werden fast keine Stoffe hergestellt. "
    Auch der Dienstleistungssektor leidet: Marketing, juristischer Service, Reklame, Bildungsangebote. Das importunabhängige produzierende Gewerbe profitiere hingegen vom niedrigen Rubelkurs, so Schurawljow.
    "Die Holzwirtschaft, die Metallindustrie. In Kirow werden Furniere und Balken produziert. Diese Firmen haben ihre Erlöse aus dem Export auf das Zweieinhalbfache gesteigert, Löhne und kommunale Abgaben dagegen zahlen sie weiter in Rubel."
    Potenzial in der Landwirtschaft?
    Schurawljow hat selbst ein Baustoffunternehmen und exportiert Isoliermaterial nach Deutschland. Potenzial sieht er außerdem in der Landwirtschaft. Die wird derzeit vom russischen Staat subventioniert, um die Importverbote für Lebensmittel auszugleichen. Schurawljow hat schon vor Jahren mehrere Milchbetriebe im Gebiet Kirow gekauft. Bisher bleiben die Produkte in der Region.
    "Das Gebiet Kirow ist größer als Ungarn. Wir haben idealen Boden, um Fleisch und Milch zu produzieren. Wenn wir moderne Technologien bekommen, wird Kirow zum sechstgrößten Exporteur von Milchpulver weltweit."
    Der Unternehmer Jurij Basmanow zeichnet ein ganz anderes Bild. Er besitzt einen Hotel- und Freizeitkomplex im Kirower Umland und hat die Hälfte seiner Angestellten entlassen.
    "Mein Gewinn hat sich halbiert. Die Kredite lasten auf uns. Der Staat lässt uns allein. Früher habe ich meine Geschäftstätigkeit geplant. Jetzt mache ich nicht mal mehr das. Wenn wir einen Tag überlebt haben, ist das schon gut."