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Wirtschaftsweise: Deutschland kann schrumpfende Wirtschaft durchaus verkraften

Die Wirtschaftswissenschaftlerin und Mitglied im Sachverständigenrat der Bundesregierung, Beatrice Weder di Mauro, unterstützt den bisherigen Regierungskurs im Umgang mit der Finanzkrise. Sinnvoll seien etwa Investitionen in die kommunale Infrastruktur und die Bildung. Auch Steuererleichterungen könnten die Wirtschaft ankurbeln, ergänzte Weder di Mauro.

Beatrice Weder di Mauro im Gespräch mit Jochen Spengler | 16.12.2008
    Jochen Spengler: Daimler, Ford, Opel, BMW und VW haben die Fertigung vorübergehend gestoppt. Viele Branchen schicken ihre Beschäftigten in die Kurzarbeit. Der Industrie brechen die Aufträge weg. Die Bundesrepublik, so heißt es in Politik und Wissenschaft, bei Industriellen und Gewerkschaftern, stehe vor der schlimmsten Rezession ihrer Geschichte. Fast täglich gibt es neue Horrorszenarien. Von bis zu sechs Millionen Arbeitslosen ist die Rede und die "FAZ" meldet heute, das Bundeswirtschaftsministerium rechne nunmehr mit einem Wirtschaftsschrumpfen von 3 Prozent im kommenden Jahr.

    Und dann gibt es da die anderen Stimmen, die sagen, Deutschland ist eigentlich ganz gut gerüstet. Es gibt keinen Anlass, schwarz zu sehen und zu malen. Auch das Weihnachtsgeschäft scheint normal zu laufen. Die Reisebüros melden gute Weihnachtsbuchungen. Die Benzinpreise sind wieder bezahlbar. Kurz: wenn man in die Stadt geht, man sieht die Krise nicht. - Am Deutschlandfunk-Telefon ist Professor Beatrice Weder di Mauro, Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, also eine der fünf Weisen. Guten Morgen, Frau Weder di Mauro.

    Beatrice Weder di Mauro: Guten Morgen, Herr Spengler.

    Spengler: Wie schlimm wird es wirklich?

    Weder di Mauro: Ich fürchte, dass wir jetzt in der nächsten Zeit uns schon auf negative Nachrichten insbesondere aus der Exportwirtschaft einstellen müssen und das vierte Quartal, aber möglicherweise auch das nächste erste Quartal noch mal negative Überraschungen bringen wird. Allerdings ist der Einbruch nicht so sehr beim Konsum zu sehen, wie Sie auch bemerkt haben. Im Weihnachtsgeschäft ist er zumindest optisch nicht direkt festzustellen und auch der Einzelhandel ist bisher nicht eingebrochen.

    Spengler: Was heißt das eigentlich praktisch für den Bürger, wenn die Wirtschaft wirklich um drei Prozent schrumpfen würde? Woran spürt man das? Wie merkt man das dann?

    Weder di Mauro: Drei Prozent sind momentan wirklich noch das Risikoszenario. Ich würde sagen, die meisten Prognosen liegen zwischen Minus eins und Minus zwei im nächsten Jahr. Das wird man natürlich dann schon spüren an zunehmender Arbeitslosigkeit unter anderem, aber wir dürfen nicht vergessen: der Arbeitsmarkt ist in einer sehr viel besseren Lage als noch vor einigen Jahren. Die Frage, die sich eigentlich mehr stellt, ist: Wie lange geht das; nicht so sehr, wie stark geht es jetzt zurück, sondern wie lange geht es? Da müssen wir uns wahrscheinlich schon darauf einstellen, dass auch 2010 noch nicht wieder eine Rückkehr zu den schönen Wachstumsraten der Vorjahre zu verzeichnen sein wird.

    Spengler: Frau Professor, ich wollte mit meiner Frage "was heißt das praktisch?" eigentlich darauf hinaus, dass man natürlich, wenn man diese Horrorszenarien schildert, den Menschen auch Angst macht, und dann taucht immer dieses Bild auf von den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts. Wird mit so was zu rechnen sein?

    Weder di Mauro: Nein, nein. Damit müssen wir nicht rechnen, damit sollten wir auch nicht rechnen. Das wäre eine falsche Vorstellung. Da haben die Regierungen weltweit wirklich ihre Lehren gelernt. Das ist nicht zu befürchten, dass wir solche Einbrüche haben, Massenarbeitslosigkeit etc. Auch die Deflationsgefahr, die momentan heraufbeschworen wird, ist meines Erachtens weit übertrieben. Es könnte während einiger Monate zu Preisrückgängen kommen, aber deswegen gleich Deflationsgefahren auszurufen, ist übertrieben.

    Spengler: Haben Sie einen praktischen Rat für den Bürger? Wie stellt man sich auf so etwas, was da droht, ein?

    Weder di Mauro: Man muss bis zu einem gewissen Grade durch. Es wird einfach eine Weile lang weniger schöne Nachrichten geben. Es werden auf den Finanzmärkten die Korrekturen auch weiterhin andauern. Wir werden etwas höhere Arbeitslosigkeit haben. Aber noch einmal: keine irgendwelche Panikausbrüche. Das wäre nicht angesagt. Solche Volkswirtschaften, so starke Volkswirtschaften können auch mal eine Schrumpfung aushalten.

    Spengler: Wir müssen uns seelisch und moralisch wappnen. Müssen wir sparen, oder müssen wir konsumieren?

    Weder di Mauro: Man sollte sich nicht nur auf sparen einstellen. Wenn alle Individuen sparen, führt dieses kollektive sparen dazu, dass es noch zu einer Verstärkung der Rezession kommt.

    Spengler: Das heißt, wenn man Geld auf der hohen Kante hat, kann man es ruhig ausgeben?

    Weder di Mauro: Aber es ist natürlich jetzt zunächst einmal auch der Staat gefordert in seiner Aktion, und da sind ja auch schon weltweit die Länder mit Konjunkturprogrammen unterwegs und werden da dem Nichtsparen etwas nachhelfen.

    Spengler: Darauf kommen wir jetzt gleich. - Eine Frage möchte ich noch vorwegnehmen, ehe wir auf den Staat oder auf die Staaten kommen: die Unternehmen. Derzeit wird von den Unternehmen eine Zusicherung erwartet, 2009 in Deutschland auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten. Wie realistisch ist denn so eine Erwartung?

    Weder di Mauro: Es ist natürlich auch im Interesse der Unternehmen, ihre Stammbelegschaften zu halten, und das werden sie meines Erachtens versuchen zu tun, so gut es geht. Die stärkere Flexibilisierung am Arbeitsmarkt der letzten Jahre bietet ihnen natürlich auch stärkere Möglichkeiten, bei den Arbeitern, die eben nicht zur Stammbelegschaft gehören, etwas schneller zu reagieren. Insofern würde ich schon erwarten, dass man wirklich auch versuchen wird, diese Zusage einzuhalten.

    Spengler: International kritisieren die meisten Wirtschaftswissenschaftler Deutschland aus zwei Gründen. Einmal heißt es, Deutschland lasse sich zu lange Zeit mit seinen Maßnahmen, und zweitens, Deutschland tue nicht genug. Was meint die Wirtschaftsweise Professor Weder di Mauro? Ist der vorsichtige Kurs der Bundesregierung klug? Ist es zum Beispiel sinnvoll abzuwarten, was denn US-Präsident Obama Ende Januar tun wird und von uns vielleicht noch fordert?

    Weder di Mauro: Ende Januar ist ja jetzt gleich. Auf einzelne Tage kommt es da nicht an und es ist sicher sinnvoll, international auch abgestimmt und koordiniert zu handeln, denn gerade im Falle Deutschlands kommt ja der Schock von außen. Es ist weitgehend eben der Nachfrageeinbruch weltweit, der Deutschland trifft, und nicht so sehr oder weniger eine hausgemachte Krise wie in vielen anderen Ländern. Wir haben weder eine Immobilienkrise, und auch die Bankenkrise ist weitgehend aufgrund der Tätigkeit der Banken in verschiedenen Feldern, wo sie sich nicht hätten hinwagen sollen. Insofern ist der internationale Angang hier sicher sinnvoll und es ist auch sinnvoll, dass Deutschland etwas Zusätzliches tut. Das hat der Sachverständigenrat auch gefordert.

    Spengler: Also über das hinaus, was jetzt schon beschlossen ist?

    Weder di Mauro: Über das hinaus, was jetzt beschlossen ist, ja. Aber jetzt einfach irgendwie nur sinnlos Geld auszugeben, das wäre sicher nicht angezeigt. Insofern habe ich viel Verständnis für ein vorsichtiges beziehungsweise auch überlegtes Vorgehen.

    Spengler: Dann sagen Sie doch mal, was sinnvolles Geldausgeben wäre?

    Weder di Mauro: Sinnvolles Geldausgeben ist solches, das auch längerfristig die Wachstumskräfte stärkt. Ein konjunkturgerechtes Wachstumsprogramm beinhaltet eben Elemente, die nicht nur kurzfristig den Konsum ankurbeln oder möglicherweise stützen, aber innerhalb von kürzester Zeit verpuffen und dann nur höhere Schulden hinterlassen, die ja dann doch irgendwann zurückbezahlt werden müssen.

    Spengler: Ist das eine Absage an Konsumgutscheine?

    Weder di Mauro: Ich argumentiere gerade gegen einen Konsumgutschein. Richtig, ja. Hingegen wären Maßnahmen wie Investitionen in Infrastruktur, kommunale Infrastruktur, Bildungsinvestitionen durchaus Maßnahmen, die man befürworten sollte und auch in einem vernünftigen Maße vorziehen kann und auch umsetzen könnte im nächsten Jahr.

    Spengler: Frau Weder di Mauro, ist es besser, dass der Staat selbst das Geld ausgibt für etwas, was Sie gerade angedeutet haben, also für Schulen, Stromnetze, Straßen, oder ist es besser, dass der Staat den Leuten das Geld gibt, damit die es ausgeben?

    Weder di Mauro: Da ist durchaus eine Kombination denkbar. Wenn man an Steuererleichterungen denkt, dann wäre eine Senkung der Einkommenssteuer im Bereich des sogenannten Mittelstandsbauchs, also bei den niedrigen und mittleren Einkommen, wo die Progression am stärksten einschneidet, auch eine sinnvolle Maßnahme, die ebenfalls wachstumsfördernd längerfristig wirken würde.

    Spengler: Aber wirkt die so schnell, wie es nötig wäre?

    Weder di Mauro: Bei all diesen Maßnahmen sind natürlich gewisse Verzögerungen vorhanden, aber man darf sich sowieso nicht der Illusion hingeben, der Staat könne jetzt hier alles richten. Bei all diesen Maßnahmen - das ist noch immer so; das hat sich nicht plötzlich geändert -, die Multiplikatoren sind nicht enorm. Jedes Konjunkturprogramm wird etwas zu einer Abfederung beitragen können, aber es wird nicht den Abschwung verhindern können. Deshalb ist es umso wichtiger, dass man nicht Geld verschwendet.

    Spengler: Wenn wir uns für einen Moment mal in einen Politiker hineinversetzen und dazu der Kanzlerin lauschen. Die hat in ihrer Regierungserklärung am 26. November folgendes gesagt. Wir hören da mal rein.

    O-Ton Angela Merkel: Wenn wir uns jetzt die öffentliche Debatte anschauen - und die ist naturgemäß in solchen Krisenzeiten dadurch geprägt, dass viele auch um eine Meinungsbildung ringen -, dann kann ich ihnen nur sagen, so hochvermögend wie die gesamten Ratschläge sein mögen, sie sind unterschiedlich, wie sie unterschiedlicher nicht sein können.

    Spengler: Können Sie die Kanzlerin verstehen? Weiß überhaupt jemand, wie und wo der Weg aus der Krise führt?

    Weder di Mauro: Ich würde sagen, der Eindruck mag sicher entstanden sein, dass es Tausende von Vorschlägen gibt, aber ich glaube, es gibt langsam auch einen Konsens, der sich herausbildet, über die sinnvollen Maßnahmen, die die Regierung treffen kann. Dazu gehören eben solche, die ich vorher erwähnt habe. Wenn man ausgeht von der Überlegung, was stärkt die langfristigen Wachstumskräfte, dann ist das ein sehr gutes Organisationsprinzip, um sich zu überlegen, welche Arten von Maßnahmen sinnvoll sind und welche nicht.

    Spengler: Nun hat der Bundesfinanzminister gegenüber dem "Spiegel" gesagt, die Experten wechselten ihre Positionen in diesen Tagen öfter als er seine Hemden, und die Kanzlerin ist, so schreibt jedenfalls das "Handelsblatt", das ganze Hü und Hott der selbst ernannten Weisen vom Sachverständigenrat leid. Jeder empfehle ihr mit wichtiger Miene etwas anderes und am Ende lägen alle Prognosen weit daneben. Die Unfehlbarkeitsrhetorik der Sachverständigen stehe einem bis oben hin. - Trifft Sie das?

    Weder di Mauro: Oh je! Ich kann nicht für andere Experten sprechen, aber die Positionen, die ich vertrete, kann man im Gutachten ebenso nachlesen wie in anderen Orten. Ich würde sagen, es mag sicher bei der Politik manchmal so ankommen, als sei hier sehr, sehr viel unterwegs, aber ich würde doch meinen, dass es auch viele gibt, die sehr konsistent argumentieren und das auch über die Zeit hinweg.

    Spengler: Der SPD-Fraktionschef Struck hat sogar gesagt, es wäre sinnvoll, den Sachverständigenrat ganz abzuschaffen. Wäre das ein großer Verlust für die Bundesrepublik?

    Weder di Mauro: Das muss letztendlich die Bundesrepublik beziehungsweise die Regierung selber entscheiden.

    Spengler: Was meinen Sie?

    Weder di Mauro: Das entscheiden nicht wir. Ich würde sagen, dass der Sachverständigenrat in der Vergangenheit und immerhin 40 Jahre lang sehr gute Beiträge geliefert hat, aber auch das kann man ja nachprüfen. Das müssen Sie nicht mich fragen, sondern das kann man nachprüfen, kann man nachlesen. Das muss die Regierung wie gesagt selber entscheiden.

    Spengler: Das war Professor Beatrice Weder di Mauro, Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Frau Professor Weder di Mauro, herzlichen Dank für das Gespräch.

    Weder di Mauro: Ich danke. Schönen Morgen!