Jürgen Zurheide: Ich begrüße am Telefon den Wirtschaftsweisen Peter Bofinger, guten Morgen, Herr Bofinger!
Peter Bofinger: Guten Morgen, Herr Zurheide!
Zurheide: Herr Bofinger, zunächst einmal - der ein oder andere sagt zwar: Diese Zahlen sind furchtbar, aber wenn wir bestimmte Frühindikatoren sehen, dann gibt es schon wieder Licht am Ende des Tunnels. Teilen Sie den Optimismus eigentlich?
Bofinger: Ich glaube, dieses erste Quartal ist extrem schlecht ausgefallen, aber gleichzeitig muss man sehen, dass Indikatoren für eine Bodenbildung da sind, dass also der Fall zum Stillstand kommt. Aber man muss sehen: Das ist jetzt auch kein Grund zum Jubeln, denn die Frage ist, nachdem wir jetzt im zweiten Untergeschoss angekommen sind: Wie kommen wir wieder raus? Wo sind die Wachstumskräfte? Was sind die Lokomotiven für die Weltkonjunktur? Das ist die entscheidende Frage, und so ganz klar sind die Antworten auf diese Fragen noch nicht.
Zurheide: Wir kommen gleich noch auf die Einzelheiten, auch vor allen Dingen darauf, welche Lehre man aus der Krise ziehen sollte. Haben Sie nicht manchmal das Gefühl, dass der ein oder andere, der jetzt schon wieder teilweisen Optimismus macht, vielleicht auch nicht wirkliche Lehren aus der Krise ziehen will?
Bofinger: Wie gesagt, ein bisschen Optimismus schadet ja auch nicht, dass wir also auch nicht jetzt in abgrundtiefen Pessimismus verfallen, aber die Frage ist in der Tat schon, welche Konsequenzen man aus dieser Krise zieht - geht es darum, jetzt nur mal die Finanzmärkte wieder zu stabilisieren, eine bessere Finanzmarktarchitektur zu erhalten, und damit hat man alle Probleme gelöst, oder sind die Herausforderungen doch weitreichender? -, so dass man sich also insgesamt fragen muss, wie das Verhältnis vom Markt und vom Staat ist und wie das ausbalanciert sein muss.
Zurheide: Kommen wir mal auf die Finanzarchitektur. Da gibt es ja eigentlich klare Hinweise. Ich nenne sie mal: Eigenkapitalvorschriften vielleicht ändern, für Banken, Rating-Agenturen so aufstellen, dass die nicht gegen Geld Dinge kundtun, die sie hinterher nicht mal zu verantworten haben. Sehen Sie im Moment ausreichenden politischen Willen, da wirklich ernsthaft was zu tun?
Bofinger: Wenn Sie sich vor Augen halten, was da für ein Unglück passiert ist bei den Finanzmärkten - nämlich, dass das globale Finanzsystem im September 2008 ähnlich fulminant zusammengebrochen wäre, wie das World Trade Center im September 2001, wenn nicht der Staat so massiv eingegriffen hätte -, wenn man also dieses massive Unglück sieht, dann kommen mir die Lösungsansätze doch zu kleinteilig vor. Man versucht, da ein Schräubchen zu drehen, da ein bisschen was zu verbessern, weitreichendere Lösungsansätze vermisse ich, und einer der Ansatzpunkte, den ich sehe, wäre, dass man die Rolle der Rating-Agenturen grundsätzlich hinterfragt. Ich bin dafür, dass man eine staatliche, europäische Rating-Agentur schafft. Das hätte dann den Vorteil, dass die Beamten, die die Wertpapiere dann prüfen, wissen, dass ihr Gehalt unabhängig davon ist, wie sie die Papiere beurteilen. Und ich glaube, damit würde man an einer ganz zentralen Stelle eine Stabilität einziehen, an der es bisher fehlt.
Zurheide: Wenn wir von den Finanzmärkten weggehen - was sehen Sie noch an wichtigen Veränderungen, die notwendig sind? Wir alle reden immer darüber, dass wir mehr investieren müssen, zum Beispiel in Bildung, nur, wenn man sich die Defizite anschaut, dann muss man ja jetzt schon zweifeln, dass dafür das Geld übrig bleibt. Haben Sie da auch Zweifel?
Bofinger: Es ist klar, wir kommen in eine schwierige Situation in den nächsten Jahren, einfach deswegen, weil der Schuldenstand deutlich ansteigen wird, aber gerade deshalb muss man sich auch fragen: Wie gestalten wir unsere Zukunft? Wir versuchen auch, aktiv die Zukunft in die Hand zu nehmen. Bei dem, was ich derzeit in Berlin beobachte, ist mein Eindruck, dass man zwar jetzt bereit ist, den Staat in der Notsituation zu akzeptieren als Helfer, dass man ihn aber danach möglichst wieder kleinkochen will, bestes Beispiel ist die Schuldenbremse bei der Föderalismuskommission, die es dem Staat verhindern soll, in Zukunft aktiv als Investor aufzutreten, weil eben Staatsdefizite für die Länder grundsätzlich ausgeschlossen werden und für den Bund nur in ganz kleinem Umfang möglich sind.
Zurheide: Jetzt kann man natürlich sagen: Staatsdefizite ausschließen ist ja insofern nicht falsch, als irgendjemand die Schulden möglicherweise zurückzahlen muss oder Zins- und Tilgungslasten hat. Das heißt im Umkehrschluss: Wer das nicht will, müsste eigentlich die Steuern erhöhen, oder er muss sagen, was der Staat künftig nicht mehr macht. Haben wir da schon genügend Ehrlichkeit?
Bofinger: Ich glaube, was man eben durchaus sehen soll, ist, dass der Staat ja auch in der Lage sein kann und sein sollte, als Investor aufzutreten, und dass er dann auch Schulden aufnehmen darf, wenn er Investitionen vornimmt, die ertragreich sind. Ich frage mich schon, ob es nicht eine gute Idee wäre, zu sagen: Wir legen jetzt, gerade in der Krise, ein Zukunftsprogramm auf für fünf Jahre, jährlich 35 Milliarden Euro, in denen der Staat ein Zukunftsprogramm finanziert - das heißt also, zusätzliche Ausgaben im Bereich der Bildung, im Bereich von Forschung und Entwicklung, im Bereich des Umweltschutzes -, um jetzt von uns als Deutschland einen Impuls zu setzen, damit die Wirtschaft wieder nach vorne kommt. Denn das, was ja offensichtlich in der Politik geplant ist, ist, dass man eher einen passiven Ansatz annimmt und letztlich darauf wartet, dass die Weltkonjunktur wieder anspringt und uns die Dynamik sozusagen von außen ins Land reinbringt.
Zurheide: Da kommt ja aber dann so der Gegeneinwand, na ja, der Staat ist noch nie der bessere Handelnde in der Wirtschaft gewesen. Wenn dann zum Beispiel Opel gekauft wird, wir haben heute morgen mit Wolfgang Gerhardt von der FDP darüber gesprochen, da sträuben sich bei den Liberalen alle Nackenhaare unter der Überschrift, der Staat soll sich eher zurückhalten. Ist das falsch?
Bofinger: Na ja, es kommt darauf an, um welche Aufgaben es geht. Was wir ja gesehen haben: Bei den Märkten ist das Problem, dass sie eine enorme Kurzfristorientierung haben, dass sie eben oft nur am schnellen Geld interessiert sind und das ist ja genau das, was dazu geführt hat, dass die Finanzmärkte zusammengebrochen sind. Der Staat hat schon die Möglichkeit, längerfristige Perspektiven in die Entscheidungsprozesse zu bringen, auch gesamtwirtschaftliche Aspekte in Entscheidungsprozesse zu bringen, und gerade wenn es um die Zukunft geht, wenn es darum geht, welche Ausbildung die Kinder haben, wie wir auch unsere Umwelt gestalten, dann meine ich, dass der Staat doch ganz klare Vorteile gegenüber der Privatwirtschaft hat, die bei solchen Aufgaben einfach nicht die richtigen Orientierungsmarken hat.
Zurheide: Jetzt haben Sie gerade die Orientierungsmarken angesprochen. Da gibt es ja auch einen interessanten Hinweis: Wie bilanzieren wir eigentlich in der Wirtschaft? Da haben wir wirklich die Regeln vom HGB, die eher auf längerfristige Orientierungen gehen, oder orientieren wir uns an den kurzfristigen amerikanischen Bilanzregeln? Haben die nicht zum Teil dazu beigetragen, dass die Situation so ist, wie wir sie im Moment beobachten?
Bofinger: Es ist sicher so, dass in der Krise einige alte Tugenden wieder an Bedeutung gewonnen haben. Das gilt beim Finanzsystem für die Sparkassen und die Kreditgenossenschaften und das gilt eben auch bei der Bilanzierung mit dem Deutschen Handelsgesetzbuch, das ja auch als hoffnungslos altmodisch galt, weil es eben von den Grundsätzen kaufmännischer Vorsicht geprägt war, sprich: Man darf Gewinne erst dann ausschütten, wenn sie realisiert sind. Die amerikanischen internationalen Bilanzierungsvorschriften geben die Möglichkeit, dass man auch Gewinne ausschütten kann, die noch gar nicht entstanden sind, dass man es auch in der Bilanz ausweist und das hat ja dann bei vielen Unternehmen, Banken, zum Souffle-Effekt geführt, dass also in guten Zeiten das Ganze aufgebläht ist, um dann in schlechten Zeiten umso stärker in sich zusammenzustürzen. Deswegen haben wir auch beim Sachverständigenrat uns dafür ausgesprochen, für alle wichtigen Entscheidungen - also für den Gläubigerschutz, für die Gewinnausschüttung, für die Bankenaufsicht - sich an Bilanzen zu orientieren, die von den kaufmännischen Vorsichtsprinzipien geprägt sind, und man kann dann durchaus eine IFRS-Bilanz parallel dazu machen, aber dann eben rein zu Informationszwecken für Investoren.
Zurheide: Sehen Sie - letzte Frage mit der Bitte um eine kurze Antwort - Spielraum für Steuersenkungen in der kommenden Legislaturperiode?
Bofinger: Steuersenkungen sind sicher das Letzte, was im Augenblick machbar ist, denn wir werden ja allein durch die Finanzkrise zusätzliche finanzielle Belastungen bekommen für die Zinszahlungen, deswegen würde ich sagen: Steuersenkung ist etwas, was zwar hochpopulistisch ist, aber im Grunde unseriös.
Zurheide: Danke schön, das war der Wirtschaftsweise Peter Bofinger im Gespräch im Deutschlandfunk um 8.20 Uhr. Ich bedanke mich für das Gespräch, auf Wiederhören!
Bofinger: Danke!
Peter Bofinger: Guten Morgen, Herr Zurheide!
Zurheide: Herr Bofinger, zunächst einmal - der ein oder andere sagt zwar: Diese Zahlen sind furchtbar, aber wenn wir bestimmte Frühindikatoren sehen, dann gibt es schon wieder Licht am Ende des Tunnels. Teilen Sie den Optimismus eigentlich?
Bofinger: Ich glaube, dieses erste Quartal ist extrem schlecht ausgefallen, aber gleichzeitig muss man sehen, dass Indikatoren für eine Bodenbildung da sind, dass also der Fall zum Stillstand kommt. Aber man muss sehen: Das ist jetzt auch kein Grund zum Jubeln, denn die Frage ist, nachdem wir jetzt im zweiten Untergeschoss angekommen sind: Wie kommen wir wieder raus? Wo sind die Wachstumskräfte? Was sind die Lokomotiven für die Weltkonjunktur? Das ist die entscheidende Frage, und so ganz klar sind die Antworten auf diese Fragen noch nicht.
Zurheide: Wir kommen gleich noch auf die Einzelheiten, auch vor allen Dingen darauf, welche Lehre man aus der Krise ziehen sollte. Haben Sie nicht manchmal das Gefühl, dass der ein oder andere, der jetzt schon wieder teilweisen Optimismus macht, vielleicht auch nicht wirkliche Lehren aus der Krise ziehen will?
Bofinger: Wie gesagt, ein bisschen Optimismus schadet ja auch nicht, dass wir also auch nicht jetzt in abgrundtiefen Pessimismus verfallen, aber die Frage ist in der Tat schon, welche Konsequenzen man aus dieser Krise zieht - geht es darum, jetzt nur mal die Finanzmärkte wieder zu stabilisieren, eine bessere Finanzmarktarchitektur zu erhalten, und damit hat man alle Probleme gelöst, oder sind die Herausforderungen doch weitreichender? -, so dass man sich also insgesamt fragen muss, wie das Verhältnis vom Markt und vom Staat ist und wie das ausbalanciert sein muss.
Zurheide: Kommen wir mal auf die Finanzarchitektur. Da gibt es ja eigentlich klare Hinweise. Ich nenne sie mal: Eigenkapitalvorschriften vielleicht ändern, für Banken, Rating-Agenturen so aufstellen, dass die nicht gegen Geld Dinge kundtun, die sie hinterher nicht mal zu verantworten haben. Sehen Sie im Moment ausreichenden politischen Willen, da wirklich ernsthaft was zu tun?
Bofinger: Wenn Sie sich vor Augen halten, was da für ein Unglück passiert ist bei den Finanzmärkten - nämlich, dass das globale Finanzsystem im September 2008 ähnlich fulminant zusammengebrochen wäre, wie das World Trade Center im September 2001, wenn nicht der Staat so massiv eingegriffen hätte -, wenn man also dieses massive Unglück sieht, dann kommen mir die Lösungsansätze doch zu kleinteilig vor. Man versucht, da ein Schräubchen zu drehen, da ein bisschen was zu verbessern, weitreichendere Lösungsansätze vermisse ich, und einer der Ansatzpunkte, den ich sehe, wäre, dass man die Rolle der Rating-Agenturen grundsätzlich hinterfragt. Ich bin dafür, dass man eine staatliche, europäische Rating-Agentur schafft. Das hätte dann den Vorteil, dass die Beamten, die die Wertpapiere dann prüfen, wissen, dass ihr Gehalt unabhängig davon ist, wie sie die Papiere beurteilen. Und ich glaube, damit würde man an einer ganz zentralen Stelle eine Stabilität einziehen, an der es bisher fehlt.
Zurheide: Wenn wir von den Finanzmärkten weggehen - was sehen Sie noch an wichtigen Veränderungen, die notwendig sind? Wir alle reden immer darüber, dass wir mehr investieren müssen, zum Beispiel in Bildung, nur, wenn man sich die Defizite anschaut, dann muss man ja jetzt schon zweifeln, dass dafür das Geld übrig bleibt. Haben Sie da auch Zweifel?
Bofinger: Es ist klar, wir kommen in eine schwierige Situation in den nächsten Jahren, einfach deswegen, weil der Schuldenstand deutlich ansteigen wird, aber gerade deshalb muss man sich auch fragen: Wie gestalten wir unsere Zukunft? Wir versuchen auch, aktiv die Zukunft in die Hand zu nehmen. Bei dem, was ich derzeit in Berlin beobachte, ist mein Eindruck, dass man zwar jetzt bereit ist, den Staat in der Notsituation zu akzeptieren als Helfer, dass man ihn aber danach möglichst wieder kleinkochen will, bestes Beispiel ist die Schuldenbremse bei der Föderalismuskommission, die es dem Staat verhindern soll, in Zukunft aktiv als Investor aufzutreten, weil eben Staatsdefizite für die Länder grundsätzlich ausgeschlossen werden und für den Bund nur in ganz kleinem Umfang möglich sind.
Zurheide: Jetzt kann man natürlich sagen: Staatsdefizite ausschließen ist ja insofern nicht falsch, als irgendjemand die Schulden möglicherweise zurückzahlen muss oder Zins- und Tilgungslasten hat. Das heißt im Umkehrschluss: Wer das nicht will, müsste eigentlich die Steuern erhöhen, oder er muss sagen, was der Staat künftig nicht mehr macht. Haben wir da schon genügend Ehrlichkeit?
Bofinger: Ich glaube, was man eben durchaus sehen soll, ist, dass der Staat ja auch in der Lage sein kann und sein sollte, als Investor aufzutreten, und dass er dann auch Schulden aufnehmen darf, wenn er Investitionen vornimmt, die ertragreich sind. Ich frage mich schon, ob es nicht eine gute Idee wäre, zu sagen: Wir legen jetzt, gerade in der Krise, ein Zukunftsprogramm auf für fünf Jahre, jährlich 35 Milliarden Euro, in denen der Staat ein Zukunftsprogramm finanziert - das heißt also, zusätzliche Ausgaben im Bereich der Bildung, im Bereich von Forschung und Entwicklung, im Bereich des Umweltschutzes -, um jetzt von uns als Deutschland einen Impuls zu setzen, damit die Wirtschaft wieder nach vorne kommt. Denn das, was ja offensichtlich in der Politik geplant ist, ist, dass man eher einen passiven Ansatz annimmt und letztlich darauf wartet, dass die Weltkonjunktur wieder anspringt und uns die Dynamik sozusagen von außen ins Land reinbringt.
Zurheide: Da kommt ja aber dann so der Gegeneinwand, na ja, der Staat ist noch nie der bessere Handelnde in der Wirtschaft gewesen. Wenn dann zum Beispiel Opel gekauft wird, wir haben heute morgen mit Wolfgang Gerhardt von der FDP darüber gesprochen, da sträuben sich bei den Liberalen alle Nackenhaare unter der Überschrift, der Staat soll sich eher zurückhalten. Ist das falsch?
Bofinger: Na ja, es kommt darauf an, um welche Aufgaben es geht. Was wir ja gesehen haben: Bei den Märkten ist das Problem, dass sie eine enorme Kurzfristorientierung haben, dass sie eben oft nur am schnellen Geld interessiert sind und das ist ja genau das, was dazu geführt hat, dass die Finanzmärkte zusammengebrochen sind. Der Staat hat schon die Möglichkeit, längerfristige Perspektiven in die Entscheidungsprozesse zu bringen, auch gesamtwirtschaftliche Aspekte in Entscheidungsprozesse zu bringen, und gerade wenn es um die Zukunft geht, wenn es darum geht, welche Ausbildung die Kinder haben, wie wir auch unsere Umwelt gestalten, dann meine ich, dass der Staat doch ganz klare Vorteile gegenüber der Privatwirtschaft hat, die bei solchen Aufgaben einfach nicht die richtigen Orientierungsmarken hat.
Zurheide: Jetzt haben Sie gerade die Orientierungsmarken angesprochen. Da gibt es ja auch einen interessanten Hinweis: Wie bilanzieren wir eigentlich in der Wirtschaft? Da haben wir wirklich die Regeln vom HGB, die eher auf längerfristige Orientierungen gehen, oder orientieren wir uns an den kurzfristigen amerikanischen Bilanzregeln? Haben die nicht zum Teil dazu beigetragen, dass die Situation so ist, wie wir sie im Moment beobachten?
Bofinger: Es ist sicher so, dass in der Krise einige alte Tugenden wieder an Bedeutung gewonnen haben. Das gilt beim Finanzsystem für die Sparkassen und die Kreditgenossenschaften und das gilt eben auch bei der Bilanzierung mit dem Deutschen Handelsgesetzbuch, das ja auch als hoffnungslos altmodisch galt, weil es eben von den Grundsätzen kaufmännischer Vorsicht geprägt war, sprich: Man darf Gewinne erst dann ausschütten, wenn sie realisiert sind. Die amerikanischen internationalen Bilanzierungsvorschriften geben die Möglichkeit, dass man auch Gewinne ausschütten kann, die noch gar nicht entstanden sind, dass man es auch in der Bilanz ausweist und das hat ja dann bei vielen Unternehmen, Banken, zum Souffle-Effekt geführt, dass also in guten Zeiten das Ganze aufgebläht ist, um dann in schlechten Zeiten umso stärker in sich zusammenzustürzen. Deswegen haben wir auch beim Sachverständigenrat uns dafür ausgesprochen, für alle wichtigen Entscheidungen - also für den Gläubigerschutz, für die Gewinnausschüttung, für die Bankenaufsicht - sich an Bilanzen zu orientieren, die von den kaufmännischen Vorsichtsprinzipien geprägt sind, und man kann dann durchaus eine IFRS-Bilanz parallel dazu machen, aber dann eben rein zu Informationszwecken für Investoren.
Zurheide: Sehen Sie - letzte Frage mit der Bitte um eine kurze Antwort - Spielraum für Steuersenkungen in der kommenden Legislaturperiode?
Bofinger: Steuersenkungen sind sicher das Letzte, was im Augenblick machbar ist, denn wir werden ja allein durch die Finanzkrise zusätzliche finanzielle Belastungen bekommen für die Zinszahlungen, deswegen würde ich sagen: Steuersenkung ist etwas, was zwar hochpopulistisch ist, aber im Grunde unseriös.
Zurheide: Danke schön, das war der Wirtschaftsweise Peter Bofinger im Gespräch im Deutschlandfunk um 8.20 Uhr. Ich bedanke mich für das Gespräch, auf Wiederhören!
Bofinger: Danke!