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Wirtschaftswissenschaftler: 3,5 Prozent Lohnsteigerung wären möglich

Trotz der guten wirtschaftlichen Lage in Deutschland sieht der Wirtschafts-Experte der Hans-Böckler-Stiftung, Gustav Adolf Horn, auch im kommenden Jahr keine großen Einkommenssteigerungen der Arbeitnehmer. Die Löhne würden 2008 mit einer Erhöhung von 2,5 Prozent hinter dem Produktivitätszuwachs zurückbleiben. Dadurch werde auch der private Verbrauch gebremst.

Moderation: Jürgen Zurheide |
    Jürgen Zurheide: In Deutschland wird Bilanz gezogen, und wenn man diese Bilanz unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zieht, dann kommen viele zu dem Schluss: Die wirtschaftliche Lage in Deutschland ist so gut, wie sie lange nicht mehr war, zumindest wenn man sich die globalen Zahlen anschaut. Allerdings: Viele Menschen wundern sich ob dieser guten Nachrichten, denn ihre eigene, ihre persönliche Lage entspricht nicht unbedingt dem, was sie da in den Wirtschaftsteilen der Zeitungen lesen. Der Einzelhandel, der schaut ganz besonders interessiert natürlich auf dieses Wochenende, weil er hofft, dass möglicherweise zum vierten Advent die Käufer noch mal so richtig in die Laune kommen und Geld ausgeben und der Einzelhandel die Kassen gefüllt hat. Ob das nun wirklich so sein wird, darüber wollen wir reden, und ich begrüße dazu am Telefon Gustav Adolf Horn, den Direktor des Institutes für Makroökonomie in der Hans-Böckler-Stiftung. Guten Morgen, Herr Horn!

    Gustav Adolf Horn: Guten Morgen.

    Zurheide: Herr Horn, zunächst einmal: Der Einzelhandel hofft auf diesen vierten Advent. Wenn Sie sich jetzt mal die globalen volkswirtschaftlichen Zahlen anschauen, können Sie ihm dann Hoffnung machen, dass da heute und morgen noch mal viel passiert, oder sind Sie da eher skeptisch?

    Horn: Auch wenn die Lage insgesamt derzeit noch relativ gut ist, so muss ich doch sehr skeptisch sein, was den Einzelhandel angeht, denn der lebt ja von den Einkommen der privaten Haushalte, und diese Einkommen werden in diesem Jahr an Kaufkraft verloren haben. Der private Verbrauch wird im Jahresdurchschnitt leicht gesunken sein und das trifft vor allen Dingen den Einzelhandel. Da bin ich skeptisch.

    Zurheide: Dann sagen uns ja viele im Moment, wir haben 40 Millionen Arbeitsplätze, so viele wie nie zuvor. In der Tat, die Arbeitslosigkeit ist zurückgegangen, auch das lässt sich an den Statistiken ablesen, aber das schlägt sich ja nicht - wie uns viele vorher gesagt haben - dann nieder offensichtlich in den Zahlen, die Sie uns da gerade schildern.

    Horn: Das ist richtig. Zwar haben viele Menschen einen Job gefunden in diesem Aufschwung, und denen geht es persönlich sicherlich auch deutlich besser als zuvor. Aber alle die, die schon beschäftigt waren, haben Einkommenskaufkraftverluste hinnehmen müssen, weil die Lohnsteigerungen, die sie erhalten haben, durch die Preissteigerung mehr als aufgefressen wurden. Sie haben also real weniger in der Tasche, und dieser Effekt überwiegt.

    Zurheide: Wenn wir uns jetzt die Preise anschauen, die haben Sie ja gerade schon angesprochen, wie ist da die Lage real und gefühlt? Die gefühlten Preise sind extrem stark gestiegen, das hat damit zu tun, dass man bestimmte Dinge, zum Beispiel an der Tankstelle, intensiver wahrnimmt als andere. Wie wird es da weitergehen? Wird diese Dominanz der Energiepreise so stark bleiben wie es im Moment ist?

    Horn: Ja, es ist ein Bündel von Ursachen, das diese Preissteigerungen hervorgerufen hat. Zunächst einmal, das ist keine klassische Inflation. Eine klassische Inflation geht mit hohen Lohnsteigerungen einher, dann würden die Haushalte es gar nicht so sehr fühlen, es wäre aber dennoch gesamtwirtschaftlich schädlich. Was wir sehen ist, dass die Löhne kaum steigen, während auf der anderen Seite die Preise sehr stark steigen, und das liegt an Preisschüben, zum Beispiel im Energiebereich, zum Beispiel im Lebensmittelbereich, aber auch an der Mehrwertsteuererhöhung, die die ganze Palette der Preise betrifft. Gerade letzteres gibt es im kommenden Jahr nicht mehr, insofern sollten sich die Preisschübe etwas beruhigen.

    Zurheide: Was sagen Sie denn voraus bei den Energiepreisen? Wird das so weitergehen wie bisher? Muss man sich darauf einstellen, auch dann möglicherweise in seinem Verbrauchsverhalten? Kann man sich überhaupt darauf einstellen, oder sind das einmalige Schübe gewesen, die wir da in diesem Jahr gesehen haben?

    Horn: Nein, von einmaligen Schüben kann leider nicht die Rede sein. Das ist ja schon eine Entwicklung, die seit Jahren anhält. Wir stoßen halt an Kapazitätsgrenzen der Energieversorgung, gerade wenn Wirtschaften sehr stark wachsen, und das hat diese starke Energiepreisverteuerung herbeigeführt. Hinzu kommen natürlich auch Marktunvollkommenheiten, das heißt, hier gibt es Marktmacht von einzelnen Unternehmen. Das alles zusammen wird auch im kommenden Jahr sicherlich die Preise für Energie weiter steigen lassen.

    Zurheide: Jetzt kommen wir mal auf die Aussichten für das nächste Jahr, was sagen Sie voraus? Sie sind deutlich skeptischer als die anderen Institute, Sie gehen von einem Wachstum nur noch von 1,5 Prozent aus, aber das auch nur, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Warum sind Sie skeptischer als die anderen?
    Horn: Weil wir wahrscheinlich die Auswirkungen der Finanzmarktturbulenzen etwas schwerwiegender einschätzen als andere, das zum einen. Denn wir sehen noch nicht das Ende der Korrekturen, die hier - gerade bei den Banken - gemacht werden, und vor allen Dingen werden die Banken ihr Kreditvergabeverhalten gegenüber normalen Firmen verändern müssen und das wird zu einer Belastung der Investitionen. Zum Zweiten sind wir beim privaten Verbrauch skeptisch, aus den Gründen, die wir diskutiert haben. Ich sehe auch im kommenden Jahr nicht die großen Einkommenssteigerungen und damit auch nicht einen starken privaten Verbrauch.

    Zurheide: Was müsste denn in der Wirtschaft geschehen, damit sich da etwas ändert? Denn die außenwirtschaftliche Dominanz der Deutschen, da sagen auch viele, das wird sich etwas abschwächen, das könnte nur korrigiert werden dadurch, dass die Binnennachfrage wirklich anzieht, nur dann sind wir in der Lohn-Preis-Diskussion. Und bei den Löhnen heißt es ja immer, das sind auch Kosten, deshalb kann man da nicht vorhergehen. Was sagen Sie da voraus?

    Horn: Nun, bei den Löhnen erwarten wir etwas stärkere Steigerungen als in diesem Jahr, etwa von 2,5 Prozent im Jahresdurchschnitt, nach 1,9 in diesem Jahr. Wir erwarten aber weiterhin eine Inflationsrate von knapp über zwei Prozent, das heißt, real wird auch da wenig übrig bleiben, wenn unsere Prognose stimmt. Das macht uns ja so skeptisch im Hinblick auf den privaten Verbrauch. Was die weltwirtschaftlichen Dinge angeht: Was kann man tun? Hier ist vor allem die Geldpolitik gefordert, die ja tatsächlich sowohl den starken Euro unter Kontrolle halten muss, als auch die Finanzmarktturbulenzen unter Kontrolle haben muss. In der Binnennachfrage sehe ich nur die Möglichkeit, dass die Lohnentwicklung sich noch etwas stärker beschleunigt, um die Haushalte am Aufschwung zu beteiligen.

    Zurheide: Nun, da kommt immer das Gegenargument, ich habe das gerade schon gebracht, die Löhne sind auch Kosten und dann sinkt wieder unsere Wettbewerbsfähigkeit. Das sind Sie bereit hinzunehmen?

    Horn: Löhne sind Kosten und Einkommen. Man muss also sozusagen einen optimalen Weg finden, und der optimale Weg liegt da, wo die Löhne einfach dem Produktivitätszuwachs folgen. In Deutschland bleiben sie dahinter zurück, deshalb sehe ich ja noch Spielraum nach oben. Wir können stärker wachsen, ohne dass unsere Wettbewerbsfähigkeit gefährdet wird, nur der Zuwachs an Wettbewerbsfähigkeit ist dann etwas geringer.

    Zurheide: Wie hoch könnten die Löhne Ihrer Ansicht nach steigen, ohne dass es die Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigt?

    Horn: Ich sehe da eine Grenze bei etwa 3,5 Prozent im Jahresdurchschnitt für die gesamte Wirtschaft, das mag in einzelnen Branchen noch deutlich anders sein. Das ist etwa ein Prozentpunkt mehr, als wir voraussagen, das heißt, auch nach unserer Voraussage wird sich die deutsche Wettbewerbsfähigkeit von der Lohnseite her im kommenden Jahr noch verbessern.

    Zurheide: Das war der Direktor des Institutes für Makroökonomie, Gustav Adolf Horn, danke schön für dieses Gespräch.