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Wissenschaft und Macht

Auf dem Papier ist die Forschung frei von Einflüssen aus der Regierung. Praktisch beeinflussen sich Wissenschaftler mit ihren Prognosen und Politiker mit ihrer Macht gegenseitig. Das kann wie im Fall der Finanzkrise ins Desaster führen.

Von Andreas Beckmann | 07.03.2013
    Geist und Macht - das scheinen für viele Intellektuelle zwei gegensätzliche Sphären zu sein. Warum sonst hätten seit der Aufklärung alle demokratischen Bewegungen darauf beharrt, dass Forschung und Lehre frei sein sollten von politischem Einfluss. Doch in der Praxis wirken beide Seiten ständig aufeinander ein, weil sie voneinander abhängig sind. Kaum eine Uni oder ein Forschungsinstitut kommt ohne öffentliche Gelder aus. Und jeder Politiker freut sich, wenn er für sein Programm Unterstützung durch wissenschaftliche Autorität findet. Gleichzeitig will sich aber keiner vom anderen reinreden lassen. Da hilft es nur bedingt, dass das Verhältnis von Wissenschaft und Macht im politischen Alltag zumindest theoretisch klar geregelt ist, betont Renate Mayntz, emeritierte Professorin am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln.

    "Die Ziele müssen von der Politik gesetzt werden, in einem demokratischen Prozess, hofft man, ist nicht immer so, aber immerhin, das ist das Vorrecht der Politik und dabei kann wissenschaftliches Wissen nur am Rande eine Rolle spielen. Das heißt, die Wissenschaft steckt Möglichkeitsräume ab oder formuliert Herausforderungen."

    Regierungen wollen ihre Möglichkeitsräume aber lieber selbst gestalten und die Wissenschaft für ihre Ziele in die Pflicht nehmen. Umgekehrt glauben viele Professoren, qua bessere Einsicht in die Materie bestimmen zu können, wie gute Politik auszusehen habe. So versuchen beide Seiten immer wieder, das Kräfteverhältnis zu ihren Gunsten zu verschieben. In den letzten 20 Jahren habe sich dabei die Waage eindeutig in Richtung Wissenschaft geneigt, bilanziert Professor Michael Zürn vom Wissenschaftszentrum Berlin. Immer mehr politische Verantwortung werde Parlamenten entzogen und Expertengremien überlassen.

    "In sage und schreibe 84 Ländern sind seit 1990 Reformen vorgenommen worden, die eine Stärkung der Zentralbank beinhaltet haben. Mindestens genauso wichtig ist die Bedeutungszunahme von Verfassungsgerichten. Auch die sind in den letzten Jahrzehnten parallel zu den Zentralbanken in über 80 Ländern der Welt gestärkt worden. In beiden Fällen, Zentralbanken und Verfassungsgerichten, handelt es sich um nicht-majoritäre und expertokratische Institutionen, als ihre Autoritätsausübung nicht auf der Beteiligung der Bevölkerung, nicht auf dem Mehrheitsmodus, sondern auf dem Fachwissen der Mitglieder des Gremiums beruht."

    Interessanterweise, so Michael Zürn, seien aber nicht machthungrige Wissenschaftler die treibende Kraft hinter dieser Entwicklung, sondern Politiker, die freiwillig Gestaltungsspielräume abgäben, weil sie auf vielen Gebieten nicht mehr glaubten, noch Mehrheiten für sachgerechte Lösungen finden zu können.

    "Ganz gleich, ob es sich um die öffentliche Verschuldung, die Vernachlässigung der Bildung oder die Klimafrage handelt, in all diesen Fällen scheint eine Mehrheit der vom Status Quo Begünstigten notwendige Veränderungen auf Kosten von Minderheiten und zukünftiger Generationen zu verhindern. Das verweist auf ein möglicherweise neues Verhältnis von Mehrheitsentscheidung und Problemlösung."

    Dass immer mehr Entscheidungen an Experten delegiert werden, befürworten offenbar auch viele Wähler. Michael Zürn zitierte Umfragen aus diversen westlichen Ländern, wonach Bürger zwar mehrheitlich das Prinzip der Demokratie bejahten, im Zweifelsfall aber eher Wissenschaftlern als den von ihnen selbst gewählten Politikern vertrauten. Ob sich die Wissenschaft über diesen Zuwachs an Einfluss aber freuen sollte, daran zweifelt nicht nur Michael Zürn. David Gugerli, der an der ETH Zürich Wissenschaftsgeschichte lehrt, weist darauf hin, dass Forscher von vielen Krisen genauso überfordert seien wie Politiker. Die alternde Gesellschaft oder der Klimawandel seien schließlich auch für die Wissenschaft vollkommen neue Phänomene, mit denen sie keine Erfahrung habe.

    "Wenn Sie keine Erfahrung haben, aus der Sie Wissen ableiten können, wird es sehr schwierig. Dann müssen Sie, das hat man dann in den 70er-, 80er-Jahren langsam angefangen aufzubauen, dafür hat man dann Modellierungen gemacht, man hat in Szenarien gedacht, man hat gerechnet, man hat simuliert, um Vorstellungen zu gewinnen, was denn passieren könnte. Das war gewissermaßen ein Empirieersatz."

    Doch auch, wenn sich diese Vorstellungen und Modelle noch so sehr auf Fachwissen stützten, sie könnten leicht zu Ratlosigkeit oder gar in die Irre führen, konstatiert David Gugerli. Beispiel Atomkraft: In komplexen Simulationen hatten Kernphysiker ermittelt, wie gering das Restrisiko eines Reaktorunfalls sei. Die Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima ereigneten sich trotzdem. Beispiel Finanzmarkt: Mit ausgeklügelten mathematischen Modellen hatten Wirtschaftswissenschaftler getestet, wie sicher all die neuartigen Wertpapiere und Fonds der Banken waren. Ihre Berechnungen seien weitgehend korrekt gewesen, so David Gugerli, sie hätten nur ein paar Faktoren übersehen.

    "Das trivialste Beispiel ist, dass man irgendwann vergessen hat, worauf Finanzmarktderivate massenhaft gebaut worden sind, nämlich auf den steigenden Markt für amerikanische Immobilien. Das wurde ausgeblendet."

    Die Finanzkrise wurde zum Desaster für viele europäische Regierungen, die eine nach der anderen abgewählt wurden, weil sie die Probleme nicht in den Griff bekamen. Sie ist aber gleichzeitig ein Beispiel für das Versagen wissenschaftlicher Politikberatung, stellt Renate Mayntz fest.

    "Ganz eindeutig. Das ist nicht nur meine Meinung, diese Meinung ist ausgesprochen verbreitet. Selbst eine Reihe von Mainstream-Ökonomen, hinterher haben sie sich schuldig bekannt, dass sie die falsche Theorie gehabt hätten und dass sie nun gelernt hätten. Das ist ein sehr gutes Beispiel. Hängt damit zusammen, dass gerade die Wirtschaftspolitik ganz stark beeinflusst wurde von wissenschaftlichen Theorien."

    Viel zu lange, so Renate Mayntz, sei die Politik der monetaristischen Wirtschaftslehre gefolgt und habe auf Deregulierung gesetzt. Aus der Krise werde sie nur herausfinden, wenn sie es schaffe, wieder eigene Handlungsmaximen aufzustellen. Doch praxistaugliche Konzepte können Politiker ohne wissenschaftliche Expertise kaum entwerfen. Das gilt für die Wirtschaftspolitik, aber auch für jedes andere Handlungsfeld. Wissenschaft und Macht bleiben also aufeinander angewiesen. Sie werden ihre Sphären nicht trennen können. Stattdessen müssen sie ihr Verhältnis immer wieder neu austarieren.