Donnerstag, 28. März 2024

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Wissenschaftspublikationen
"Nicht mehr bezahlen fürs Lesen"

Rund 100 Millionen Euro bezahlen deutsche Forschungseinrichtungen pro Jahr Wissenschaftsverlagen nur zum Lesen von wissenschaftlichen Publikationen. Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Horst Hippler, forderte im Dlf, dass Ergebnisse öffentlich geförderter Forschung frei zugänglich sein sollten.

Horst Hippler im Gespräch mit Ralf Krauter | 20.12.2017
    Ralf Krauter: Rund 100 Millionen Euro - so viel bezahlen deutsche Unibibliotheken und Forschungseinrichtungen pro Jahr, damit ihre Wissenschaftler uneingeschränkt Zugang zu den Fachmagazinen der großen Wissenschaftsverlage haben. Elsevier ist einer der größten und wichtigsten davon und hat die Preise für den Zugang zu seinen Journalen in den vergangenen Jahren so kräftig erhöht, dass sich Widerstand regt. Dessen Keimzelle ist das DEAL-Konsortium aus rund 200 Universitäten und Forschungseinrichtungen, das mit Elsevier einen besseren Deal aushandeln will. Die Wissenschaftler wollen weniger bezahlen, um die Fachmagazine lesen zu können, und sie wollen, dass Fachartikel, an denen sie mitgewirkt haben, für andere kostenfrei zugänglich sind - Stichwort Open Access. Da Elsevier bislang wenig Entgegenkommen zeigte, liegen die Verhandlungen über eine Vertragsverlängerung aber gerade auf Eis – mit der Folge, dass das Leben vieler Forscher ab dem 1. Januar 2018 komplizierter werden dürfte. Professor Horst Hippler, der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, ist der Sprecher des DEAL-Konsortiums, das mit Elsevier verhandelt. Ich habe ihn vor der Sendung gefragt, was sich ab dem 1. Januar konkret ändern wird an deutschen Universitäten.
    "Es gibt eine Notversorgung"
    Horst Hippler: Also haben wir haben drei Sorten von Verträgen: Verträge, die Ende letzten Jahres ausgelaufen sind, die nicht erneuert worden sind. Für diese Universitäten und Bibliotheken und Hochschulen ändert sich gar nichts. Dann in diesem Jahr laufen Verträge aus, und die werden nicht verlängert, und für die wird das gleiche passieren, was letztes Jahr für die anderen Universitäten und Bibliotheken passiert ist. Es gibt eine Möglichkeit, auf Artikel zugreifen zu können, es gibt eine Notversorgung, die dann greifen wird. Es wird nicht mehr ganz so bequem, aber es gibt für die Wissenschaftler keinen Grund zur Sorge. Sie werden alle möglichen Artikel bekommen. Vielleicht nicht ganz so schnell, aber sie werden alles bekommen. Und dann gibt es noch Verträge, die noch gültig sind bis Ende nächsten Jahres, und danach wäre dann Deutschland vertragslos mit Elsevier.
    "Alle Artikel, aber nicht mehr so global und alles im Voraus"
    Krauter: Das heißt, nächstes Jahr wäre es dann wirklich schwierig, überhaupt an Publikationen von Elsevier noch ranzukommen.
    Hippler: Nein, es ist nicht schwieriger, an Publikationen an Elsevier heranzukommen. Sie können natürlich über die Fernleihe oder über eine Einzelbeschaffung natürlich alle Artikel bekommen, aber nicht mehr so global und alles im Voraus.
    "Golden Open Access - für die ganze Welt zugänglich"
    Krauter: Das Ziel ist ja ein umfassender Deal, der sozusagen den Forschern die Nutzung der Elsevier-Publikation ermöglicht, der aber auch sicherstellt, dass zumindest ein beträchtlicher Teil dieser Publikationen auch für andere frei zugänglich gemacht werden kann. Was genau fordern Sie von Elsevier, was ist der Kern der Dealforderung?
    Hippler: Also der Kern der Forderung ist, es sind öffentliche Gelder, mit denen diese Lizenzen in der Vergangenheit zum Lesen gekauft worden sind, und wir möchten einen Paradigmenwechsel haben, dass öffentlich geförderte Forschung, wenn sie dann publiziert wird, diese Ergebnisse dann auch für die Öffentlichkeit zugänglich sind, und dafür müssen sie golden Open Access sein. Das heißt, man muss seine Unkosten bezahlen für das Publizieren, aber nicht mehr bezahlen für das Lesen, und wenn man das gemacht hat und die Publikationen sind golden Open Access, dann sind sie für die ganze Welt lesbar und zugänglich, da sie mit öffentlichen Geldern gefördert sind. Das ist unsere Forderung. Natürlich müssen wir unsere Kosten dann auch bezahlen, die bei den Verlagen entstehen, und die Basis, auf der wir diese Kosten berechnen möchten, ist die Basis der Publikationen, die aus Deutschland kommen mit deutschen Erstautoren, von deutschen wissenschaftlichen Einrichtungen.
    "Man kann eigentlich nicht ein Jahr warten"
    Krauter: Nun sagt ja auch Elsevier interessanterweise, Open Access gehört die Zukunft, also wir finden das gut, dass Publikationen künftig für viele frei zugänglich sein sollen, das heißt, was die Ziele angeht, ist man ja gar nicht so weit auseinander.
    Hippler: Na doch, das heißt, alles Open Access, aber was Open Access wirklich bedeutet, da liegt der Teufel im Detail: Golden Open Access heißt nämlich sofort frei lesbar, und Elsevier favorisiert ein anderes Open Access, das ist dann nach einer Karenzzeit von einem Jahr erst frei lesbar, und das ist für viele Fächer völlig uninteressant. Dort, wo der Fortschritt sehr, sehr schnell ist, kann man eigentlich nicht ein Jahr warten, bis die Publikationen für jedermann sichtbar sind. Das ist ein großer Unterschied.
    Wie viel Geld aus Deutschland fließt an Elsevier?
    Krauter: Wie weit ist Ihnen denn Elsevier schon entgegengekommen, nachdem Sie diese Forderung formuliert haben? Ist da Bewegung?
    Hippler: Da ist sehr wenig Bewegung. Wir sind dabei, uns jetzt erst noch mal über die Rahmenbedingungen zu unterhalten, und wir versuchen, einmal herauszubekommen, ob wir von den gleichen Zahlen sprechen. Es ist ja so, dass Deutschland durch die verschiedenen Einrichtungen bei Elsevier Lizenzen kauft, und wir hätten gerne sozusagen eine Übereinstimmung, wie viel Geld aus Deutschland an Elsevier fließt an dieser Stelle, und wir hätten auch gerne gewusst, dass wir über das gleiche reden, wenn wir davon reden, dass wir Publikationen mit einem deutschen Erstautor oder einer deutschen Einrichtung nehmen, dass wir sagen, da sind wir auch im gleichen Konsens, dass wir da eine gleiche Basis haben, über die wir reden können, und dann kann man darüber reden, wie man in der Zukunft dann vorgeht. Aber die Transformation ist etwas, was wir relativ schnell machen möchten, und Elsevier möchte dafür sehr viel mehr Zeit haben. Das alte Geschäftsmodell ist natürlich für die Verlage sehr profitabel.
    100 Millionen pro Jahr - "einfach nur zum Lesen"
    Krauter: Können Sie mal eine Hausnummer nennen, über welche Summen man da überhaupt redet, wie viele zig Millionen gehen da jedes Jahr von deutschen Forschungseinrichtungen an die großen Verlage, speziell an Elsevier?
    Hippler: Nicht speziell an Elsevier, das würde ich jetzt nicht so sagen, aber wenn Sie die drei großen Verlage nehmen, sind das in der Größenordnung 100 Millionen pro Jahr, die bezahlt werden, einfach nur zum Lesen von wissenschaftlichen Publikationen, wobei man dann eigentlich wissen muss, dass wir sozusagen auch unsere eigenen Publikationen, die wir in Deutschland erarbeitet haben und veröffentlicht haben, dann zurückkaufen müssen. Das ist so etwas, was nicht mehr zeitgemäß ist.
    Krauter: Geht es bei diesem Streit vor allem ums Geld?
    Hippler: Natürlich geht es ums Geld. Es geht am Schluss immer ums Geld.
    "Deutsche Forschung in vielen Fächern tatsächlich Weltspitze"
    Krauter: Jetzt gab es in den Niederlanden ähnliche Probleme. Dort hat sich Elsevier 2015 mit 14 Universitäten geeinigt, einen Deal abgeschlossen, der umfasst unter anderem, dass 30 Prozent aller Publikationen, an denen eben niederländische Forscher dieser Universitäten beteiligt sind, sofort frei zugänglich sind, ohne dass man dafür extra noch bezahlen muss. Wäre das nicht auch ein Modell für Deutschland?
    Hippler: Ich glaube nicht, dass das ein Modell für Deutschland wäre. Das Problem ist ja, wie stellen Sie diese 30 Prozent fest. Wir brauchen dann einen relativ großen Verwaltungsaufwand, um herauszufinden, dass es wirklich 30 Prozent oder 15 Prozent sind. Deutschland ist ja sehr viel größer als die Niederlande, und deshalb ist das Zählen an der Stelle nicht ganz so einfach. Wir gehen davon aus, dass alle unsere Publikationen, die mit öffentlichen Geldern gefördert werden, eigentlich auch nach Wahl des Forschers, natürlich direkt golden Open Access gestellt werden müssen, dass jedermann sie auch weltweit lesen kann.
    "Problem ist, dass wir eigentlich nicht mehr so viel zahlen wollen"
    Krauter: Ich habe nachgelesen, dass ungefähr einer von fünf Forschungsartikeln in 2016 unter Beteiligung eines deutschen Autors publiziert wurden, in einem Fachjournal von Elsevier erschienen ist. Können es sich Deutschlands forschende Universität da überhaupt leisten, dass man sich nicht mit diesem Verlag einigt?
    Hippler: Ich weiß nicht, ob das was damit zu tun hat. Publizieren und Lizenzen zahlen sind zwei verschiedene Sachen. Ich glaube, Elsevier ist genauso darauf angewiesen, dass exzellente Wissenschaft aus Deutschland bei ihnen publiziert wird, denn sonst verlieren sie natürlich auch ein bisschen an ihrem eigenen Renommee, denn die deutsche Forschung ist ja in vielen Fächern tatsächlich Weltspitze, und insofern möchte man natürlich, auch von dem Verlag aus gesehen, deutsche Publikationen da haben, und wir reden nicht darüber, die Publikationen in den Zeitschriften zu boykottieren. Unser Problem ist, dass wir eigentlich nicht mehr so viel zahlen wollen wie in der Vergangenheit und darüber reden müssen, wie wir das hinbekommen. Das ist etwas ganz anderes. Was einen großen Wert hat, ist eigentlich das Qualitätssicherungssystem, was von den Wissenschaftlern und von den Verlagen aufgebaut worden ist. Dieses Qualitätssicherungssystem sehe ich ein bisschen in Gefahr, wenn heutzutage viele neue Internetzeitschriften entstehen, dass man dahingeht und dann das Qualitätssicherungssystem, was man eigentlich benötigt in der Wissenschaft, dass das dann umgangen wird, und das hilft weder dem Verlag Elsevier noch der Wissenschaft. Insofern ist es schon notwendig, dass man sich irgendwie einigt, aber die Frage ist natürlich, zu welchem Preis, und im Moment sind die Preise so nach oben gegangen, dass wir meinen, da müssen wir eine Bremse einziehen.
    "Preissteigerungen im Mittel von drei Prozent pro Jahr"
    Krauter: Welche Druckmittel haben Sie denn noch, um Elsevier von Ihrer Sicht der Dinge zu überzeugen? Also eins sprachen Sie ja schon an: Es gibt prominente deutsche Reviewer, die bisher kostenfrei Fachartikel für Elsevier begutachtet haben, die zum Teil jetzt schon den Dienst quittiert haben als Reaktion auf diesen Streit mit dem Verlag. Ist das ein Trumpf, der vielleicht hilft, die Gegenseite zu überzeugen?
    Hippler: Es geht nicht um die Reviewer, es geht auch um die Herausgeber der Zeitschriften, denn alle diese Zeitschriften sind ja von bekannten Wissenschaftlern herausgegeben, und wenn die sozusagen an dieser Stelle nicht mehr mitmachen, dann verlieren die Zeitschriften natürlich in gewisser Weise ein bisschen Renommee. Ich weiß nicht, wie weit das geht und wie lange das gehen kann, auf jeden Fall denke ich, ist es höchste Eisenbahn, dass wir mit Elsevier uns in diese Richtung bewegen und dass wir versuchen, da etwas hinzubekommen – erstens, die Kosten zu begrenzen, dass sie nicht weiter steigen, denn man hat ja in den letzten Jahren sozusagen Preissteigerungen gehabt im Mittel von drei Prozent pro Jahr, und wenn Sie das über 20 Jahre machen, dann wissen Sie, was da hinten rauskommt. Das ist nicht ewig lange auszuhalten.
    Krauter: Das ist schlicht nicht finanzierbar für den Forschungsstandort dann zum Teil. Wie groß sehen Sie denn die Chancen, dass man sich jetzt zeitnah da doch noch mal trifft und vielleicht eine Einigung findet?
    Hippler: Wenn wir es geschafft haben, uns über die Randbedingungen noch mal inoffiziell zu unterhalten, ist die Frage, wann wir dann noch mal uns treffen können, aber das wird sicherlich nicht bis zum Jahreswechsel passiert sein, und ich gehe mal davon aus, dass wir uns im Januar, Februar vielleicht dann doch noch mal ernsthafter treffen und sagen, wie es denn eigentlich gehen könnte.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.