Dienstag, 30. Mai 2023

Arbeiten in der Wissenschaft
Wie der Forschernachwuchs durch Befristungen ausgebremst wird

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung will die Arbeits- und Karrieremöglichkeiten von Nachwuchswissenschaftlern verbessern und deshalb das entsprechende Wissenschaftszeitvertragsgesetz reformieren. Doch die Pläne stoßen auf Kritik.

04.04.2023

    Illustration mehrerer Student*innen, die in einer Miniaturwelt auf Büchern sitzen, auf Tablets sitzen und miteinander interagieren.
    Sie leisten Maximales für ihre wissenschaftliche Arbeit - bei minimaler Sicherheit: Nachwuchswissenschaftler hangeln sich oft prekär von Arbeitsvertrag zu Arbeitsvertrag. (Getty Images / iStockphoto / elenabs)
    Wer in der Wissenschaft Karriere machen und eine Professur ergattern will, braucht viel innere Motivation, Ausdauer und eine hohe Frustrationstoleranz. Laut dem Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft (NGAWiss) hangeln sich 92 Prozent der Wissenschaftlichen Mitarbeitenden diesseits der Professur an Hochschulen und anderen Forschungseinrichtungen prekär von einem befristeten Zeitvertrag zum nächsten - ohne sichere Aussicht auf eine dauerhafte Anstellung als Forscherin und Forscher.
    Das Bundesforschungsministerium (BMBF) hat ein Papier für eine Reform des sogenannten Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) vorgestellt, das die Befristungen neu regeln soll. Es erntete von Wissenschaftlern und Gewerkschaften Protest. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) etwa bezeichnet das WissZeitVG und die Reformvorschläge als „skandalös“. Auch die Hochschulrektorenkonferenz kritisierte das Papier, das vom BMBF nun wieder zurückgezogen wurde.

    Was ist das Wissenschaftszeitvertragsgesetz?

    Das derzeit gültige Wissenschaftszeitvertragsgesetz regelt seit dem Jahr 2007, wie die Arbeitsverträge für das wissenschaftliche und künstlerische Personal an staatlichen Hochschulen und Forschungseinrichtungen zeitlich befristet werden können, welche Voraussetzungen dafür erfüllt sein müssen und wo die Grenzen der Befristung sind.
    Aktuell dürfen Nachwuchswissenschaftler inklusive ihrer Qualifizierungsstelle für die Promotion und ihrer anschließenden Postdoc-Zeit insgesamt zwölf Jahre lang befristet angestellt sein – sechs Jahre vor und sechs Jahre nach der Promotion. Meistens jeweils verteilt auf Ein-, Zwei- oder auch Drei-Jahresverträge. Gelingt es ihnen innerhalb dieser Zeit nicht, sich für eine Professur zu qualifizieren, dürfen sie nicht weiter von Hochschule oder Forschungsinstitut beschäftigt werden – und stehen damit oft vor dem Aus ihrer Tätigkeit in der Wissenschaft.
    Aus diesem Grund wird eine Karriere in der Wissenschaft für viele Hochschulabsolventen immer unattraktiver.

    Was wollte das Bundesforschungsministerium ändern?

    Zunächst klingt positiv, was das BMBF unter anderem plante: nämlich verbindliche Mindestlaufzeiten von drei Jahren für Promotionsstellen zu schaffen, mit der Möglichkeit für drei weitere Jahre. Zugleich sollte aber die befristete Beschäftigung von Postdocs auf drei Jahre begrenzt werden. Damit wolle man mehr Transparenz, Verbindlichkeit und Planbarkeit schaffen, heißt es in dem Papier.
    Mit dem derzeit bestehenden Gesetz von 2007 (mit einer Novellierung 2016) ist unter anderem die Absicht verbunden, durch höhere Mitarbeiterfluktuation in der Forschung das Innovationspotenzial des Wissenschaftsstandortes Deutschland zu erhöhen – und zu verhindern, dass Stellen durch Dauerbeschäftigungen blockiert werden.
    Gelingen kann dies nach Meinung von Initiativen wie dem Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft oder der Jungen Akademie mit einem solchen Befristungsgesetz aber nicht – zumal es noch immer zu wenige alternative Arbeitsmöglichkeiten, etwa an Hochschulen, für talentierte Forscher gibt, die nicht unbedingt eine Professur anstreben, sondern einfach weiter in der Wissenschaft arbeiten wollen.

    Was kritisieren Wissenschaftler am WissZeitVG?

    Eine Verkürzung der Postdoc-Phase würde den Druck auf den Nachwuchs massiv verstärken, befürchten Wissenschaftler, die sich in einem offenen Brief gegen die Vorlage des BMBF wenden. Rund 2800 Personen haben dieses Schreiben mittlerweile unterzeichnet. Darin heißt es unter anderem:
    "Seit Einführung des WissZeitVG 2007 gibt es ausreichend Evidenz hinsichtlich seiner negativen Auswirkungen auf Forschung und Lehre. Offenbar wurden diese bei der Erstellung des Eckpunktepapiers nicht ausreichend zur Kenntnis genommen, deshalb reichen wir sie hier nach. Viele der Unterzeichnenden haben ihre akademische Vita in den Grenzen des WissZeitVG durchlaufen und es trotzdem auf eine Professur geschafft. Dies taugt aber nicht als Beleg für das Argument, dass man es ‚eben schaffen kann, wenn man nur will‘."
    Auch Promovierende benötigen häufig mehr Zeit als drei Jahre für die Fertigstellung ihrer Dissertation – das ergab unter anderem eine Studie der Deutschen Physikalischen Gesellschaft. Eine garantierte Laufzeit der Promotionsstelle von lediglich drei Jahren würde demnach etliche Nachwuchsforscher vor dem Abschluss ihrer Dissertation ins Leere laufen lassen.
    Das WissZeitVG steht schon länger in der Kritik, weil die Betroffenen nach zwölf Jahren häufig vor dem Nichts stehen, es sei denn, sie haben sich beizeiten um berufliche Alternativen gekümmert. 2021 begehrten Nachwuchswissenschaftlerinnen und –wissenschaftler öffentlichkeitswirksam unter dem Hashtag #IchbinHanna in den sozialen Medien gegen diese Situation auf. Zahlreiche in der Wissenschaft Arbeitende berichteten dort von ihrer prekären Situation und der Aussicht, sich künftig durch Arbeitslosengeld finanzieren zu müssen.
    Nach dem Novellierungsentwurf des WissZeitVG folgte jetzt auf Twitter #ProfsfürHanna: Wissenschaftler aller Couleur machen sich darin für den Nachwuchs stark.

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    Einen weiteren wichtigen Aspekt des Themas dokumentiert Matthias Kuhnt vom Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft in einer repräsentativen Umfrage: Viele der Betroffenen seien zwischen 30 und 40 Jahren alt – also, mitten in der Rush Hour of Life. In dieser Zeit geht es nicht nur um die Karriere, sondern für viele auch darum, eine Familie zu gründen. Doch ausgerechnet in dieser Phase erleben sie durch befristete Arbeitsverträge die maximale Planungsunsicherheit. Viele fühlen sich schlicht vom System verheizt.
    Das Netzwerk Gute Arbeit in der Wissenschaft hat, parallel zum BMBF, eine eigene Evaluation des WissZeitVG durchgeführt. Dafür wurden über 4.500 Wissenschaftliche Mitarbeitende von 23 Universitäten zu ihrer Situation befragt. 82 Prozent der Befragten arbeiteten in ihrem zwölften Jahr der Beschäftigung noch immer auf befristeten Verträgen, die im Schnitt jeweils auf 1,5 Jahre begrenzt waren.
    Das Video „Zwei Minuten im Forschungswunderland“ illustriert und fasst anschaulich zusammen, worum es dem NGAWiss geht:

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    Gibt es Kompromissvorschläge zur Reform des WissZeitVG?

    Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat nach Kritik, Protestbrief und Kundgebungen das Eckpunktepapier zur Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes wieder zurückgezogen. „Zurück in die Montagehalle“ zitiert der Blogger und Wissenschaftsjournalist Jan-Martin Wiarda das BMBF, was bedeutet: Das Paper wird, nach weiteren Beratungsrunden, überarbeitet.
    Dass das WissZeitVG einer Reform bedarf, scheint unstrittig. Doch dafür müssen sich auch Strukturen in der Wissenschaft ändern: Mehrere Wissenschaftler äußern sich dazu in Wiardas Blog mit Kompromissvorschlägen. So schlägt der Jurist Simon Pschorr als transparente und rechtssichere Möglichkeit ein „Anschlusszusage-Modell“ vor: einen zwar zunächst befristeten Arbeitsvertrag, der aber die Option der Entfristung vorsieht, flankiert mit Ziel- und Leistungsvereinbarungen.
    Michael Schulz, Direktor des Zentrum für Marine Umweltwissenschaften an der Universität Bremen, wiederum wünscht sich eine Transformation der Personalstruktur an Universitäten. Dazu gehört für ihn auch: Eine gezielte Personalentwicklung zugunsten des Nachwuchses muss dort Chefsache werden. Derzeit ist dies an viel zu wenigen Hochschulen der Fall.
    Quellen: Deutschlandradio, NGAWiss, BMBF, www.jmwiarda.de, mkn