Mittwoch, 24. April 2024

Arbeiten in der Wissenschaft
Wie der Forschernachwuchs durch Befristungen ausgebremst wird

Die Bundesregierung will die Arbeits- und Karrieremöglichkeiten von Nachwuchswissenschaftlern verbessern. Deshalb reformiert sie das Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Trotz deutlicher Kritik am Gesetzentwurf wurde dieser vom Bundeskabinett gebilligt.

28.03.2024
    Illustration mehrerer Student*innen, die in einer Miniaturwelt auf Büchern sitzen, auf Tablets sitzen und miteinander interagieren.
    Sie leisten Maximales für ihre wissenschaftliche Arbeit - bei minimaler Sicherheit: Nachwuchswissenschaftler hangeln sich oft prekär von Arbeitsvertrag zu Arbeitsvertrag. (Getty Images / iStockphoto / elenabs)
    Wer in der Wissenschaft Karriere machen und eine Professur ergattern will, braucht viel innere Motivation, Ausdauer und eine hohe Frustrationstoleranz. Laut dem „Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft (NGAWiss)“ hangeln sich 92 Prozent der Wissenschaftlichen Mitarbeitenden an Hochschulen und anderen Forschungseinrichtungen prekär von einem befristeten Zeitvertrag zum nächsten – ohne sichere Aussicht auf eine dauerhafte Anstellung als Forscherin und Forscher.
    Im Koalitionsvertrag hatte die Bundesregierung deswegen angekündigt, die Planbarkeit von wissenschaftlichen Karrieren verbessern zu wollen. Im März 2023 präsentierte sie Eckpunkte zur Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes. Diese wurden in den sozialen Medien derart zerrissen, dass das federführende Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) seine Reformideen nach nur wenigen Tagen zurückzog. Knapp drei Monate später legte Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) am 6. Juni 2023 dann einen überarbeiteten Referentenentwurf vor.
    Entgegen der deutlichen Kritik von Gewerkschaften, Studierendenvertretungen, aber auch aus den Reihen der SPD und der Grünen, wurde nun dieser zweite Referentenentwurf des Wissenschaftszeitvertrags nahezu unverändert vom Bundeskabinett beschlossen.

    Was ist das Wissenschaftszeitvertragsgesetz?

    Das derzeit gültige Wissenschaftszeitvertragsgesetz regelt seit dem Jahr 2007, wie die Arbeitsverträge für das wissenschaftliche und künstlerische Personal an staatlichen Hochschulen und Forschungseinrichtungen zeitlich befristet werden können, welche Voraussetzungen dafür erfüllt sein müssen und wo die Grenzen der Befristung sind.
    Mit dem Gesetz ist unter anderem die Absicht verbunden, durch höhere Mitarbeiterfluktuation in der Forschung das Innovationspotenzial des Wissenschaftsstandortes Deutschland zu erhöhen – und zu verhindern, dass Stellen durch Dauerbeschäftigungen blockiert werden.

    Generelle Kritik am Wissenschaftszeitvertragsgesetz

    Gelingen kann dies nach Meinung von Initiativen wie dem Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft (NGAWiss) oder der Jungen Akademie mit einem solchen Befristungsgesetz aber nicht – zumal es noch immer zu wenige alternative Arbeitsmöglichkeiten, etwa an Hochschulen, für talentierte Forscher gibt, die nicht unbedingt eine Professur anstreben, sondern einfach weiter in der Wissenschaft arbeiten wollen.
    Aktuell dürfen Nachwuchswissenschaftler inklusive ihrer Qualifizierungsstelle für die Promotion und ihrer anschließenden Postdoc-Zeit insgesamt zwölf Jahre lang befristet angestellt sein – sechs Jahre vor und sechs Jahre nach der Promotion. Meistens jeweils verteilt auf Ein-, Zwei- oder auch Drei-Jahresverträge.
    Gelingt es ihnen innerhalb dieser Zeit nicht, sich für eine Professur zu qualifizieren, dürfen sie nicht weiter von der Hochschule oder dem Forschungsinstitut beschäftigt werden – und stehen damit oft vor dem Aus ihrer Tätigkeit in der Wissenschaft. Aus diesem Grund wird eine Karriere in der Wissenschaft für viele Hochschulabsolventen immer unattraktiver.

    Was hat das Bundeskabinett nun beschlossen?

    Es soll Mindestlaufzeiten für Verträge geben. Dieser Punkt stößt bei allen Beteiligten auf Zustimmung: "Zum ersten Mal sollen Mindestvertragslaufzeiten für alle Phasen der wissenschaftlichen Karriere im WissZeitVG vorgeschrieben werden: Drei Jahre Mindestvertragslaufzeit für den Erstvertrag in der Phase vor der Promotion und zwei Jahre nach der Promotion, sowie ein Jahr Mindestvertragslaufzeit für die studienbegleitende Beschäftigung." 
    Zugleich soll die befristete Beschäftigung von Postdocs begrenzt werden: „Die Höchstbefristungsdauer in der Qualifizierungsphase nach der Promotion soll von sechs auf vier Jahre reduziert werden. Dieser Zeitraum verlängert sich wie bisher um nicht benötigte Befristungszeiten aus der Phase vor der Promotion sowie Verlängerungen um jeweils zwei Jahre wegen Betreuung minderjähriger Kinder sowie wegen Behinderung oder schwerwiegender chronischer Erkrankung oder – neu – der Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger."

    Ziel: Früher Gewissheit haben

    Möglichst frühzeitig, aber in der Regel spätestens nach vier Jahren soll sich dann entscheiden, ob Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine Perspektive auf eine dauerhafte Beschäftigung in der Wissenschaft haben, beispielsweise auf eine Professur oder auf eine andere dauerhafte Stelle neben der Professur. 
    Anschließend könnte noch einmal ein zweijähriger Vertrag folgen, aber nur, wenn es eine Zusage für eine Weiterbeschäftigung gibt. Gedacht ist das als eine Art Brücke von der Postdoc-Phase hin zu einer Juniorprofessur beispielsweise.

    Auch studentische Beschäftigte betroffen

    Auch für studentische Beschäftigte soll sich etwas ändern: Sie dürfen künftig bis zu acht Jahre (bisher maximal sechs) befristet beschäftigt werden, damit sie sich bei Überschreitung der Regelstudienzeit zum Studienende nicht noch einen neuen Nebenjob suchen müssen. Und eine Mindestvertragslaufzeit von einem Jahr soll mehr Verlässlichkeit schaffen. Bisher liefen Verträge nach Ministeriumsangaben im Schnitt über ein knappes halbes Jahr und wurden immer wieder verlängert.

    Welche Kritik gibt es an der Reform?

    Auf zentrale Forderungen der Kritiker der vorgelegten Reformentwürfe wurde nicht eingegangen, namentlich mehr Sicherheit, mehr Dauerstellen, kürzere Befristungen.
    Der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und Hochschulexperte Andreas Keller erklärte: „Das ist ein glatter Bruch der Ampel-Versprechen, mit dem das Parlament die Regierung nicht durchkommen lassen darf.“
    Die GEW fordert mehr Dauerstellen und höheren Druck von Seiten der Bundesregierung auf die Länder. Denn Bildung und damit auch die Universitätsbetrieb ist Ländersache. Aus dem FDP-geführten Bundesministerium heißt es entsprechend, die Bundesregierung kann nur den arbeitsrechtlichen Rahmen setzen und weder zusätzliche unbefristete Stellen schaffen, noch die Bundesländer zu solchen zwingen.
    Kritik gibt es auch, weil Promovierende häufig mehr Zeit als drei Jahre für die Fertigstellung ihrer Dissertation brauchen – das ergab unter anderem eine Studie der Deutschen Physikalischen Gesellschaft. Eine garantierte Laufzeit der Promotionsstelle von lediglich drei Jahren würde demnach etliche Nachwuchsforscher vor dem Abschluss ihrer Dissertation ins Leere laufen lassen.
    Amrei Bahr, Juniorprofessorin für Philosophie der Technik & Information an der Universität Stuttgart und eine der Frauen hinter der Bewegung #IchbinHanna, kritisiert, dass es neben einer Anschlusszusage für auf maximal zwei Jahre befristete Stellen eine Befristungshöchstquote geben müsse, um bessere Arbeitsbedingungen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu schaffen. Nur so könne erreicht werden, weniger Post-Docs zu befristen. Unter dem Hashtag #IchbinHanna hatten Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler erstmals im Juni 2021 auf ihre prekären Arbeitsbedingungen aufmerksam gemacht.

    Neuer Koalitionsstreit bahnt sich an 

    Die vom Bundeskabinett gebilligte Reform dürfte zudem neuen Ärger innerhalb der Ampel-Koalition hervorrufen. Grüne und SPD hatten im Vorfeld bereits deutliche Kritik an den Vorhaben des FDP-geführten Bundesministeriums geäußert. Der Entwurf gilt als reiner Ministeriumsentwurf mit Handschrift der FDP. Nun geht das Gesetz in die Erste Lesung im Bundestag. Dort will man nun Änderungen an dem Gesetz erreichen. Zudem muss es noch durch den Bundesrat, wo es jedoch nicht zustimmungsbedürftig ist.
    Termine für die Beratungen in Parlament und Länderkammer stehen noch nicht fest. In Kraft treten soll das Gesetz erst ein halbes Jahr nachdem es beschlossen und im Bundesgesetzblatt verkündet ist, damit die Hochschulen sich darauf einstellen können. Laufende Verträge bleiben außerdem unberührt von den Neuregelungen, heißt es.

    mkn, ckr