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Witthaut: Die Grenze der Belastbarkeit ist erreicht

Castor-Transport, Stuttgart 21, Terrorwarnungen, Gewalt gegen Polizeibeamte durch betrunkene Jugendliche und jede Menge Überstunden. "Sie gehen zum Teil wirklich auf dem Zahnfleisch", sagt Bernhard Witthaut über die hohe Belastung seiner Polizeikollegen.

Bernhard Witthaut im Gespräch mit Friedbert Meurer | 23.11.2010
    Friedbert Meurer: Gerade erst hat die deutsche Polizei eine Mammutaufgabe zu leisten gehabt. Tausende Polizisten waren im Wendland im Einsatz. Sie sorgten dafür, dass die Castor-Transporte im Zwischenlager Gorleben sicher ankommen. Und schon geht es in die nächste Runde; Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat vor konkreten Terrorplanungen in Deutschland gewarnt. Die Polizei ist in Hab-Acht-Stellung an Flughäfen, Bahnhöfen und gerade ja auch in Berlin im Regierungsviertel zeigt sie erhöhte Präsenz. Just in dieser Zeit hat gestern die Gewerkschaft der Polizei einen neuen Bundesvorsitzenden gewählt. Konrad Freiberg ist in den Ruhestand gegangen, der neue oberste Gewerkschafter der GDP heißt Bernhard Witthaut. Guten Morgen, Herr Witthaut!

    Bernhard Witthaut: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Ist das ein für Sie unbequemes Umfeld, in dem Sie gestern Vorsitzender der Gewerkschaft GDP geworden sind?

    Witthaut: Nein, das ist überhaupt kein unbequemes Umfeld, denn die Delegierten, die mich gewählt haben, und die Gäste, die auf unserem Delegiertenkongress waren, sind Kolleginnen und Kollegen, und das ist wirklich ein sehr sicheres Umfeld und ich habe mich auch sehr wohl gefühlt.

    Meurer: Waren die Terrorwarnungen gestern das wichtigste Thema, wenn Sie sich so unterhalten haben mit Kollegen?

    Witthaut: Ja, natürlich, weil insbesondere wir ja nun auch unmittelbar betroffen sind und weil wir natürlich auch in den Ländern sehr unterschiedliche Reaktionen der Polizeien spüren. Insbesondere ist es natürlich so: Auch wir wissen, dass das eine Warnung ist, mit der wir uns auseinandersetzen müssen, aber auch wir wissen, dass man im Grunde genommen so etwas nicht unmittelbar auch greifen kann.

    Meurer: Inwiefern, Herr Witthaut, gibt es unterschiedliche Reaktionen der Polizei in den Bundesländern?

    Witthaut: Na ja, die Terrorwarnungen beschränken sich ja auf ganz bestimmte Städte mittlerweile, sodass man das zumindest so weit auch lokalisieren kann, sodass das letztendlich in dem einen Bundesland eine höhere Präsenz an ganz bestimmten Orten hervorruft, während das in anderen Bundesländern möglicherweise so in dieser Form gar nicht geschieht.

    Meurer: Also der Unterschied ist eher zwischen Stadt und Land, oder?

    Witthaut: Nein. Ich glaube, das ist auch so ein bisschen von den Städten und von den Ländern abhängig. Natürlich ist hier in der Hauptstadt Berlin, aber möglicherweise auch in den anderen größeren Städten eine andere Reaktion der Polizei erforderlich als in kleineren Städten, die auf dem Lande liegen. Das ist aber auch selbstverständlich.

    Meurer: Wie fühlt sich die deutsche Polizei im Moment angesichts der Terrorwarnungen?

    Witthaut: Wir haben nicht nur wegen der Terrorwarnungen, sondern auch wegen unserer alltäglichen Belastung, aber auch natürlich wegen der Belastung der Großeinsätze die Grenze der Belastbarkeit erreicht, und das ist etwas, was mir natürlich sehr, sehr viele Sorgen bereitet, was aber auch bei den Kolleginnen und Kollegen mittlerweile spürbar wird. Ich will es mal ganz drastisch formulieren: Sie gehen zum Teil wirklich auf dem Zahnfleisch.

    Meurer: Was macht den Job so anstrengend, die Überstunden?

    Witthaut: Nein, es sind nicht die Überstunden. Anstrengend macht den Job im Grunde genommen, dass die Anzahl der Stunden, die sie leisten müssen, kaum noch abgefeiert werden kann, aber die in einem rollierenden System letztendlich halt erst in einem Jahr abgefeiert werden können, also eine ganz schwierige Situation. Deswegen haben wir als Gewerkschaft der Polizei ja auch gesagt, einige dieser Überstunden muss man finanziell vergüten, andere wiederum durch Freizeit. Aber das ist das eine.
    Das andere ist: Auch der tägliche Dienst wird immer heftiger, weil zum Beispiel Gewalt gegen Polizeibeamte im Wesentlichen auch im täglichen Dienst stattfindet. Sie werden angegriffen, sie werden getreten, sie werden bespuckt nicht nur bei Großdemos, sondern wirklich im Alltagseinsatz, und das ist etwas, was sehr belastet.

    Meurer: Sie sind ja jetzt schon lange sozusagen im Geschäft, waren, ich glaube, über 15 Jahre lang stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft. Hat sich das wirklich so dramatisch verändert in den letzten Jahren, wie Sie das beschreiben?

    Witthaut: Das ist wirklich so und ich bin froh, dass wir das nicht immer nur gesagt haben, sondern dass auch mittlerweile die Studie des kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen diese Zahlen belegt. Es hat ja jahrelang gedauert, bis die Innenminister bereit waren, das überhaupt anzunehmen. Leider ist es auch in unserer Gesellschaft so: Es muss alles wissenschaftlich zertifiziert sein, erst dann wird unseren Worten auch eher Glauben geschenkt. Deswegen bin ich froh, dass diese Studie jetzt auf dem Tisch liegt. Wir werden ja auch morgen intensiv darüber diskutieren und ich bin auch davon überzeugt, dass die Innenminister sowohl des Bundes als auch der Länder dort Verbesserungen für die Polizei dann mit uns gemeinsam kreieren werden.

    Meurer: Sinken, Herr Witthaut, die Hemmschwellen gegenüber der Polizei vor allen Dingen in Sachen Jugendkriminalität?

    Witthaut: Die Gewaltkriminalität gerade bei Jugendlichen und Heranwachsenden ist schon dramatisch gestiegen. Wir stellen ja auch fest, dass 70 Prozent der Betroffenen, die Polizistinnen und Polizisten angreifen, betrunken sind. Deswegen ist auch für mich die Frage des Alkoholkonsums in den jungen Jahren wirklich ein Problem, mit dem wir uns in der Gesellschaft auseinandersetzen müssen.

    Meurer: Was kann man da machen?

    Witthaut: Ich denke, man muss darüber nachdenken, dass zum Beispiel Tankstellen abends ab 20, 22 Uhr keinen Alkohol mehr verkaufen. Man muss darüber nachdenken, wie man mit den Jugendlichen das Problem Alkohol vielleicht intensiver bespricht, weil es ist schon schrecklich, wenn 14-, 15-Jährige – das gehört schon fast zur Tagesordnung am Wochenende – in vielen Krankenhäusern mit einer Alkoholvergiftung eingeliefert werden. Ich glaube, da ist dringender Handlungsbedarf.

    Meurer: Aber holen die Jugendlichen sich nicht so oder so ihren Alkohol, dann eben vor 20 Uhr?

    Witthaut: Ja, das schon, aber es gibt natürlich Aufklärungsbedarf. Ich finde, man muss mit dem Thema auch ganz offensiv umgehen. Es ist ja auch nur ein Mittel und ein Weg, um zu verhindern, dass wir abends am Samstag, am Sonntag ab 23 Uhr betrunkene 13- und 14-Jährige aufgreifen. Ich finde, das ist ein gesellschaftliches Problem, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen.

    Meurer: Thema Terrorwarnungen, Herr Witthaut. Das beschäftigt natürlich oder das dominiert im Moment die Debatte über die innere Sicherheit. Haben Sie den Eindruck, dass die Medien, dass wir übertreiben?

    Witthaut: Ich will nicht sagen "übertreiben". Ich will auch den meisten Ihrer Kolleginnen und Kollegen zugestehen, dass sie sehr verantwortungsbewusst mit dem Thema umgehen. Aber manchmal hat man schon den Eindruck, die erste Nachricht muss so sensationell sein, dass sich alle hinterher an diese Nachricht orientieren. Ob dann anschließend der Wahrheitsgehalt erhärtet werden kann, ist eine zweite Frage. Ich finde, wir sollten alle gemeinsam sehr verantwortungsbewusst damit umgehen, weil Panik und Hysterie hilft uns überhaupt nicht. Wir als Polizistinnen und Polizisten und alle anderen Sicherheitsbehörden müssen ihren entsprechenden Job dazu machen und die Bevölkerung muss genauso dazu ihren Anteil tragen, und dazu gehören auch die Medien.

    Meurer: War es verantwortungsbewusst vom "Spiegel", zu schreiben und zu behaupten, dass es geplante Anschläge gegen den Reichstag gibt und ein Blutbad im Deutschen Bundestag angestellt werden soll?

    Witthaut: Das weiß ich nicht, ob das verantwortungslos war, weil ich die Quelle des "Spiegel" nicht kenne. Wenn ich die beurteilen könnte, würde ich zu einer anderen Aussage vielleicht kommen.

    Meurer: Es soll unter anderem ein Überläufer aus Islamistenkreisen sein.

    Witthaut: Ja, aber auch das sind doch Menschen, die vielleicht sich nur wichtig machen wollen. Aber wie gesagt, ich kann das nicht bewerten, ich will das auch nicht bewerten, weil da sind die Sicherheitsbehörden viel näher dran als ich.

    Meurer: Andererseits: wir erleben ja jetzt, in Berlin wird kontrolliert, die Reichstagskuppel ist geschlossen worden. Was sollen wir Medien denn machen, als die Gründe zu nennen, wieso das alles geschieht? Die Bundestagsverwaltung nennt ja nicht den Grund, warum die Kuppel geschlossen worden ist.

    Witthaut: Das ist ja genau die Situation. Wenn die Medien die Gründe nennen, dann muss natürlich auch in irgendeiner Form reagiert werden. Ich wollte auch keine Medienschelte betreiben, um Gottes willen, sondern mir geht es darum, dass wir verantwortungsbewusst mit diesem Thema umgehen, und wenn die Bundestagsverwaltung sagt, wir haben vielleicht den einen oder anderen Hinweis, wir müssen dafür sorgen, dass wir einen kontrollierteren Zugang zum Bundestag haben und zum Reichstag, dann ist das eben eine Entscheidung der Bundestagsverwaltung. Auch da gibt es vielleicht Momente, die in dieser Situation dazu zählen, und wenn man diese Hinweise hat, dann muss man sie auch ernst nehmen. Ich glaube, keinem möchte anschließend der Vorwurf gemacht werden, wir haben es ja gesagt, aber ihr habt nicht reagiert.

    Meurer: Bernhard Witthaut, der neue Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Herr Witthaut, schönen dank und auf Wiederhören!

    Witthaut: Auf Wiederhören, Herr Meurer!