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Wittke: "Die Bahn muss besser werden"

Der nordrhein-westfälische Verkehrsminister Oliver Wittke hat die Länderbedenken gegen die Bahn-Privatisierung bekräftigt. Kritik richtet sich vor allem gegen die vom Bund geplante Übertragung der Verfügungsgewalt über das Schienennetz auf die Bahn AG. "Das Netz gehört ganz klar dem Gemeinwohl verpflichtet", sagte der CDU-Politiker Wittke.

Moderation: Dirk Müller |
    Dirk Müller: Wolfgang Tiefensee bleibt dabei. "Die Privatisierung der Bahn kommt. Über einige Details können wir noch reden, aber grundsätzlich ist die Sache klar", sagt der Bundesverkehrsminister:

    ""Die Verfassungsressorts der Bundesregierung haben im Vorfeld der Kabinettsbefassung genau diesen Umstand gründlich geprüft, und wir haben ein Zertifikat dafür, dass dieses Gesetz vollumfänglich verfassungskonform ist. Und auf diese Zusage, auf dieses Fundament verlasse ich mich."

    Dabei nimmt die Kritik an den milliardenschweren Reformplänen zu: in den Regierungsfraktionen, in den Regierungsparteien und jetzt auch noch bei den Bundesländern. Der Vorwurf: einerseits ein völliger Kontrollverlust über das Schienennetz, zum zweiten der Ausverkauf der Bahn an internationale Finanzinvestoren. Die Zweifel wachsen und wachsen, auch beim nordrhein-westfälischen Verkehrsminister Oliver Wittke (CDU). Guten Morgen!

    Oliver Wittke: Guten Morgen, Herr Müller!

    Müller: Herr Wittke, ist die Bahnreform de facto schon gescheitert?

    Wittke: Nein, das glaube ich nicht, aber es gibt eine Menge von Dingen, die noch zu beraten sein werden, unter anderem auch Grundsatzfragen, ob nämlich dieser Gesetzentwurf verfassungswidrig ist oder nicht.

    Müller: Da sagt Wolfgang Tiefensee, es ist alles geprüft worden, alles in Ordnung. Warum haben die Länder Zweifel?

    Wittke: Wir haben Zweifel, weil nicht sichergestellt ist mit diesem Gesetzentwurf, dass die tatsächliche Verfügbarkeit über das Netz beim Bund dauerhaft verbleiben wird. Wir haben auch Zweifel, und der Gutachter bestätigt uns darin, dass tatsächlich nach 15 beziehungsweise 18 Jahren das Netz wieder komplett zurück an den Bund übertragen werden kann. Der Gutachter spricht davon, dass das eine rein theoretische Möglichkeit ist. Wir wollen aber die faktische Möglichkeit.

    Müller: Die faktische Möglichkeit in der Praxis heißt dann, das Netz soll gar nicht erst einmal aus den Händen gegeben werden?

    Wittke: Nein, das Netz gehört ganz klar dem Gemeinwohl verpflichtet. Es ist ein klassischer Bestandteil der Daseinsvorsorge, und darum dürfen nicht private Bahnunternehmen darüber entscheiden, wo Bahnlinien ausgebaut und saniert werden. Das macht der ADAC beim Straßenbau ja auch nicht.

    Müller: Aber, Herr Wittke, brauchen wir die Privatisierung, brauchen wir privates Kapital, um die Bahn besser zu machen?

    Wittke: Völlig klar, wir brauchen privates Kapital ,und die Bahn ist auch auf dem guten Weg. Sie hat in den vergangenen Jahren gute Fortschritte gemacht. Sie hat sich international aufgestellt. Sie hat sich nicht nur auf die Schiene konzentriert, sondern auch andere Verkehrsträger in ihre Mobilitätskonzepte mit eingebunden. Da sind wir Riesenschritte nach vorne gekommen. Wir brauchen jetzt auch Kapital, also auch eine Teilprivatisierung der Bahn. Aber wir haben Zweifel als Länder daran, dass der jetzt eingeschlagene Weg der richtige ist.

    Müller: Herr Wittke, braucht die Bahn Kapital, was das dann auch hinterher mitbestimmen kann?

    Wittke: Das Kapital kann mitbestimmen, was den Betrieb anbelangt. Das Kapital darf aber nicht mitbestimmen, was das Netz anbelangt, denn das Netz ist dem Gemeinwohl verpflichtet, ich sage es noch einmal. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass ein privates Unternehmen, wo privates Kapital investiert worden ist, tatsächlich Bahnlinien von Bocholt nach Münster oder von Paderborn nach Warburg aufrecht erhalten will. Das aber genau ist notwendig, wenn wir die Bahn weiterhin in der Fläche attraktiv halten.

    Müller: Das heißt, Sie sagen, wenn privates Kapital mitbestimmt beim Schienennetz, dann werden bestimmte Strecken stillgelegt. Warum gilt das denn nicht für den Betrieb?

    Wittke: Beim Betrieb wollen wir Wettbewerb, weil wir sicher sind, dass durch mehr Wettbewerb wir eine bessere Leistung und bessere Preise erzielen. Das haben Ausschreibungen in den vergangenen Jahren immer wieder gezeigt. Und die Leistung, die man einkauft beim Betrieb auf der Schiene, die kann man vorher bestimmen, die kann man vertraglich vereinbaren. Dort sehen wir keine Gefahren für das Allgemeinwohl.

    Müller: Aber für Sie ist das ausgemachte Sache, dass der Staat sich im Grunde jetzt ein wenig zurückhalten muss, sich jedenfalls in Teilen herausziehen muss.

    Wittke: Der Staat muss weiterhin das volle Zugriffsrecht auf das Netz behalten. Aber was den Betrieb anbelangt, können wir Wettbewerb organisieren. Das ist überhaupt gar kein Problem. Da gibt es unterschiedliche Unternehmen. Die Bahn ist ein gutes, ein starkes Unternehmen in diesem Spiel. Aber es gibt eben auch andere.

    Müller: Wenn privates Kapital dazu kommt, ist das dann wiederum auch in der Konsequenz, dass mehr getan wird für die Gewinne als für die Leistung?

    Wittke: Wir haben oder sehen zumindest die Gefahr. Darum muss man ganz genau hinschauen, was beispielsweise mit den 2,5 Milliarden Euro jährlicher Bundeszuschüsse geschieht. Denn es ist ja nicht so, als würde die Bahn künftig ohne staatliche Zuschüsse auskommen. 2,5 Milliarden Euro will der Bund Jahr für Jahr an die Bahn überweisen, und da wollen wir mitbestimmen, wo dieses Geld investiert wird.

    Müller: Aber der Investor hat doch dann relativ gute Karten, weil der Staat kompensiert, der Staat hilft, und er geht gar kein Risiko ein.

    Wittke: Das ist wahr. Und darum müssen Sicherheitsmechanismen eingebaut werden, dass der Staat auch weiterhin bestimmt, wo Strecken ausgebaut werden, wo Strecken neu gebaut werden, wo Strecken saniert werden.

    Müller: Inwieweit, Herr Wittke, ist das denn in Ordnung, dass Aktionäre dann künftig von Steuergeldern, die vorher in Milliarden geflossen sind, profitieren können?

    Wittke: Also die Aktionäre profitieren ja zuerst einmal von ihrem selbst eingesetzten Kapital. Sie investieren ja auch. Sie geben Kapital an die Bahn, damit die Bahn sich weiter entwickeln kann. Das sollen sie auch verzinst bekommen. Das ist völlig unstrittig, und das ist okay. Aber genauso wichtig ist auch die Rendite, die der Staat erzielen will für die 2,5 Milliarden, die er jährlich investiert. Da muss er mitbestimmen können, und wir sehen die ganz, ganz große Gefahr, dass genau eben das nicht der Fall sein wird, dass nämlich privatwirtschaftliche Interessen vor den Interessen des Allgemeinwohls stehen.

    Müller: Und warum lässt man es dann nicht ganz?

    Wittke: Weil man Geld braucht, um die Bahn im internationalen Wettbewerb weiter zu stärken. Sie hat in den vergangenen Jahren gute Fortschritte gemacht.

    Müller: Ohne privates Kapital?

    Wittke: Ohne privates Kapital, das ist richtig. Aber in einer globalisierten Welt, wo es auf Schnelligkeit, wo es auch ein Stück weit auf Größe ankommt, braucht man sicherlich noch mehr Kapital. Von daher ist es richtig, eine Teilprivatisierung der Bahn vorzunehmen, aber man muss eben den Spagat hinbekommen zwischen öffentlichen Aufgabenstellungen und den Privatinvestoren, die Gewinne machen.

    Müller: Jetzt sagen die Kritiker der Bundesländer, die sagen, wenn Sie mit diesen Regelungen soweit gehen, wie Sie jetzt fordern gegenüber dem Verkehrsminister, dann würde es sich nicht lohnen, dass Finanzinvestoren überhaupt einsteigen.

    Wittke: Das glaube ich nicht. Also das haben wir anderen Stellen auch gesehen, dass das geht. Ich bin sicher, dass die Bahn ein hoch interessantes Unternehmen ist, aber wir müssen den Blick haben, dass wir die Verkehre in der Fläche halten. Und das ist die ganz, ganz große Gefahr, auch in einem Land, wie meinem Bundesland beispielsweise, in Nordrhein-Westfalen, wo wir große Bereiche auch ländlicher Gegenden haben, die wir weiterhin mit der Schiene erschließen wollen.

    Müller: Was halten Sie, Herr Wittke, von der sogenannten Volksaktie? Da geht es ja darum, dass Kleinanleger ohne Stimmrecht sich beteiligen können. Das wiederum würde in der Konsequenz bedeuten, dass der Staat, dass der Bund weiterhin die Kontrolle behält?

    Wittke: Der Gutachter hat zuerst einmal gesagt, dass die Volksaktie, die verfassungsrechtlichen Bedenken weitestgehend ausräumen würde. Weil sichergestellt wäre bei diesem Modell, dass der Staat den vollen Zugriff auf das Netz hat und nicht private Interessen dort hineinspielen. Das ist ein wichtiges Argument. Von daher finde ich, sollten wir die Volksaktie nicht sofort ad acta legen, aber es gibt auch da sicherlich die eine oder andere Frage, die noch zu beraten sein wird.

    Müller: Haben Sie das Gefühl, dass der Bundesverkehrsminister stur bleiben wird?

    Wittke: Das glaube ich nicht. Wir haben gestern erste Gespräche geführt, werden in den nächsten Tagen weitere Gespräche führen. Wir haben ein Stück weit bedauert, dass der Bundesverkehrsminister das Gespräch mit den Ländern nicht eher gesucht hat. Denn wir haben zu einem sehr frühen Zeitpunkt angeboten, dass wir gemeinsam mit dem Bund diesen Weg gehen wollen, dass wir ihn begleiten wollen und dass wir von Anfang an auch unsere Interessen und die Interessen der Fahrgäste mit einbringen wollen. Dass es erst auf den letzten Metern dazu kommt, ist bedauerlich, aber sicherlich nicht zu spät.

    Müller: Letzte Frage. Wenn die Privatisierung kommt, wird die Belastung für die Bürger geringer?

    Wittke: Sie muss geringer werden. Die Bahn muss besser werden. Die Bahn muss pünktlicher werden. Die Bahn muss zuverlässiger werden. Das ist das Ziel. Denn wir wollen mehr Fahrgäste auf die Schiene bringen, und dafür kämpfen wir gemeinsam.

    Müller: Der nordrhein-westfälische Verkehrsminister Oliver Wittke (CDU). Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Wittke: Danke herzlich.