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WM 2018
Dem Videoschiedsrichter bei der Arbeit zuhören

In Russland wird zum ersten Mal bei einer WM ein Videoschiedsrichter eingesetzt. Besonders wichtig ist die Kommunikation zwischen Videoschiedsrichter und Feldschiedsrichter. Das scheint bisher gut zu funktionieren. Doch bei der Kommunikation mit den Zuschauern über Entscheidungen gibt es Handlungsbedarf.

Von Matthias Friebe | 30.06.2018
    MOSCOW REGION, RUSSIA - JUNE 9, 2018: A FIFA VAR room at the 2018 World Cup International Broadcast Center (IBC) in the Crocus Expo International Exhibition Centre ahead of the upcoming FIFA World Cup WM Weltmeisterschaft Fussball Russia 2018. Mikhail Japaridze/TASS PUBLICATIONxINxGERxAUTxONLY TS08335F
    Hier arbeiten während der WM die Videoassistenten (imago / Mikhail Japaridze)
    "Milorad, Milorad, hören Sie mich. Für mich spielt er den Ball, für mich ist es kein Elfmeter. Schauen Sie sich das noch einmal an", empfiehlt Video-Assistent Danny Makkelie aus den Niederlanden dem serbischen Schiedsrichter Milorad Mazic auf dem Platz. Der leitet die Partie Senegal gegen Kolumbien und hat kurz zuvor, in der 17. Minute Elfmeter für Senegal gepfiffen. "Die Riesenchance für Mané und Sanchez geht dazwischen und er entscheidet sofort auf Elfmeter."
    Schon Sekunden nach der Entscheidung im Stadion von Samara überprüft der Videoschiedsrichter am Bildschirm in Moskau und meldet Zweifel an: "Er trifft den Ball. Eine andere Einstellung noch. Warten Sie, wir überprüfen das. Es ist der Ball." Um das besser verstehen zu können, greift sich Mazic ans Ohr, inzwischen schon das gewohnte Signal für die Zuschauer, dass eine Überprüfung im Hintergrund läuft: "Und das Foulspiel wird gecheckt von Danny Makkelie."
    Schiedsrichter Mark Geiger schaut sich den Videobeweis auf einem Bildschirm an.
    Schiedsrichter Mark Geiger schaut sich den Videobeweis auf einem Bildschirm an (pa/dpa/AP/Stavrakis)
    Schließlich läuft Schiedsrichter Milorad Mazic an die Seitenlinie, in die sogenannte Review Area und bekommt die Szene am Bildschirm präsentiert. Sein Video-Assistent Makkelie hat ihm dafür die beste Perspektive bereits vorbereitet: "Ich zeige Ihnen zwei Aufnahmen. Sie sehen klar, dass der Abwehrspieler den Ball spielt." Nach kurzem Studium der Bilder hört man Schiedsrichter Mazic sagen: "You’re right." Er läuft zurück aufs Feld und nimmt den Elfmeter zurück.
    "Schiedsrichterball, kein Elfmeter. Mutig und richtig und gut von Milorad Mazic." Nie da gewesene Einblicke in die Kommunikation zwischen Videoassistent und Feldschiedsrichter. Präsentiert zur Halbzeit der Fußball WM in Russland. Die Entscheidung fällt am Ende immer der Schiedsrichter auf dem Platz, das ist Pierluigi Collina wichtig.
    Nahe an der Perfektion
    Die Schiedsrichterlegende aus Italien leitet die FIFA-Schiedsrichterkommission und präsentiert in Moskau aus seiner Sicht glänzende Zahlen. In der Vorrunde der WM wurden insgesamt 335 Situationen überprüft, darunter alle 122 Tore: "Wir hatten 14 Entscheidungen, die nach der Intervention des Video-Assistenten geändert wurden."
    Insgesamt 95 Prozent aller Situationen habe der Feldschiedsrichter von sich aus richtig entschieden, durch den Einsatz des Video Assistent Referee habe man diese Zahl auf 99,3 Prozent erhöhen können, rechnet Collina vor: "VAR bedeutet keine Perfektion, auch jetzt sind immer noch Fehlinterpretationen und Fehler möglich. Wie Sie aber sehen können, sind wir mit 99,3 Prozent nahe an der Perfektion."
    Welche Entscheidungen aber am Ende immer noch falsch waren, die fehlenden 0,7 Prozent, wollte er selbst auf Nachfragen nicht preisgeben. Viel lieber zeigte Collina noch einen weiteren Clip, diesmal aus der Partie Südkorea-Deutschland. Es läuft die Nachspielzeit. Nach einer Ecke ein Tor für die Koreaner, dass Schiedsrichter Geiger aus den USA aber zurücknimmt wegen einer Abseitsstellung.
    Im Schnitt 80 Sekunden bis zur Entscheidung
    "Und der Schiedsrichter hat noch einmal die Hand am Ohr. In Moskau im Video Control Room wird das Ganze noch einmal gegengecheckt." Wieder ist es der Niederländer Danny Makkelie, der im Einsatz ist und dieses Mal oft hinsehen muss: "Man kann nicht sehen, ob der Angreifer den Ball berührt, es sieht so aus, als käme er vom Verteidiger." Schwierig zu sehen, auch in der Zeitlupe, ob Toni Kroos den verhängnisvollen Pass abgibt oder ein Koreaner noch am Ball ist.
    Es dauert deshalb länger als sonst, bis man sich sicher ist. Im Schnitt 80 Sekunden bis zu einer Entscheidung. Lieber so als nachher falsch, erklärt Schiedsrichter-Boss Collina: "In einigen der Entscheidungen hätte es die Entscheidung deutlich früher geben könnten. Aber um besonders genau zu sein, bevorzugt der Videoassistent lieber fünf, sechs, zehn Sekunden mehr als benötigt zu verwenden, um wirklich sicher zu sein."
    Vor der WM wurde befürchtet: Durch den Einsatz des VAR könnte der Spielfluss gelähmt und die Nettospielzeit verkürzt werden. Das sei aber nicht belegbar, meint Collina. Im Gegenteil: In Russland würde effektiv mehr gespielt als zum Beispiel 2014 in Brasilien. Das liege auch daran, weil die Schiedsrichter mehr Nachspielzeit einräumten.
    Entscheidung wird transparent gemacht
    Auch in Kasan beim Spiel Deutschland-Korea läuft die Nachspielzeit, als Schiedsrichter Geiger sich die Szene noch einmal selbst anschaut: "I’m here, I’m here." Während er die Zeitlupe sieht, hört er die Erklärung: "Man sieht, dass Deutschlands Nummer 8 den Ball durch die Beine spielt. Es ist ein Tor."
    "Wir schreiben die 93. Minute und stellen uns die Frage: Hat Kim da gerade Deutschland aus dem Turnier geschossen? Ja!" Nach den Regeln müsste sich der Schiedsrichter in diesem Fall die Szene gar nicht mehr selber ansehen. Wenn der Video-Assistent sagt, Abseits oder nicht, sei der Fall klar, so Pierluigi Collina.
    Aber: "Ich glaube, es war eine gute Idee, dass auf dem Feld noch einmal anzusehen, um wirklich jeden davon zu überzeugen, dass die Situation vom VAR und vom Schiedsrichter selbst getroffen wurde. Und schließlich wurde die Entscheidung zu 100 Prozent von den Spielern der Teams akzeptiert." Wichtig für die Akzeptanz ist auch, dass anders als in der Bundesliga die Entscheidung klar auf der Videowand im Stadion kommuniziert wird und dort auch die entsprechende Einstellung als Wiederholung für die Fans transparent gemacht wird.
    Forderungen nach noch mehr Transparenz
    Die Transparenz könnte in Zukunft noch gesteigert werden, wenn man diese bisher unveröffentlichte Kommunikation wenigstens dem Fernseh-Zuschauer zugänglich macht: "Ich weiß nicht, was die Zukunft bringt. Es könnte möglich sein. Wenn Sie klar machen, warum Sie eine Entscheidung treffen, könnte diese besser akzeptiert werden in der Fußball-Community. Wir werden sicher in der Zukunft darüber nachdenken."
    Bis dahin dürfte es aber noch dauern. Zvonimir Boban, früherer Profi und heute stellvertretender Generalsekretär der FIFA hält eine Umsetzung für nicht machbar: "Bei einem Turnier wie der WM ist es wirklich schwierig. Wie wollen Sie sprechen? In 32 Sprachen? Das ist einfach unmöglich. Vielleicht geht es das in den nationalen Ligen, aber in diesem Turnier ist es sehr kompliziert." Doch die Forderungen nach noch mehr Transparenz an die FIFA-Schiedsrichterkommission werden kaum verhallen.