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WM 2022
Auf dem Rücken der Gastarbeiter?

Beengte Zimmer, verdreckte Toiletten, Schimmel an den Wänden: Katastrophale Zustände herrschen für Gastarbeiter auf vielen Baustellen im WM-Gastgeberland Katar. Doch es soll besser werden.

Von Philipp May | 16.11.2014
    Doha in Katar, Tausend und eine Baustelle gibt es hier. Mindestens. Ein Land baut sich um - für die Fußball-WM. Zum Beispiel: das Musheireb-Projekt. Ein neues Stadtzentrum entsteht, inklusive der zentralen U-Bahnstadion. In acht Jahren sollen von hier die Fans zu den Stadien fahren. Eine gigantische Kranlandschaft. 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche rattern die Baumaschinen.
    Es ist später Nachmittag: Einbruch der Dunkelheit. Schichtwechsel. Ganze Arbeitskolonnen werden von klapprigen Bussen abgeholt. Wir folgen ihnen ins Industriegebiet am Rande Dohas. Ihre Unterkunft: ein heruntergekommener Backsteinkomplex. Als die Gastarbeiter uns bemerken, bildet sich eine Traube um uns. Sie wollen reden.
    Schikanen und Misshandlungen
    Ihr Arbeitgeber, eine ägyptische Firma, sei schlecht. Einmal habe er sich schwer verletzt, berichtet einer der Männer. Doch niemand habe ihm geholfen, er habe sich selbst um seinen Transport zum Krankenhaus kümmern müssen. Wenn sie sich bei den katarischen Behörden über die Zustände beschweren, melden die das dann dem Arbeitgeber, sagt ein anderer. Und der würde dann zur Strafe das Gehalt von umgerechnet circa 200 Euro monatlich noch einmal kürzen.
    Versifft: Die Unterkünfte der Gastarbeiter
    Versifft: Die Unterkünfte der Gastarbeiter (Philipp May/Deutschlandradio)
    Dann zeigen die Gastarbeiter uns ihre Unterkunft: bis zu zehn Menschen in einem Zimmer. Das eigene Bett ist gleichzeitig Schrank. Die Wände voller Schimmel. Die sanitären Anlagen: versifft. Es riecht nach Fäkalien. Man läuft durch Abwasser aus undichten Rohren. Dritt-Welt-Zustände im reichsten Land der Welt. "Das, was Sie da erlebt haben, ist gang und gäbe. Die Arbeitsbedingungen in Katar sind im Allgemeinen katastrophal", sagt Wenzel Michalski, Deutschland-Direktor der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Er nimmt den Fußball-Weltverband in die Pflicht. "Die Fifa hat ja ein Wertekorsett. Da geht es um Fairness, um Gleichberechtigung und Gleichbehandlung. Die müsste eigentlich ihr Werteprogramm daran messen, was da jetzt passiert. Und darüber versuchen auf die Organisatoren Einfluss zu nehmen."
    Das WM-Organisationskomitee Katars residiert in einem der vielen Glastürme im schicken Stadtteil Westbay. Ich zeige Mitarbeitern meine Fotos der miesen Arbeiterunterkünfte. Ein Interview könne man in der Kürze der Zeit nicht geben, aber immerhin fährt man mich zu anderen Unterkünften. Für die ersten offiziellen WM-Baustellen. Derzeit ganze fünf an der Zahl. Das Organisationskomitee hat hohe Sicherheitsstandards und Lebensbedingungen für die Arbeiter festgeschrieben und hält sich offenbar daran. Saubere Zimmer, gutes Essen, freies Internet, Sportangebote. Ganze Arbeitersiedlungen sind gebaut worden. Wenn es demnächst richtig losgeht mit dem Bau der WM-Stadien, werden Zehntausende davon profitieren. "Das ist Propaganda und das ist schön für die Leute, die unter diesen Verhältnissen dort arbeiten dürfen. Aber was ist denn mit den anderen Millionen von Migrantenarbeitern, die dort sind und die misshandelt werden, wie Tiere. Solange sich nichts ändert, am rechtlichen Rahmen, so lange wird sich das nichts tun."
    Vor allem das Sponsorensystem, die so genannte Kafala gilt als großes Problem. Katarische Arbeitgeber können Ausländern die Ausreise verbieten. Moderne Sklaverei. Im Angesicht der Weltmeisterschaft wächst der öffentliche Druck auf den Emir, wie kürzlich im Interview mit dem US-Fernsehsender CNN.
    Neue Gesetze sollen kommen
    Es werden neue Gesetze in Kraft treten. Er sei persönlich erschüttert über die Situation der Arbeiter. Niemand könne das akzeptieren, so der junge Emir. Zum neuen Jahr sollen nun die neuen Arbeiterschutzgesetze kommen. Für die meisten Kritiker aber sind das nur kosmetische Veränderungen. Das umstrittene Sponsoren-System wird nicht abgeschafft, nur leicht abgeschwächt. Und doch: immerhin ein Anfang: "Katar ist heute das einzige Land im Golf, das ins Gespräch tritt mit seinen Kritikern", sagt der renommierte Journalist James Dorsey, weltweit anerkannt als großer Kenner des arabischen Raums und des arabischen Fußballs. Er glaubt daran, dass Katar seinen Worten Taten folgen lassen werde.
    "Aber wenn sie das tun, dann ist das schon eine radikale Veränderung." Katar, ein Land in dem 220.000 Einheimische 1,5 Millionen Gastarbeitern gegenüberstehen, hat Angst vor dem Kontrollverlust. Deswegen müsse man dem Emir Zeit geben für die Reformen, glaubt Dorsey.
    Human-Rights-Watch-Mann Michalski ist dagegen skeptisch. "Es gibt einige wenige, die dort an den organisatorischen Hebeln sitzen und die vielleicht tatsächlich was machen wollen, aber die können sich gegen die wirklich erzkonservative Mehrheit in Katar durchsetzen und das sind harte Hunde dort."
    Die umstrittensten Fußball-WM aller Zeiten, sie wird kommen. Acht Jahre sind es noch. Für Katar und seine Gastarbeiter werden es acht entscheidende Jahre.