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Wo die Brexiteers in der Mehrheit sind
Unterwegs im Wahlkreis von Mays Gegenspieler Rees-Mogg

Wenn es zu einem No-Deal-Brexit kommt, liegt es auch an Tories wie Jacob Rees-Mogg. Der Widersacher von Theresa May ist einer der radikalsten Brexit-Hardliner. Und doch wird er in seinem Wahlkreis auch von "Remainern" respektiert.

Von Ralph Günther | 08.03.2019
Brexiteer Jacob Rees-Mogg
Brexiteer Jacob Rees-Mogg (dpa/ picture/ alliance/ ZUMA Wire)
Es scheint überall - auch auf dem Land in Somerset - eine feste Regel zu geben: sprich mit Freunden nicht über den Brexit.
"I don’t talk to my friends about Brexit"...wenn sie der Gegenseite angehören..."because I have a lot of friends who voted to leave and I wish to stay friends with all those people."
Radstock, eine fünfeinhalb Tausend-Einwohner-Stadt im Westen Englands. Bis Anfang der 70er ein Kohle-Standort mit starker Arbeiterklasse. Heute eine eher triste Pendler-Stadt für die, die sich die Häuser im nahegelegenen Bath nicht leisten können oder wollen.
Auf der kurzen Einkaufsstraße, mit rund 20 Läden: der Blumenladen von Carol Waroner. Hier sind sich die Frauen einig:
"Es ist Zeit, dass wir unsere eigenen Gesetze machen, hier im Land. Wir können entscheiden, wer reinkommt und was die Materialien kosten und wir können mit mehr Leuten handeln."
Mays schärfster Widersacher
Ähnliche Ansichten wie sie ihr Parlamentsabgeordneter für North-East Somerset, der Brexit-Hardliner Jacob Rees-Mogg im Londoner Unterhaus vertritt.
"Ich finde ihn ausgezeichnet. Er ist der Mann, der uns rausführen soll, anstatt Theresa May. Er hat Eier! Und sie nicht. Sie hat uns so oft im Stich gelassen. Sie hatte ihre Zeit und hat es nicht geschafft."
Rees-Mogg hat für die konservative Party 2017 in seinem Wahlkreis fast 54% der Stimmen geholt. Ein Multimillionär. Sein Vater war lange Zeit Herausgeber der Tageszeitung "The Times" und sitzt seit den 80ern im "House Of Lords". Der Sohn, Jacob Rees-Mogg, einer der prominentesten Brexiteers des Landes und DER Widersacher von Premierministerin Theresa May im britischen Unterhaus. Was in Radstock nicht bei jedem gut ankommt.
"Ich denke, er sollte Theresa May mehr Respekt zeigen. Sie ist immerhin seine Chefin. Man sieht ihn hier recht häufig in der Region. Nicht, dass man gerne mit ihm eine Tasse Tee oder ein Pint trinken will - aber er ist ein Mann, der zu seinem Wort steht."
Exzentrischer Kümmerer
Die Menschen in Radstock haben irgendwie alle eine kleine Anekdote zu ihrem MP, ihrem Member of Parliament zu erzählen. Sie haben ihm Briefe geschrieben, die umgehend beantwortet wurden.
"Ich wähle ihn nicht, aber er wirkt nahbar. Wir haben ihm einen Brief geschrieben, wegen einer Sache und er hat sofort zurück geschrieben."
Oder sie haben persönliche Termine vereinbart, so wie Clare:
"Der Mann hat mir schon oft geholfen, in den vergangenen Jahren. Mit meiner Wohn-Situation zum Beispiel. Einfach anrufen, einen Termin machen und dann kann ich mit ihm reden und er schickt dann Briefe raus und hilft, wo er kann."
Clare sitzt alleine am Tisch in einem Diner am Fluss und unterhält sich mit dem Koch. Wie eine Wählerin der konservativen Tories sieht sie nicht aus: Dreadlocks, Nasen- und Zungen-Piercing, bunte, etwas versiffte Klamotten. Äußerlich eine Linke, Ende-20jährige. Aber auch sie:
"Ich habe für den Brexit gestimmt. Wir brauchen auch keinen Deal, um zu gehen, wir sollten einfach so die EU verlassen. Die brauchen uns, aber wir brauchen die nicht. Unserem Land geht es nicht gut, wir müssen uns zum Beispiel auf die Armut im eigenen Land konzentrieren."
Gefühle statt Fakten
Jacob Rees-Mogg, der Multimillionär soll es richten. Gerne auch mit einem No-Deal-Brexit. Den Menschen in der Region scheinen die Prognosen der Wirtschaftsexperten egal. Sie ignorieren die Fakten und Zahlen - genau wie ihr MP in London. Der Glaube, das Gefühl, dass nach dem Brexit alles besser wird, hält sie zusammen. Auch im Blumenladen.
"Es gibt so vieles, was es hier zu beschützen gibt. Für die alten Menschen, für das Gesundheitssystem, die Feuerwehr, die Polizei - da sollte das Geld hingehen – nicht ins Ausland."
Auch in North-East Somerset gab es beim Referendum 2016 nur eine knappe Mehrheit für den Brexit. Was Jacob Rees-Mogg und seine Anhänger in Radstock dabei scheinbar verlernt haben, ist die sonst so typisch-britische Rücksicht auf die Anderen - die 48% Remainer.
"Er versteht das Konzept des Kompromisses nicht! 52% gegen 48% - in so einer Situation musst Du Kompromisse machen"