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"Woher die Eile?"

In der Debatte über einen möglichen Gegenkandidaten zu Bundespräsident Horst Köhler hat der SPD-Fraktionschef in Schleswig-Holstein, Ralf Stegner, das Anrecht der SPD auf einen eigenen Bewerber bekräftigt. Es wäre schön, wenn aus den Reihen der SPD das erste weibliche Staatsoberhaupt in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland käme, betonte Stegner.

Moderation: Dirk Müller |
    Müller: Wer kümmert sich um die Sachthemen in diesen Tagen in Berlin, also wer in der Großen Koalition? Vielleicht war das ja auch ein wenig viel mit den vielen Steuervorschlägen in den zurückliegenden Wochen. So hat die SPD ein neues Thema gefunden: die Bundespräsidenten-Frage.

    Am Telefon begrüße ich nun Ralf Stegner, SPD-Partei- und -Fraktionschef in Schleswig-Holstein. Guten Tag!

    Stegner: Guten Tag Herr Müller!

    Müller: Was haben Sie plötzlich gegen Horst Köhler?

    Stegner: Ich habe überhaupt nichts gegen Horst Köhler. Er ist der amtierende Bundespräsident. Er hat ja noch gar nicht erklärt, ob er sich für dieses Amt wieder bewerben will. Das warten wir mal in aller Ruhe ab. Und im Übrigen gilt für den Bundespräsidenten wie für alle seine Vorgänger, dass man Respekt vor dem Amt hat, auch vor der Art und Weise wie es ausgeübt wird. Aber es ist natürlich durchaus so, dass die SPD, die immerhin die älteste demokratische Partei in Deutschland ist, die eine Volkspartei ist, bisher nur mit Gustav Heinemann und Johannes Rau das Staatsoberhaupt gestellt hat, wo hingegen CDU und FDP das schon häufiger und länger getan haben. Deswegen finde ich ist es grundsätzlich natürlich auch der Anspruch dieser SPD, einen eigenen Kandidaten benennen zu können, und möglicherweise werden wir das ja auch tun.

    Müller: Das könnte man, Herr Stegner, jetzt als ein bisschen trotzig einstufen. Wenn die SPD bisher nur zwei Bundespräsidenten gestellt hat, dann liegt das daran, dass die SPD nicht in der Lage war, eine ausreichende Mehrheit in der Bevölkerung zu bekommen.

    Stegner: Nein. Ich glaube nicht, dass man das so sagen kann. Im Übrigen sprechen die Amtszeiten von Gustav Heinemann und gerade auch von Johannes Rau für sich. Das waren beides sehr populäre Präsidenten. Am Ende gehe ich übrigens auch nicht davon aus, dass in der Bundesversammlung ja immer nur diejenigen einen Kandidaten wählen, die gleich einer Partei angehören. Von daher teile ich nicht ohne Weiteres die Analyse Ihres Korrespondenten, dass ausgemacht ist, wer da nun für wen stimmt. Am Ende hängt das schon ein Stückchen davon ab, wer sich denn zur Wahl stellt. Und wenn wir als Beispiel eine gute Kandidatin benennen würden - wir feiern dieses Jahr 80 Jahre Frauenwahlrecht und hatten noch nie ein weibliches Staatsoberhaupt in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland -, es wäre doch schön, wenn die Sozialdemokratie diejenige wäre, die das ändern würde.

    Müller: Das brauchen wir auch wirklich, eine Bundeskanzlerin und dann eine Bundespräsidentin?

    Stegner: Dass die erste Bundeskanzlerin von der Union kommt, das schmerzt mich. Immerhin: In Schleswig-Holstein haben wir die erste Ministerpräsidentin von der SPD. Aber das erste weibliche Staatsoberhaupt durch die Partei letztlich vorschlagen zu können, die damals dafür gesorgt hat, dass es ein Frauenwahlrecht in Deutschland gibt, das wäre schon eine schöne Sache. Qualifizierte Kandidatinnen haben wir - nicht zuletzt die Kandidatin vom letzten Mal Gesine Schwan, die im Übrigen sich einer Zustimmung erfreut, die sicherlich weit über die Grenzen der Sozialdemokratie hinausreicht.

    Müller: Das tut, Herr Stegner, der amtierende Bundespräsident auch. Wie gut ist Horst Köhler?

    Stegner: Dass Bundespräsidenten populär sind, das galt für praktisch alle Amtsvorgänger. Das ist auch ein Amt, was dazu glaube ich angetan ist. Dass Bundespräsident Köhler populär ist, das kann überhaupt niemand bestreiten.

    Müller: Ist er auch gut?

    Stegner: Ich glaube allerdings, dass die Sichtweise auf die auch gesellschaftlichen Probleme in unserem Land durchaus auch eine sagen wir mal sozialere Perspektive noch vertragen könnte. Insofern könnte jemand, der aus der Sozialdemokratie kommt, in einer Zeit, wo arm und reich weiter auseinandergehen, durchaus eine Zusatzperspektive liefern, die vernünftig wäre. Vielleicht ist auch der Akzent, auf die Politik an sich ein Stück negativer zu gucken, nicht unbedingt das, was richtig ist in einer Zeit, wo wir ein Stück Politikverdrossenheit haben und wo ja auch radikale Parteien versuchen, Kapital zu schlagen aus der Politikverdrossenheit, die wir medial und anderswo erleben.

    Müller: Herr Stegner, Sie sind ja bekannt für klare Worte. Ich muss da noch mal nachfragen; ich habe es nicht so richtig verstanden. Wir könnten das nachrichtlich so festhalten: Wären Sie mit dem Titel einverstanden "Ralf Stegner hält Horst Köhler für zu wirtschaftlich denkend"?

    Stegner: Ich glaube nicht, dass es klug ist, das amtierende Staatsoberhaupt zu kritisieren. Wir reden im Augenblick darüber, wer der nächste Kandidat sein soll, und wir wissen gar nicht, ob Herr Köhler wieder antreten will oder nicht. Ich glaube er füllt sein Amt gut aus und das will ich gar nicht kritisieren. Dennoch kann man sich ja vorstellen - es ist immerhin eine Wahl in der Bundesversammlung -, dass es dafür beim nächsten Mal einen Kandidaten geben kann, der beziehungsweise die aus der Sozialdemokratie kommt, weil gerade die Frage des sozialen Zusammenhaltes in unserer Gesellschaft ein wichtiges Thema ist. Das kann durchaus durch jemand, der aus der Sozialdemokratie kommt, vielleicht noch ein Stückchen kompetenter vertreten werden, als das im Augenblick der Fall ist oder bei anderen Kandidaten schon der Fall gewesen ist.

    Müller: Aber Herr Stegner, es ist ja etwas komisch, wenn ich das so ausdrücken darf, anzumuten beziehungsweise auch anzunehmen, dass inzwischen schon Leute abgewählt werden, die nicht kritisiert werden. Meistens geht es ja um die Leute, die nicht gut sind. Die will man dann los werden.

    Stegner: Entschuldigung! In der Demokratie ist es anders als in der Monarchie. Ämter werden nicht einfach ausgeübt, bis man altersmäßig ausscheidet, sondern da gibt es immer eine demokratische Wahl. Der musste sich bisher jeder stellen. Man kann durchaus Respekt haben vor dem Staatsoberhaupt, was ich habe, und trotzdem sagen, wenn wir in der Bundesversammlung - wer weiß wie dort die Mehrheiten sein werden; wir haben eine Landtagswahl in Bayern vor uns, wo ich annehme, dass es mit den großartigen CSU-Zeiten vorbei sein wird - den neuen Bundespräsidenten wählen, warum soll die SPD um Himmels Willen eigentlich ihren Gestaltungsanspruch aufgeben und von Vornherein sagen, wir sind nicht bereit und in der Lage, einen eigenen Kandidaten aufzustellen. Andere Parteien, die das tun, mögen das für sich halten wie sie wollen. So wohl gelitten war das übrigens in der FDP auch nicht, als Herr Westerwelle vorgeprescht ist und gesagt hat, er kandidiert.

    Müller: Aber unter dem Strich, Herr Stegner, ist es dann so, dass doch letztendlich die Parteipolitik entscheidet?

    Stegner: Nein! Am Ende entscheidet die Bundesversammlung. Das ist in unserer Verfassung so vorgesehen. Und Sie können nun wirklich nicht sagen, dass Johannes Rau oder Gustav Heinemann hauptsächlich als Parteipolitiker wahrgenommen worden sind, sondern sie haben dieses Amt ausgefüllt. Das Staatsoberhaupt ist kein parteipolitisches Amt. Ich weiß aber nicht, warum hier gegenüber der SPD Verzicht gepredigt werden soll, dass man gar niemanden benennt, wo wir exzellente Kandidatinnen auch dafür hätten, wo hingegen bei schwarz/gelb einfach unterstellt wird, dass das normal ist. Ich denke die SPD - ich sage nochmals: älteste demokratische Partei - hat doch mindestens so ein Anrecht wie andere, wenn man qualifizierte Kandidaten hat, einen solchen Vorschlag zu machen. Und ich habe nicht gehört, dass es eine automatische schwarz/gelbe Mehrheit gibt. Die SPD hat sich in den Führungsgremien vorgenommen, sich diese Frage offen zu halten. Ich sehe da auch gar keinen Eilbedarf, denn Herr Köhler hat sich noch nicht mal selbst erklärt, ob er wieder kandidieren möchte oder nicht. Die Wahl ist erst im Mai nächsten Jahres. Also woher kommt eigentlich die Eile und warum soll die SPD eigentlich hier gedrängt werden, von Vornherein zu erklären, dass sie keinen eigenen Kandidaten aufstellt. Das kann ich gar nicht erkennen, was daran klug sein sollte.

    Müller: Bei uns live im Deutschlandfunk Ralf Stegner, SPD-Partei- und -Fraktionschef in Schleswig-Holstein. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Stegner: Gerne. Tschüß!