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"Wohnen, Gesundheit sind staatliche Aufgaben"

Die Linkspartei stellt heute den Entwurf für ihr neues Parteiprogramm vor. Darin fordert sie den Umbau des Wirtschaftssystems. "Wir sind gegen die Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge, also beispielsweise Wohnen und Gesundheit", sagte dazu der Linken-Bundestagsabgeordnete Jan Korte. Was darüber hinaus vergesellschaftet werden soll, müsse in der Partei diskutiert werden.

Jan Korte im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
    Jürgen Zurheide: Zweieinhalb Jahre haben die Linken beraten, und jetzt liegt ein Programmentwurf, ein Grundsatzprogrammentwurf vor. Er soll dann weiter beraten werden in der ganzen Partei, und dann irgendwann wird die Partei auch sagen, was sie denn möchte. Dass die Diskussionen heftig waren, das weiß man und das hört man an den unterschiedlichen Stimmen, die wir zunächst einmal eingefangen haben.

    [Umfrage]

    Also, Freiheit und Sozialismus, das ist zumindest die Haltung von Gregor Gysi, den Sie natürlich erkannt haben. Das war eine kleine Collage, unterschiedliche Stimmen aus der Linken zu den Programmberatungen, die heute abgeschlossen werden. Über dieses Thema wollen wir reden, und ich begrüße am Telefon Jan Korte im Bundestag für die Linke und im Parteivorstand, der heute beraten wird. Guten Morgen, Herr Korte!

    Jan Korte: Schönen guten Morgen!

    Zurheide: Herr Korte, zunächst einmal: Wofür sind Sie denn eigentlich mit diesem Programmentwurf? Soll das ein Mitgliederentscheid bestimmen, was damit wird, oder reicht ein Parteitag? Was sagen Sie?

    Korte: Man kann natürlich darüber die Mitglieder direkt entscheiden lassen, das finde ich sehr sinnvoll, so viele wie möglich einzubinden. Ich bin jetzt erst mal froh, dass wir überhaupt einen Entwurf für ein Programm haben. Deswegen erleben Sie mich heute relativ engagiert, das hat lange Zeit gedauert. Jetzt kommt es darauf an, und das ist ja noch fast wichtiger als ein eigentlicher Programmentwurf, die Programmdebatte in der Partei und wie wir sie führen, das ist mir persönlich jetzt sehr wichtig für die nächste Zeit.

    Zurheide: Manch einer sagt ja, das hat ein bisschen zu lange gedauert. Wenn Sie etwas eher, zum Beispiel vor der Bundestagswahl, klarer gesagt hätten, was Sie wollen, wäre vielleicht die ein oder andere Auseinandersetzung noch nicht zu Ende gewesen, aber zumindest hätte man ein Ziel gehabt. Hätte man das eher schon machen können und sollen?

    Korte: Na ja, auch mir war das in der Tat, dauerte das zu lange. Aber jetzt ist es da, und was wir finden, was wir fordern, also das ist nun zumindest von den Linken ja nun durchaus bekannt gewesen vor allen Wahlen. Das ist ja eher ein Problem, was die anderen Parteien haben. Wie gesagt, das hat sehr lange gedauert, für mich persönlich auch etwas zu lange, aber jetzt liegt es vor, und jetzt müssen wir in die Debatte einsteigen.

    Zurheide: Was ist moderner Sozialismus, den Sie ja haben wollen? Was ist modern im Gegensatz zu unmodern?

    Korte: Na ja, das ist natürlich eine gute Frage, über die wir jetzt stundenlang diskutieren können. Ich glaube, ich kann das ja nur für mich sagen an dieser Stelle, dass moderner Sozialismus sich daraus speist, dass man natürlich kritisch, und zwar äußerst kritisch, die Systeme, die sich als Sozialismus bezeichnet haben in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten, äußert kritisch aufarbeiten muss, deutlich machen, dass es so mit Sicherheit nicht geht.

    Und für mich ist moderner Sozialismus die Verbindung von individueller Freiheit und sozialer Gerechtigkeit. Also auf einen Punkt gebracht: Freiheit und Gleichheit, das muss der Kern sein. Und der Kern muss vor allem sein, wenn man den modernen Sozialismus will, nie wieder das eine Recht höher zu bewerten als das andere Recht, denn das führt in Diktatur.

    Zurheide: Das haben wir eben genau erlebt, aber der ein oder die andere vor allen Dingen in Ihrer Partei sieht das manchmal anders, weil da wird Vergangenheit auch verklärt - Sie wissen, wen ich meine -, zum Beispiel Frau Wagenknecht. Ist da schon ausreichend Abgrenzung von dieser totalitären Vergangenheit, die Sie ja auch historisch im Gepäck haben?

    Korte: Na ja, es ist ja nun so, ich bin jetzt seit 1999 Mitglied der PDS, jetzt der Linken, und man kann nun vieles kritisieren sicherlich, aber eins kann man uns nicht vorwerfen, dass wir nicht um diese Frage ringen würden. Nicht darum ringen würden, wie ist die Vergangenheit einzuordnen.

    Nur dieser Prozess ist halt nicht zu Ende, der ist auch nicht mit der Gründung der neuen Linken zu Ende, der muss weiter geführt werden, wie sozusagen aus einer zutiefst humanen Idee - und das ist der demokratische Sozialismus - letztendlich die Beschränkung, die elementare Beschränkung von Freiheitsrechten herauskommen kann.

    Also lange Rede, kurzer Sinn: Das Denken, dass der Zweck die Mittel heiligt, muss ein für alle Mal überwunden sein in der Linken, und das ist wichtig, darüber immer wieder zu diskutieren.

    Zurheide: Das hat ja damit zu tun, dass man häufig in Ihren Kreisen so eine Art Alleinvertretungsanspruch sieht, und eben weil die Sache gut ist, glaubt man, das dann durchsetzen zu müssen. Ist das eigentlich wirklich überwunden? Also ich beobachte das immer noch häufig.

    Korte: Na ja, gut, das müssen Sie dann schon mal konkret sagen, das glaube ich in der Tat, dass das überwunden ist in der Linken. Klar, es kann keinen demokratischen Sozialismus geben, wenn wir nicht mindestens 50 Prozent der Bevölkerung dafür gewinnen, das ist nun relativ klar. Und ich sehe bei uns in der Partei nun keinen, der das irgendwie anders sieht, dass man das auf einem anderen Wege erreichen könnte und sollte.

    Zurheide: Über Koalitionen reden wir gleich noch. Kommen wir mal zu den Inhalten, Vergesellschaftung zum Beispiel - ja oder nein?

    Korte: Na ja, wir haben ganz klar gesagt, wir sind gegen die Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge, also beispielsweise Wohnen, Gesundheit. Das ist staatliche Aufgabe, da herrscht auch nun in diesem Punkte völlige Einigkeit in der Partei. Worüber wir diskutieren werden im Rahmen der Programmdebatte, ist, was sozusagen noch vergesellschaftet werden soll.

    Zurheide: Banken zum Beispiel wollen nicht wenige verstaatlichen.

    Korte: Na ja, gut, also das ist ja auch richtig. Verstaatlicht wurden die Banken übrigens von der Regierung Merkel die letzten Jahre, Stichwort Finanzkrise.

    Zurheide: Unfreiwillig.

    Korte: Ja, unfreiwillig, aber sie haben es gemacht. Also wir diskutieren da im Moment nur drüber. Trotzdem ist diese Forderung natürlich wichtig, denn das, was da auch in den letzten Monaten und zwei Jahren zu besichtigen gewesen ist, das ist also nun wirklich völlig irre. Da ist der Staat gefragt einzugreifen, und wenn es sein muss, muss man dann auch eine Vergesellschaftung machen, das finde ich auch.

    Allerdings - und darüber müssen wir wirklich in der Partei natürlich diskutieren - was soll da noch zugehören? Also ich bin nun strikt dagegen, nun alles zu vergesellschaften. Das wird nicht funktionieren.

    Zurheide: Ihre nordrhein-westfälischen Freunde wollen zum Beispiel auch die großen Energiekonzerne verstaatlichen.

    Korte: Na ja, also ich finde es nun in der Tat wichtig, darüber zu reden, wie man dort Monopole bekämpfen kann. Denn das sehen Sie nun jedes Jahr auf Ihren Abrechnungen und auf einigen anderen Sachen. Ich bin für eine Kommunalisierung der Energieversorgung, da bin ich in der Tat zu, und deswegen muss man natürlich auch ein Stück weit über Begriffe diskutieren.

    Wenn wir vergesellschaften sagen, stelle ich mir darunter sehr viel vor, zum Beispiel in kommunales Eigentum zu überführen, beispielsweise Stadtwerke für die Energieversorgung. Oder ich finde es sehr richtig, die Sparkassen und Volksbanken zu unterstützen in Form von öffentlichen Sparkassen. Das, finde ich, ist der richtige Weg. Und es gibt natürlich auch die Möglichkeiten von Genossenschaftseigentum und vielem anderen. Klar ist, zentralistische, gelenkte Planwirtschaft, das kann man nun vergessen.

    Zurheide: Da gibt es ja in der Tat dann Leute bei Ihnen, die sagen, wir wollen jetzt die Monopole, die Sie gerade beschrieben haben, die privaten Monopole, nicht nur staatliche ersetzen. Wo ist da die Grenze?

    Korte: Das muss man dann in der Tat diskutieren, was ist denn dann staatlich sozusagen. Ist es schon kommunales Eigentum? In der Konsequenz ist das natürlich staatlich.

    Zurheide: Und mit wem wollen Sie das umsetzen? Sie haben gesagt, 50 Prozent, das sind wahrscheinlich zumindest im Westen unrealistische Zahlen, wollen Sie sie überhaupt umsetzen oder sagen Sie, na ja, ist ja schön, wenn wir diese wunderbare Haltung haben, aber regieren, das sollen dann die anderen tun?

    Korte: Na ja, gut, auch darüber müssen wir jetzt mal diskutieren. Das ist explizit nicht meine Meinung.

    Zurheide: Aber das tun Sie schon ziemlich lange. Zumindest im Westen.

    Korte: Das gehört sich im Übrigen auch so für eine linke Partei, dass sie lange und intensiv diskutiert. Ich bin natürlich dafür, dass man eine Option oder an einer Option arbeitet, dass man perspektivisch mit der SPD zusammen koaliert. Das ist in der Tat meine Meinung. Und dafür muss man was tun, dafür müssen wir auch unser Verständnis diskutieren. Die SPD muss sich bewegen, auch klar.

    Das ist aber, finde ich, jetzt die Herausforderung, weil ich persönlich möchte nun nicht bis an mein Lebensende hier unter Westerwelle und Merkel leben, das ist ja grauenvoll.

    Zurheide: Aber das heißt, Sie sagen schon klar, das kann nicht nur die SPD sein, die sich da verändert, dann müssen Sie auch von bestimmten Punkten runter, insofern entsprechend der Machtverhältnisse, in Nordrhein-Westfalen steht sie an, Sie wissen ungefähr, wie die Linke dort taxiert wird, also wird die Linke sich da ein Stück mehr bewegen müssen als der andere Partner, oder?

    Korte: Na ja, bewegen müssen sich bei Koalitionen nun logischerweise alle Seiten, das ist ja nun klar. Das haben wir nun in Berlin und Brandenburg gesehen, da haben wir viel drüber diskutiert. Ich finde diese Koalition völlig richtig, es ist völlig richtig, das zu machen. Klar, das ist eine innerparteiliche Auseinandersetzung: Was kann man denn an eigenen Akzenten eigentlich durchsetzen, das ist immer die Frage. Und die Grundfrage, finde ich, ist natürlich: Kann man auch in einer Regierung insgesamt die Achse der Politik nach links verschieben, ja oder nein?

    Zurheide: Das heißt, Sie sind klar dafür und damit danken wir für diese klaren Aussagen im Deutschlandfunk. Das war Jan Korte von der Linken aus dem Parteivorstand. Heute wird das Programm beschlossen, wir haben darüber diskutiert. Herzlichen Dank für das Gespräch, auf Wiederhören!

    Korte: Jo, tschüssi!