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Wohnungsbau
"Jetzt andere Rezepte finden als in den 60ern und 70ern"

Wohnraum war knapp in Deutschland, schon bevor hunderttausende Flüchtlinge kamen. Offenbar habe erst ein gewisser Druck entstehen müssen, um die Not zu erkennen und an Lösungen zu arbeiten, sagte der Kurator der Berliner Ausstellung "Wohnungsfrage", Nikolaus Hirsch, im DLF. Das liege "an dem Mangel an Wohnungen, an Verdrängungsprozessen, Luxussanierungen und auch an Flüchtlingen".

Nikolaus Hirsch im Gespräch mit Maja Ellmenreich |
    "Kapitalismus" steht auf einer Wand an einem besetzten Haus in einer Straße in Berlin im Stadtteil Prenzlauer Berg , aufgenommen am 11. August 2012.
    "Der Staat hat sich zurückgezogen und zunehmend das Wohnen dem Markt überlassen", sagt Nikolaus Hirsch, Kurator der Ausstellung "Wohnungsfrage", im DLF. (picture alliance / dpa / Wolfram Steinberg)
    Maja Ellmenreich: Wohnen Sie noch, oder leben Sie schon? Man mag zum schwedischen Möbelhaus stehen wie man will, aber in dieser Frage steckt viel Weisheit, denn die eigenen vier Wände, ob nun wirklich Eigentum oder gemietet, sind mehr als die bloße Begrenzung des Raumes, in dem man sitzt, liegt, isst, schläft, kocht und sich wäscht. In unseren eigenen vier Wänden erleben wir unwiederbringliche Zeit, dort fühlen wir uns wohl, sicher, geborgen und zuhause, oder auch nicht. Soviel zum Emotionalen. Fakt ist, dass guter Wohnraum in Deutschland knapp und teuer ist, und das nicht erst, seitdem hunderttausende Flüchtlinge bei uns eine neue Heimat suchen.
    Die Wohnungsfrage stellt man seit heute Mittag im Berliner Haus der Kulturen der Welt. Eine Ausstellung, eine internationale Akademie, eine Publikationsreihe, all das steht unter der Überschrift "Wohnungsfrage" und einer der Kuratoren des Projektes ist der Architekt Nikolaus Hirsch.
    Die ohnehin in Deutschland dringende Forderung nach mehr Wohnraum wird durch die Flüchtlingsströme noch dringender. Meine Frage an Nikolaus Hirsch, ohne geschmacklos klingen zu wollen: Ist das nicht ein dankbarer Impuls, der vielleicht dazu führt, bessere Antworten auf die deutschen Wohnungsfragen zu bekommen?
    Nikolaus Hirsch: Vielleicht keine besseren Fragen. Aber ich glaube, der Impuls ist natürlich notwendig, dass ein gewisser Druck auch entsteht, denn in den vergangenen 20 Jahren wurde eigentlich so getan, als sei das überhaupt kein Thema mehr. Und heute ist das Thema Wohnungsbau wieder mit aller Macht zurückgekommen, und klar liegt das an den Zahlen, an dem Mangel an Wohnungen, an Verdrängungsprozessen, Luxussanierungen und auch an Flüchtlingen. Man muss aber natürlich auch feststellen, dass es nicht nur um nummerische Fragen geht, sondern auch, wie man das Wohnen organisiert, wie man plant, wer beteiligt ist.
    Ellmenreich: Wer reagiert denn in den letzten Jahren nicht auf den Druck? An wen richtet man jetzt die Frage noch dringlicher?
    Hirsch: Man kann natürlich feststellen, dass die klassischen Instrumente, die noch bis vor wenigen Jahrzehnten benutzt wurden, nämlich Wohnungsbaugesellschaften oder im weitesten Sinn der Staat, sich zurückgezogen haben und zunehmend das Wohnen dem Markt überlassen haben. Städte wie Dresden zum Beispiel haben ihren kompletten kommunalen Bestand an Wohnungen verkauft, und das hat natürlich die Handlungsfähigkeit extrem eingeschränkt, weil man eben dachte, schrumpfende Gesellschaft, wir haben eh genügend Wohnungen. Das hat sich jetzt natürlich als Irrtum herausgestellt, denn die Bevölkerungszahl bleibt mehr oder weniger gleich durch Immigration, und gleichzeitig brauchen die Menschen mehr Platz und jetzt haben wir gerade in großen Städten einen Wohnungsmangel. Und das ist die Herausforderung, nun andere Rezepte zu finden, als sie in den 60er- und 70er-Jahren im Massenwohnungsbau gefunden wurden.
    Ellmenreich: Was für Rezepte sind das?
    Hirsch:!! Unser Ansatzpunkt hier auch in der Ausstellung, die wir in Berlin machen, ist, eigentlich die Frage nach dem Bauherrn zu stellen. Wenn der Staat sich zunehmend aus diesen Problemen zurückgezogen hat, muss man vielleicht schauen, wer sind dann die Bauherrn, wer könnte heute diese Rolle übernehmen. Wir haben hier in Berlin mit einigen Initiativen zusammengearbeitet, die das Problem in die eigene Hand nehmen. Man kann hier zum Teil an historische Modelle anschließen wie Genossenschaften und Kooperativen, und insofern haben wir gesagt, wir wollen eigentlich hier Projekte vorschlagen, die ein bisschen von dieser Top-Down-Warnung weggehen, möglichst viele Akteure zusammen an einen Tisch zu bringen.
    Ellmenreich: Mehr Raum, haben Sie gerade schon gesagt. Was wünscht sich sozusagen das Down, der Endverbraucher vom Top, vom Bauherrn?
    Hirsch: Der Endverbraucher wünscht sich Partizipation, um von dieser Fremdbestimmung auch wegzukommen und sich sozusagen nur als Opfer von Wohnungsbaupolitik oder auch Profiteur von Wohnungsbaupolitik zu fühlen.
    Ellmenreich: Wir möchten selbstbestimmt, individuell unsere Wünsche äußern können. Ist das der Hauptwunsch, das Hauptanliegen des Wohnenden im Jahr 2015?
    Hirsch: Das klingt so nach Selbstverwirklichung. Ich glaube, darum geht es erst mal nicht primär. Es geht aber darum, dass heute sehr unterschiedliche Lebensmodelle herrschen. Man merkt, Biographien werden immer differenzierter, immer unterschiedlicher, Familien verändern sich. Ich glaube, die ganze Frage der Demographie und wie sie sich abbildet im Wohnen ist eine ganz große Frage. Es gibt nicht mehr stereotype Familienmodelle, wie es sie vielleicht noch vor 50 Jahren gab, und darauf muss die Architektur, muss der Wohnungsbau reagieren.
    Ellmenreich: Aber so eine Reaktion braucht Zeit. Wie vorausschauend muss man eigentlich planen in Sachen Wohnungsbau, um wirklich einen demographischen Wandel vorwegzunehmen und vorauszuahnen?
    Hirsch: Vorwegnehmen kann man den demographischen Wandel nicht mehr. Man ist ohnehin zu spät oder hinkt hinterher und kann versuchen, hier Akteure zu finden, die da mitziehen, die wirklich in die Planung mit einsteigen. Man braucht auch die richtigen Architekten dafür, man braucht auch die richtigen ökonomischen Modelle, denn das Ganze ist natürlich auch kein Wunschkonzert, und hier liegt natürlich auch ein politischer Handlungsraum. Ob wirklich die Rendite immer das wesentliche Argument ist, ist genau die Frage.
    Ellmenreich: Und die stellt der Architekt Nikolaus Hirsch, Kurator des Wohnungsfrage-Projektes am Haus der Kulturen der Welt in Berlin.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.