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Wohnungsmarkt
Schneider: Regierung ist mitverantwortlich für hohe Mieten

Die Mietpreisbremse sei von Anfang an ein zahnloser Tiger gewesen, sagte Ulrich Schneider vom Paritätischen Gesamtverband im Dlf. Auch das Baukindergeld biete keine wirklichen Anreize für Familien. Die Maßnahmen der Regierung zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum seien zu "kleinmütig".

Ulrich Schneider im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands
    Ulrich Schneider gibt der Regierung eine Mitschuld an den steigenden Mieten (picture alliance/ Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa)
    Dirk-Oliver Heckmann: Wenn Sie derzeit eine Wohnung suchen in Berlin, in München, in Hamburg oder in Köln, dann erzähle ich Ihnen sicher nichts Neues: Die Mietpreise sind exorbitant gestiegen in den letzten Jahren. Der Grund: Zu wenige Wohnungen, zu hohe Nachfrage, zumindest in den Ballungsräumen. Die Bundesregierung hat auf Betreiben der SPD versucht, gegenzusteuern und hat eine Mietpreisbremse eingeführt, doch das hat bisher zumindest keine Abhilfe geschaffen. Morgen findet im Kanzleramt ein Wohngipfel statt, da ist unter anderem Bauminister Seehofer gefragt, der ja zuletzt mit anderen Themen beschäftigt war, wir haben es gerade gehört. Heute bereits rufen die Gewerkschaften zusammen mit dem Deutschen Mieterbund, dem Sozialverband und Vertretern des Bündnisses Mietenwahnsinn zu einem alternativen Gipfel. Mit dabei Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands und jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen, Herr Schneider!
    Ulrich Schneider: Einen schönen guten Morgen!
    Heckmann: Herr Schneider, wer ist schuld an den horrend steigenden Mieten in den Ballungszentren?
    Schneider: Daran sind sicherlich schuld einerseits diejenigen, die Wohnung wie Ware behandeln, indem sie wirklich alles tun, um zu spekulieren, Mieten hochzutreiben, im Zweifel sogar Leerstände in Kauf nehmen, bis der Mietpreis oben ist. Und es sind die schuld, die das zulassen politisch, die also wirklich so gut wie nichts dagegen unternehmen, dass mit Wohnungen in Deutschland und mit Grundstücken wild spekuliert werden kann.
    "Mietpreisbremse bleibt ein zahnloser Tiger"
    Heckmann: Das heißt, wer ist das, wer ist dafür verantwortlich?
    Schneider: Da ist die Bundesregierung auf jeden Fall mitverantwortlich. Sie hat Maßnahmen erlassen, zum Teil ja sehr vollmundig, die genau dem entgegenwirken sollten, aber wohlwissend, dass diese Maßnahmen gar nicht wirken können. Sie haben die Mietpreisbremse genannt – die ist von vornherein ein zahnloser Tiger gewesen, und sie bleibt auch nach den jetzigen Nachbesserungen ein zahnloser Tiger.
    Heckmann: Immerhin deckelt diese Mietpreisbremse, wenn ich da kurz einhaken darf, Herr Schneider, die Kosten bei Neu- und Wiedervermietungen auf das Niveau der ortsüblichen Vergleichsmiete plus zehn Prozent, zumindest da, wo der Wohnungsmarkt angespannt ist, und darum geht es ja. Und es gab eine Verschärfung der Mietpreisbremse, demnach soll unter anderem die Umlage für Modernisierungen von elf auf acht Prozent gesenkt werden. Und es gibt auch eine Auskunftspflicht für Vermieter. Das sind doch schon Einschnitte.
    Schneider: Das sind Verbesserungen gewesen, nur, sie sind erst mal auf dem Papier. Unsere Lebenserfahrung zeigt uns, dass diese Mietpreisbremse so lange nicht funktionieren kann, solange der einzelne Mieter sich gegen den Vermieter [*] selber wehren muss. Wir kennen das beispielsweise auch aus dem Arbeitsleben. Das tun die Menschen nicht. Sie wollen ihre Ruhe haben. Die nehmen dann eher mal in Kauf, zu wissen, sie werden eigentlich über den Tisch gezogen. Aber man legt sich nicht an. Das ist das Gleiche, als wollte man verlangen von dem Einzelnen, der mitkriegt, ich kriege keinen Mindestlohn, jetzt seinen Arbeitgeber zu verklagen. Das machen die wenigsten.
    Heckmann: Wer sich nicht wehrt, der lebt verkehrt, könnte man da sagen.
    Schneider: Deswegen sagen wir Verbandsklagerecht. Es muss möglich sein, dass der Einzelne beispielsweise zum Mieterbund oder wo auch immer hingeht und sagt, bitte, hier, Institution, Verein, wer auch immer, klagt für mich, sorgt dafür, dass ich hier meinen Frieden finde. Das wäre vernünftig.
    Und noch ein Weiteres ist ganz wichtig: Die Mietpreisbremse ist so gestrickt, dass es auch nach diesen Verbesserungen für den Vermieter völlig risikofrei bleibt, wenn er die Mietpreisbremse umgeht. Er muss keine Strafe zahlen, er muss nicht mal ein Bußgeld zahlen. Er muss lediglich von dem Moment an, wo er erwischt wurde, die Miete anpassen.
    Und da sagen wir, das geht nicht. Wenn ein Vermieter hier wirklich betrügt, indem er sagt, ich umgehe das Ganze, ich nehme viel mehr, als ich darf, dann muss er auch behandelt werden wie ein Betrüger, sprich dann muss das auch strafrechtsbewehrt sein. Und das sind unsere beiden zentralen Forderungen, zu sagen, da muss auch mal Strafe erfolgen, wenn jemand betrügt, und es muss vor allen Dingen der einzelne Mieter die Möglichkeit haben, über Verbände, über Vereine sein Recht durchzusetzen.
    "Die Mietenfrage ist die soziale Frage unserer Zeit"
    Heckmann: Glauben Sie, dass Sie durchdringen werden mit Ihrer Forderung?
    Schneider: Bestimmt nicht bei dem jetzigen Wohngipfel. In dieser Koalition, glaube ich, wird gar nicht mehr viel passieren. Aber mittelfristig gehe ich fest davon aus, dass was passieren muss, weil mit einem hat Herr Seehofer ja recht: Die Mietenfrage ist die soziale Frage unserer Zeit.
    Heckmann: Jetzt sagen die Bauherren auf der anderen Seite, diese bisher schon beschlossenen Maßnahmen seien total kontraproduktiv, denn das schrecke nur die Investoren ab, die ja die günstigen Wohnungen bauen sollen und wollen. Und die sagen, wir brauchen mehr und günstigeres Bauland vor allem und schnellere Baugenehmigungen. Was sagen Sie dazu? Ist das nicht das Problem?
    Schneider: Das allein reicht nicht, denn stellen wir uns das mal vor: Wir gehen also an den Stadtrand und bauen dort Wohnungen – wenn es denn tatsächlich klappt, denn die meisten Investoren wollen nach wie vor hochpreisige Wohnungen bauen –, also angenommen, da würden aber die ganzen Wohnungen gebaut: Wir wollen nicht, dass die Menschen aus ihren jetzigen Stadtteilen wegziehen müssen, weil dort die Wohnungen zu teuer werden, irgendwohin an den Stadtrand, wo sie dann billiger sind.
    Das ist, und das machen sich, glaube ich, nicht immer alle klar, mit enormen Härten verbunden. Wir kriegen es als Wohlfahrtsverband derzeit wirklich ganz deutlich mit, was es heißt, wenn beispielsweise ein pflegebedürftiger Mensch, der ambulant versorgt wird und bei dem sich die Nachbarn kümmern, wo vielleicht die Familie noch in der Nähe ist. Wenn dem die Wohnung zu teuer wird, wenn der wegziehen muss, ein paar Kilometer weg, dann bricht ein Versorgungsnetz zusammen.
    Die alleinerziehende Frau, die mit Mühe und Not irgendwo im Stadtteil einen Kindergartenplatz endlich gefunden hat und einen Job gefunden hat, es irgendwie jetzt gerade hinkriegt mit den Zeiten, mit den Wegen, ihr Leben zu organisieren, und die muss dann plötzlich rausziehen, irgendwo 20 Kilometer weiter, da bricht alles zusammen.
    "Wir müssen die Mieter vor Gentrifizierung schützen"
    Heckmann: Aber die Forderung, Herr Schneider, nach günstigerem Bauland und nach schnelleren Baugenehmigungen bezieht sich ja nicht nur auf Gebiete außerhalb der Städte, sondern auch auf die Städte.
    Schneider: Ja. Sie müssen aber sehen, wo sind die Grundstücke? Wir haben ja in der Tat das Problem, dass gerade in den Ballungsgebieten, von denen Sie auch sprachen, wie etwa München, wie etwa Berlin, Hamburg, Stuttgart, dass hier natürlich nicht mehr viel zu vergeben ist. In anderen Gebieten ist da schon mehr möglich. Aber da müssen wir einfach auch realistisch bleiben. Wohnungen bauen ist wichtig, ist enorm wichtig. Uns fehlen pro Jahr in den nächsten fünf Jahren rund 400.000 Wohnungen. Uns fehlen pro Jahr in den nächsten Jahren rund 80.000 Sozialwohnungen. Die müssen gebaut werden. Aber das ist nicht alles. Wir müssen auch die Mieter schützen vor dem, was man Gentrifizierung nennt, sprich häufig Armutsvertreibung aus lukrativen Wohngegenden, in denen spekuliert wird.
    Heckmann: Kommen wir zurück zu den Beschlüssen des Kabinetts. Immerhin hat die große Koalition eine sogenannte Wohnraumoffensive gestartet. Da sollen zusätzlich 1,5 Millionen neue Wohnungen und Eigenheime gebaut werden. Man nimmt da insgesamt fünf Milliarden Euro in die Hand. Und dann wurden gestern ganz aktuell im Kabinett steuerliche Anreize für den Neubau günstiger Mietwohnungen verabschiedet. Es gibt das Baukindergeld. Das sind doch alles Maßnahmen, wo man nicht sagen kann, die große Koalition ist untätig.
    Schneider: Kann man auch nicht sagen. Die große Koalition – nicht nur im Wohnen, in vielen anderen Gebieten - hat sie eigentlich alle Themen auf der Tagesordnung. Nur was sie tut, ist meistens zu kleinmütig, da man eben noch nicht genug Geld in die Hand nimmt, weil man auch die Steuerfrage nicht anpacken will. Und was sie tut, ist häufig auch etwas, was mit der Gießkanne verteilt wird.
    Heckmann: Fünf Milliarden Euro reichen Ihnen nicht?
    Schneider: Nein. Absolut. Wir bräuchten allein für den Bau von Sozialwohnungen im Jahr rund 6,4 Milliarden Euro, im Jahr, in den nächsten Jahren. Beim besten Willen, leider, aber, man kann es rechnen – es reicht einfach nicht. Wir müssen da mehr in die Hand nehmen. Es hört sich gewaltig an, diese Summen. Aber wir reden hier von etwa zwei Millionen Wohnungen, die fehlen. Und wir sprechen ja von etwa 400-, 500.000 Sozialwohnungen, die gebaut werden müssen. Das kostet. Und das andere ist, wenn man sich anschaut, Baukindergeld oder Ähnliches, da rechnen alle Experten, nicht nur wir, mit enormen Mitnahmeeffekten.
    Baukindergeld heißt im Klartext, zehn Jahre lang bekommt die Familie, die Eigentum baut, 100 Euro Kindergeld im Monat drauf. Ich denke, dafür wird einer nicht anfangen, zu bauen. Und wenn jemand kein Geld hat, kein Kapital mitbringt, wird er davon auch nicht bauen können. Das heißt, hier sind Mitnahmeeffekte vorgezeichnet, das ist in gewisser Weise Klientelpolitik.
    Schneider: Baukindergeld ist Klientelpolitik
    Heckmann: Das heißt, es profitieren die Falschen?
    Schneider: Es profitieren – ich sag mal so, in diesem Fall, nehmen wir das Baukindergeld, profitieren, die dann nicht unbedingt zu den Spitzenverdienern gehören, aber die, sagen wir mal, höchstwahrscheinlich auch ohne diese hundert Euro bauen würden. Und deswegen sagen wir, auch dieses Geld wäre sinnvoller einzusetzen im sozialen Wohnungsbau. Aber auch nur, wenn man denkt, Rückkauf von Wohnungen durch Kommunen, öffentlicher Wohnungsbau, das wären Maßnahmen, die irgendwie vernünftig – bis hin, und davon ist diese Bundesregierung ja ganz weit entfernt, zur Wiedereinführung des gemeinnützigen Wohnungsbaus, also eines Wohnungsbaus, wo kein Profit gemacht werden darf, sondern nur die Kosten mitgenommen werden dürfen.
    Heckmann: Herr Schneider, morgen findet ja dann der offizielle Wohngipfel im Kanzleramt statt. Der Staatsminister Adler, den Horst Seehofer ja in den Ruhestand schicken wollte, um Platz zu machen für Hans-Georg Maaßen, und der ja zuständig ist für den Bereich Bau, ein ausgewiesener Fachmann, der wird morgen bei dieser Veranstaltung noch dabei sein. Angela Merkel hat ja schon angekündigt, man wird eine andere Verwendung für ihn finden in der Regierung. Was sagen Sie denn dazu, dass dieser ausgewiesene Fachmann von seinem Posten entfernt wird?
    Schneider: Dass Gunter Adler hier entfernt wird, dass er gehen muss, ist, glaube ich, und anders kann man es gar nicht verstehen, ein ganz schlimmes Signal, das die Bundesregierung da setzt. Denn es zeigt deutlich, dass im Zweifelsfall die fachliche Kompetenz, die man braucht, um wirklich zu einer Wohnungsoffensive zu kommen, ganz schnell geopfert wird, wenn es um parteipolitische Ränkespiele geht. Und da muss man auch ganz klar sagen, das ist ja nicht nur Seehofer, der das jetzt beschlossen hat, das waren alle drei Parteivorsitzenden. Und das deprimiert. Das setzt Fakten, und Fakten zählen letztlich. Und man kriegt es nicht zusammen, wenn die Bundesregierung einmal von Wohnungsoffensive spricht und dann ein solches – dann plötzlich den Mann, der dafür steht, für dieses Thema, einfach entlässt. Da werden Fakten geschaffen, aber in die völlig falsche Richtung.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    * Anmerkung der Redaktion: Schneider sagte im Original "(...) solange der einzelne Vermieter sich gegen den Mieter selber wehren muss."