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Wohnungsnot in Berlin
Giffey: Durch Enteignungen können wir keine einzige neue Wohnung schaffen

Am 26. September stimmen die Berliner per Volksentscheid über Enteignungen großer Wohnungskonzerne ab. Franziska Giffey, SPD-Kandidatin für die Wahl zum Abgeordnetenhaus, hält das für falsch. Vielmehr müssten bestehende Möglichkeiten – wie die Stärkung der Genossenschaften – genutzt werden, sagte Giffey im Dlf.

Franziska Giffey im Gespräch mit Josephine Schulz |
Franziska Giffey ist Spitzenkandidatin der SPD bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus und möchte gerne Bürgermeisterin werden.
Franziska Giffey ist Spitzenkandidatin der SPD bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus und möchte gerne Bürgermeisterin werden. (picture alliance / Geisler-Fotopress | Thomas Bartilla)
Der Volksentscheid am 26. September stellt die Frage, ob große Wohnungskonzerne, die über mindestens 3.000 Wohnungen verfügen, vergesellschaftet werden sollen.
"Ich finde wichtig, dass wir klarmachen, dass wir für bezahlbare Mieten stehen, aber nicht eben für einen Weg, der sagt, wir lösen es, indem wir Wohnungen enteignen", so Franziska Giffey.
Durch Vergesellschaftung würden Milliardenhöhen an Entschädigungssummen fällig, "die nicht dazu führen, dass auch nur eine einzige neue Wohnung entsteht", sagte die SPD-Spitzenkandidatin für die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus.
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Vielmehr müssten diejenigen, "die sich unfair verhalten, die spekulativ am Markt sind, die mit Wuchermieten agieren" konsequent sanktioniert werden. Zudem sei es wichtig, die bereits existierende Mietpreisbremse konsequent umzusetzen – "mit einem Mietpreisbremsencheck, der wirklich dazu führt, dass Mieterinnen und Mieter, die unfair behandelt sind, sich auch wehren können."

Enteignungen könnten die falschen treffen

Die Idee, pauschal alle zu enteignen, die mehr als 3.000 Wohnungen besitzen, sei auch deshalb nicht zielführend, weil davon auch mindestens 29 Genossenschaften betroffen wären, die "wirklich nicht in die Kategorie unfaire Vermieter fallen", so Giffey.
Die SPD-Politikerin betonte außerdem, dass nicht nur sozialer Wohnungsbau und Luxusimmobilien als zwei Pole in den Blick genommen werden dürften. "Sondern wir brauchen ein mittleres Segment, das eben auch ermöglicht, dass diejenigen, die einer ganz regulären Arbeit nachgehen, die ein durchschnittliches Einkommen haben, nicht aus Berlin verdrängt werden."
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Das Interview in voller Länge zum Nachlesen:

Josephine Schulz: Frau Giffey, es werden heute wahrscheinlich viele Tausend Menschen auf die Straße gehen für einen radikalen Wandel in der Mietenpolitik. Fühlen Sie sich durch diese Proteste unter Druck gesetzt?
Franziska Giffey: Es ist ganz klar, dass wenn so viele Menschen auf die Straße gehen, dass wir wirklich ein gravierendes Problem haben und das seit längerer Zeit. Es ist die große soziale Frage für unsere Stadt, das bezahlbare Wohnen ist ein Thema, was wir an die oberste Priorität setzen müssen, und deswegen ein wirksamer Mieterschutz, aber vor allen Dingen auch bei 0,8 Prozent Leerstand ein deutlicher Ausbau des Neubaus von bezahlbarem Wohnen.
Schulz: In dem Demoaufruf, da heißt es, Wohnen ist ein Menschenrecht und keine Ware – würden Sie das so unterschreiben?
Giffey: Wohnen ist ein Menschenrecht, aber es ist klar, dass Wohnen auch bezahlt werden muss. Ich finde wichtig, dass wir klarmachen, dass wir für bezahlbare Mieten stehen, aber nicht eben für einen Weg, der sagt, wir lösen es, indem wir Wohnungen enteignen. Darum geht es ja in der Debatte. Wir können, wenn wir Wohnungen enteignen, dadurch keine einzige neue Wohnung schaffen. Es werden Milliardenhöhen an Entschädigungssummen fällig, die nicht dazu führen, dass auch nur eine einzige neue Wohnung entsteht. Deswegen bin ich dafür, dass wir alle Mittel, die wir haben, konsequent ausnutzen: die Mietpreisbremse, das Thema Milieuschutzgebiet – das heißt, eine Million Berlinerinnen und Berliner leben im Milieuschutzgebieten –, die Erhöhung der Bestände in den städtischen Wohnungsbaugesellschaften und auch die Stärkung der Genossenschaften, die ja soziales und bezahlbares Wohnen seit Jahrzehnten in ihrem Markenkern haben.

Immobilien-Spekulanten konsequent sanktionieren

Schulz: Sie haben gerade den Volksentscheid zur Enteignung großer Wohnungskonzerne schon angesprochen, über den die Berliner am 26. September auch abstimmen, und haben gesagt, Sie halten das für falsch, weil dadurch keine neue Wohnung gebaut wird. Jetzt könnte man natürlich fragen, was hat das eine mit dem anderen zu tun.
Giffey: Das hat damit was zu tun, dass wir, wenn wir das tun, eine Entschädigungssumme von weit über 30 Milliarden zahlen müssen, um diese 240.000 Wohnungen dann eben in einen Eigentümerwechsel zu überführen. Diese 30 Milliarden: Erstens müssen sie finanziert werden, und zweitens müssen sie und würde ich sie gerne einsetzen für den Bau von Wohnungen, von Infrastruktur, für dringend notwendige Ausgaben und nicht, um unfaire Vermieter auch noch zu entschädigen. Wir müssen diejenigen, die sich unfair verhalten, die spekulativ am Markt sind, die mit Wuchermieten agieren, konsequent sanktionieren und Mieterinnen und Mietern Rechtsbeistand und Beratung geben, wenn sie in so einer Lage sind.
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Schulz: Also würden Sie zustimmen, das Land Berlin wäre der bessere Vermieter als die Deutsche Wohnen oder die Vonovia für die Mieter*innen?
Giffey: Wir reden hier pauschal über eine Enteignung von Wohnungsgesellschaften, die mehr als 3.000 Wohnungen haben. Es gibt sehr viele darunter, die sehr fair und ordentlich vermieten. Die Durchschnittsmieten bei der Deutschen Wohnen betragen 6,71 Euro, und man kann nicht pauschal sagen, dass alle, die privat Vermieter sind, das nicht in Ordnung machen. Und ich finde es nicht zielgerecht und nicht zielführend, wenn man einfach sagt, alle die, die mehr als 3.000 Wohnungen haben, sind zu enteignen. Da fallen ja auch nach dem Gutachten gestern 29 Genossenschaften darunter, die wirklich nicht in die Kategorie unfaire Vermieter fallen. Und diese pauschale Verurteilung von allen, die nicht städtisch oder staatlich sind, finde ich nicht richtig.
Schulz: Die Initiative hat ja klargemacht, dass Genossenschaften nicht darunter fallen, aber das lassen wir jetzt mal beiseite. Es gab jetzt …
Giffey: Na ja, es ist jetzt ein Gutachten erstellt worden, dass das verfassungsmäßig sehr fragwürdig ist und dass 29 Genossenschaften sehr wohl befürchten müssen, auch enteignet zu werden, so wie das Volksbegehren jetzt aufgestellt ist.
Schulz: Gut, was ich Sie eigentlich fragen wollte: Es gab jetzt mehrere Umfragen, unter anderem vom RBB, von der "Morgenpost", wonach eine Mehrheit der Berliner für die Enteignungen ist. Ist das für Sie kein Auftrag aus der Bevölkerung?
Giffey: Es ist selbstverständlich, dass wir mit einem Volksentscheid sehr, sehr respektvoll und verantwortungsvoll umgehen und dass natürlich, wenn ein positives Votum dafür erfolgt, genau das geschehen muss, was auch bei allen anderen Volksbegehren, auch bei Tegel zum Beispiel, passiert ist, dass nämlich eine veritable rechtliche, verfassungsmäßige Prüfung erfolgt und dass ausgelotet wird, wie Umsetzbarkeit eines solchen ...
Schulz: Also wenn Sie das jetzt mit Tegel vergleiche, dann heißt das, Sie würden den Volksentscheid nicht umsetzen, auch wenn er erfolgreich ist.
Giffey: Das habe ich nicht gesagt. Ich habe lediglich gesagt, dass der Umgang damit, nämlich eine dann auch natürlich verantwortungsvolle rechtliche Prüfung, eine Prüfung, wie so eine Umsetzung geschehen kann, und eine Abwägung auch mit den verfassungsmäßigen Prüfungen dann erforderlich ist, so wie es bei jedem Volksbegehren der Fall sein muss. Und das ist selbstverständlich Auftrag der Politik, damit respektvoll und verantwortungsvoll auch umzugehen.

Müssen mit allen Akteuren auf dem Mietmarkt zusammenarbeiten

Schulz: Sie haben Enteignungen, wenn ich das richtig gelesen habe, auch zu einer roten Linie für mögliche Koalitionen gemacht. Haben Sie damit faktisch Rot-Rot-Grün eigentlich schon ausgeschlossen?
Giffey: Nein, das habe ich nicht. Ich habe lediglich gesagt, dass wir, wenn wir über Inhalte diskutieren, das Thema Enteignung für mich ein Instrument ist, das ich nicht für richtig und zukunftsweisend für diese Stadt halte, auch nicht für den Wirtschaftsstandort Berlin. Wir haben Unternehmen, die große Sorge haben über das Thema Enteignung, und es kann ja auch sein, dass der Volksentscheid negativ ausgeht, und dann werden wir auch die Diskussionen darüber haben. Dann ist es für mich ganz, ganz klar, dass das Thema Enteignung nicht der richtige Weg für unsere Stadt ist. Wir müssen mit den Akteuren, die Wohnungen bauen in der Stadt, zusammenarbeiten – mit den städtischen, mit den Genossenschaften, aber auch mit den privaten. Wir haben das Ziel, 20.000 neue Wohnungen zu bauen, das werden im Jahr – im Jahr bis 2030 – 200.000. Das werden wir nur erreichen, wenn wir alle Kräfte bündeln, die städtischen und die Genossenschaften allein schaffen das nicht, und deshalb brauchen wir Kooperation statt Konfrontation. Wir brauchen einen effektiven Mieterschutz und -bestand, Mieterberatung, Rechtsbeistand, die Milieuschutzgebiete, die Erhöhung des Bestands der städtischen Wohnungsbaugesellschaften und natürlich ein konsequentes Vorgehen gegen die, die sich unfair mit Wucher und mit Nebenabreden, die unseriös sind, am Mietmarkt beteiligen. Dagegen müssen wir wirklich was tun. Die Mietpreisbremse, die schon existiert, muss konsequent umgesetzt werden mit einem Mietpreisbremsencheck, der wirklich dazu führt, dass Mieterinnen und Mieter, die unfair behandelt sind, sich auch wehren können.
Schulz: Sie haben jetzt gesagt, man braucht auch die privaten Akteure, nicht nur die städtischen und genossenschaftlichen beim Neubau. Wenn man sich jetzt die Durchschnittspreise beim Neubau in Berlin – wie über 13 Euro, glaube ich, pro Quadratmeter – anguckt oder einfach mal bei Immobilienscout reinguckt, da könnte man ja schon die These aufstellen, die privaten Wohnungskonzerne bauen nicht gerade die bezahlbaren Wohnungen, die eigentlich gebraucht werden. Wie wollen Sie das ändern?
Giffey: Na, es ist ganz klar, dass jeder Neubau, der hier in der Stadt entsteht, einen Beitrag dazu leisten muss, dass bezahlbares Wohnen entsteht, so wie Olaf Scholz es auf Bundesebene gesagt hat, eben einen Anteil von mindestens 25 Prozent bezahlbaren Wohnens. Dadurch sind dann auch solche Projekte finanzierbar. Das ist das Modell der kooperativen Baulandentwicklung, das ja in Berlin schon angewendet wird bei den städtischen Wohnungsbaugesellschaften, es sind sogar 30 Prozent. Das finde ich richtig, das müssen wir konsequent umsetzen, und jeder, der hier privat baut, muss wissen, dass er auch einen Beitrag zum bezahlbaren Wohnen mit einem veritablen Anteil an Sozialwohnungen auch leisten muss, im Übrigen auch zur sozialen Infrastruktur. Wenn jemand ein Gebiet mit 2.000 Wohnungen baut, heißt das, dass da eine Kita dazugehört, dass eine Schule dazugehört und auch entsprechend die soziale Infrastruktur, die nötig ist, um den Frieden in so einem neuen Stadtquartier, das ja auch noch klimaneutral sein soll und den Zielen der Barrierefreiheit entsprechen soll, auch dient. Da haben wir große Herausforderungen, und deswegen ist es wichtig, dass wir zusammenarbeiten mit allen, die dazu einen Beitrag leisten können.
Schulz: Reichen denn 30 Prozent bezahlbare Wohnungen oder bezahlbare Wohnungen für Menschen mit niedrigerem Einkommen? Also wenn ich mir so Stadtquartiere wie das neue am Hauptbahnhof in Berlin angucke, da könnte man ja den Eindruck haben, da wird sehr viel sehr teuer gebaut, aber eigentlich bräuchte man 70 Prozent bezahlbare Wohnungen oder 80 oder 90 Prozent.
Giffey: Wissen Sie, wenn Sie Wohnungen oder mit Unternehmen, auch mit den städtischen Wohnungsbaugesellschaften so agieren, dass Sie sagen, am liebsten 100 Prozent zahlen unter dem Betrag, den die Baukosten entsprechend verursachen, dann haben Sie natürlich irgendwann die Frage, wer bezahlt eigentlich die Differenz. Es muss bei allem, was wir tun, auch finanzierbar sein. Es gibt für die 30 Prozent oder 25 Prozent, je nachdem, im sozialen Wohnungsbau die entsprechenden Regularien, aber natürlich muss es auch darum gehen, dass wir dann nicht auf der einen Seite nur Sozialwohnungsbau und auf der anderen Seite nur Luxusbau haben, sondern wir brauchen ein mittleres Segment, das eben auch ermöglicht, dass diejenigen, die einer ganz regulären Arbeit nachgehen, die ein durchschnittliches Einkommen haben, nicht aus Berlin verdrängt werden, sondern sich das auch leisten können. Deshalb muss es darum gehen, dass wir bei allem, was wir dort tun, eben nicht nur im Sozialwohnungsbereich bezahlbar sind, sondern dass auch gerade für die Durchschnittsmieten wir zu einem Weg kommen, der eben sagt, es kann nicht sein, dass nur noch die geförderten oder nur noch die, die im Luxusbereich wohnen, in der Innenstadt sein können. Wir brauchen die soziale und Berliner Mischung, auch mit Gewerbe, auch mit bezahlbaren Gewerbemieten. Dafür müssen wir auch mit den Privaten sprechen, und die Städtischen sind sowieso ganz klar auch in dem Bereich, der nicht in den 30 Prozent liegt, bemüht, auch die anderen bezahlbar zu halten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.