Mittwoch, 24. April 2024

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Berührender Text über unser Dasein im All
Wolfgang Borchert und die nahen Sterne in der Elbe

Der Dichter Wolfgang Borchert starb, gezeichnet vom Zweiten Weltkrieg, mit nur 26 Jahren. Würden alle die Sterne sehen wie er, wäre die Welt wohl friedlicher: „Dieselben Sterne, die im Himmel liegen, liegen auch in der Elbe.“

Von Dirk Lorenzen | 12.05.2022
Das Weltall mit den zahllosen Sternen beginnt etwa 100 Kilometer über unseren Köpfen – überall auf der Erde
Das Weltall mit den zahllosen Sternen beginnt etwa 100 Kilometer über unseren Köpfen – überall auf der Erde (ESA / Hubble & NASA)
Links liegt Hamburg, drüben Finkenwerder, rechts die Nordsee und hinter ihm bald Dänemark, schreibt Wolfgang Borchert in seinem Text „Die Elbe, Blick von Blankenese“. Zu seinen Füßen funkelt es: „Dieselben Sterne, die im Himmel liegen, liegen auch in der Elbe.“
Tatsächlich sind wir umgeben von den Sternen – das Weltall ist über und unter uns, links, rechts, vorn, hinten. Die himmlischen Lichter spiegeln sich zudem im Wasser des Flusses.
„Vielleicht sind wir gar nicht so weit ab vom Himmel. Wir in Blankenese. Wir in Barmbek, in Bremen, in Bristol, Boston und Brooklyn.“
Wolfgang Borchert hat auch damit recht. Die Sterne mögen weit entfernt sein, nicht aber der Himmel oder das Universum.
In gut 100 Kilometern Höhe endet die Erdatmosphäre und der Weltraum beginnt. Wer von Borcherts Geburtsstadt Hamburg nach Bremen fährt, legt genau die Strecke zurück, die beim Verlassen der Erde senkrecht zu bewältigen wäre.
Überall auf der Erde ist der Weltraum ganz nah – nur 100 Kilometer über uns. Die so riesig erscheinende Atmosphäre ist nur eine hauchdünne Schicht, die sich um unseren Planeten legt. Doch kaum jemand auf der Erde ist sich dieser Existenz am Rand des Kosmos bewusst, bedauert Wolfgang Borchert:
„Man muss die Sterne natürlich sehen, die hier unten schwimmen, in der Elbe, im Dnjepr, in der Seine, im Hoangho und im Mississippi.“
Wolfgang Borchert starb, gezeichnet vom Zweiten Weltkrieg, mit nur 26 Jahren. Würden alle die Sterne sehen wie er, wäre die Welt wohl friedlicher.