Freitag, 26. April 2024

Archiv


Wolfgang Gerhardt: Debatte um Griechenland-Hilfe ist kein Sprengsatz für die Koalition

Der ehemalige FDP-Chef Wolfgang Gerhardt sieht in der Diskussion über eine mögliche Insolvenz Griechenlands keine Gefahr für die schwarz-gelbe Koalition in Berlin. "Im Grunde muss eine Gesellschaft und eine Politik die Lage so diskutieren, wie sie die Menschen empfinden." Denkverbote dürfe es dabei nicht geben. Entscheidend für das weitere Vorgehen der Regierung seien die Daten, die die Troika aus EU, EZB und IWF über Griechenlands Fortschritte liefere.

Wolfgang Gerhardt im Gespräch mit Jürgen Liminski | 15.09.2011
    Jürgen Liminski: Tatenarm und gedankenvoll, so charakterisierte Hölderlin seine Deutschen schon vor gut 200 Jahren. Wir sind offenbar für Diskussionen über Begriffe und Definitionen besonders empfänglich, und in der Tat: Worte entwickeln gelegentlich ihre eigene Dynamik. Das gilt auch für kleine selbstverständliche Gedanken und Wahrheiten, die sich aber keiner zu benennen traut. Das zeigte sich, als der ehemalige Wirtschaftsminister zu Guttenberg - kaum im Amt - meinte, Opel könne auch Pleite gehen. Es war eine Option, die in den Medien gehandelt wurde. Und es zeigt sich jetzt, als Wirtschaftsminister Rösler von der möglichen Insolvenz Griechenlands sprach. Er tat das mit diesen Worten:

    O-Ton Philipp Rösler: "Um den Euro zu stabilisieren, darf es keine Denkverbote mehr geben. Dazu gehört in letzter Konsequenz auch eine geordnete Insolvenz, wenn und sobald die dafür notwendigen Instrumente zur Verfügung stehen."

    Liminski: Wirtschaftsminister Rösler und sein Verbum delicti. Seither ist der Begriff aus der Flasche und wird so intensiv diskutiert, dass man glauben könnte, es geht gar nicht mehr um Griechenland, sondern um die Koalition in Berlin. Entwickelt sich die Griechenland-Frage zum Spaltpilz der Koalition? Steht hinter der Aussage Röslers mehr als nur eine Feststellung? Am Telefon begrüße ich dazu den Vorsitzenden der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, den FDP-Politiker Wolfgang Gerhardt. Guten Morgen!

    Wolfgang Gerhardt: Guten Morgen, Herr Liminski.

    Liminski: Herr Gerhardt, die Koalition in der Zerreißprobe. So oder so ähnlich heißt es heute in den Zeitungen. War es ein Fehler von Wirtschaftsminister Rösler, das böse Wort von der Insolvenz zu gebrauchen?

    Gerhardt: Nein, das war kein Fehler. Im Grunde muss eine Gesellschaft und eine Politik die Lage so diskutieren, wie sie die Menschen empfinden. Nur, wir müssen uns als deutsche Politiker natürlich darüber klar sein, dass von der Lösung dieser Frage Griechenland und von unserer Haltung dazu und von unserer Bereitschaft, alles zu tun, damit dieser Fall nicht eintritt, auch unser internationales Ansehen und unsere europäische Intention abhängt. Das ist gerade für Deutschland richtig, das muss man dann unmittelbar zu einer klaren Lagebewertung hinzufügen.

    Liminski: Keine Denkverbote, heißt es in Ihrer Partei. Ist das eine Frage des Prinzips, in diesem Fall des Prinzips der Freiheit?

    Gerhardt: Ich habe mir nie Denkverbote auferlegt. Wenn man nachdenkt, muss man allerdings das, was man sagt, einbetten in einen Zusammenhang, der auch der Tradition, der Geschichte und der europäischen Orientierung der FDP entspricht. Das ist logisch, das ist konsequent, denn die Verhältnisse sind nicht einfach, sie waren es auch noch nie, und Liberale müssen sich nicht dafür entschuldigen, dass sie keine Patentlösung jeden Tag für jede auftauchende Frage sofort parat haben.

    Liminski: Sie haben eben zu bedenken gegeben, dass man auch an das Bild Deutschlands im Ausland denken müsse. Darf es im Sinne einer Abwägung zwischen zwei Übeln nicht auch mal Maulkörbe für bestimmte Begriffe geben? Oder anders gefragt: Muss man in der Politik nicht auch pragmatisch denken?

    Gerhardt: Natürlich muss man das, und man muss in der Ausdrucksfähigkeit Lagen so beschreiben, dass sie von Menschen verstanden werden. Das ist auch kein Sprengsatz für die Koalition. Ich halte das für wirklich überzogen, wenn eine solche Bewertung zutage treten würde. Ich selbst bin sehr davon überzeugt, dass wir in den bevorstehenden Verabschiedungen etwa des Stabilitätsmechanismus im nächsten Jahr und auch des jetzigen Vorlaufs eine eigene Mehrheit im Bundestag bekommen werden. Die Kernfrage ist aber nicht, mit welchen Instrumenten wir herangehen. Die Kernfrage ist, was sagen uns jetzt Kommission, Internationaler Währungsfonds und Europäische Zentralbank über die tatsächlichen Daten in Griechenland. An denen kann niemand vorbeigehen, und das gilt dann für jeden einzelnen Abgeordneten in seiner politischen Verantwortung in Deutschland.

    Liminski: Aber dann könnte sich die Griechenland-Frage ja doch zum Spaltpilz in der Koalition entwickeln? Die Eigendynamik ist ja schon beachtlich. Heute machen, wie gesagt, alle großen Zeitungen damit auf.

    Gerhardt: Ja, aber ich bin eben anderer Auffassung als die Aufmacher in den großen Zeitungen, weil ich sehe, dass auch bei unserem Koalitionspartner natürlich eine Diskussion stattfindet, die jetzt auf eine klare Lageeinschätzung hinausgeht. Wir kennen unsere Verantwortung in der europäischen Entwicklung, wir kennen unsere Verantwortung auch für ein Mitgliedsland der Euro-Zone, aber wir kennen natürlich auch unsere Verantwortung, dass nicht geholfen werden kann, wenn ein Land, eine Gesellschaft und eine politische Klasse nicht in der Lage ist, sich in einem Minimum selbst zu helfen, sich bewegt, und das ist die eigentliche Herausforderung. Die ist für die Bundeskanzlerin nicht anders als für den einfachen Bundestagsabgeordneten Gerhardt.

    Liminski: Das heißt, man muss über die Insolvenz nachdenken, auch über ein Verfahren?

    Gerhardt: Man muss jetzt erst einmal die Zahlen entgegennehmen, die die Troika in Athen erörtert und uns ja dann präsentiert. Ich bin immer für einen geordneten Gang. Ich kann die Lage für Januar, Februar, März, April nächsten Jahres nicht vorhersagen, ich bin kein Wahrsager. Ich muss jetzt entscheiden, verantwortlich auch gegenüber dem deutschen Steuerzahler, wenn die Troika mir die Daten liefert, wie ich im Bundestag das Thema behandle. Und das offen zu besprechen in einer Koalition, weil es ja sowieso offen besprochen wird, ist kein Sprengsatz, sondern die logische Konsequenz für politische Führung.

    Liminski: Der angestrebte Mitgliederentscheid zur Griechen-Frage oder der Erweiterung des Rettungsschirms kann sich auch zu einer Belastung der Koalition auswirken, denn dadurch wird ja die Kanzlermehrheit gefährdet, wenn die Mehrheit der Mitglieder sich gegen die Erweiterung ausspricht. Zündelt die FDP hier nicht doch ein bisschen am Schicksal der Koalition?

    Gerhardt: Mir ist, um das offen zu sagen, ein Bedarf nach einem Mitgliederentscheid nicht notwendig. Wir haben in der Bundestagsfraktion einige Punkte schon ohnehin so beschlossen, wie das einzelne Punkte des Antrags zum Mitgliederentscheid bedeuten. Wir wollen keine Eurobonds, wir wollen das Heft des Handelns als Abgeordnete in jeder Phase in der Hand behalten. Also ich brauche für meine Entscheidung nicht durch einen Mitgliederentscheid an meine Verantwortung erinnert werden und ich brauche auch ein Minimum an eigenem Entscheidungsspielraum, ohne den politische Führung überhaupt nicht möglich ist. Es ist eine Vertrauensfrage zwischen Partei und ihrer Führung, ob sie der eigenen Führung auch einen hinreichenden Raum des eigenen Disponierens geben will.

    Liminski: Röslers Bemerkung, Herr Gerhardt, hat die Märkte erschreckt. Ist dieser Staat, die politische Klasse, heute in vorauseilender Furcht zu ängstlich gegenüber den Märkten? Ja, bestimmt die unkontrollierte Herde der Spekulanten und Börsianer das politische Geschehen, oder auch schon die politische Diskussion?

    Gerhardt: Also ich lese ja in den deutschen Zeitungen und höre bei Ihnen im Deutschlandfunk und in anderen ja auch viele Interviews, wo namhafte Mitbürger, große Wissenschaftler sich voll über die ganze Bandbreite möglicher Lösungsansätze bewegen. Das muss niemanden verstören, das ist in einer offenen freiheitlichen Demokratie logische Konsequenz, das ist auch nichts Neues und das gehört dazu.
    Im Übrigen haben ja die Märkte eigentlich die desolate Situation in einigen Mitgliedsstaaten der Euro-Zone aufgedeckt, von der sich die Politik oft zurückgehalten hat, sie klar zu bewerten. Es wird bei uns so oft kritisch über Marktwirtschaft geredet. Der Markt deckt politische Fehlleistungen konsequent auf, und das ist in Griechenland klar geschehen. Dort haben Regierungen, gleich welcher Zusammensetzung, nicht die geringste Fähigkeit entwickelt, wirklich mit dem Euro etwas Positives an Chancen für ihr Land zu entwickeln.

    Liminski: Man könnte den Eindruck gewinnen, die FDP hat endlich wieder ein Thema gefunden, mit dem sie auch punkten kann. Ist das Zufall, so wie man wochenlang über spätrömische Dekadenzerscheinungen in Deutschland geredet hat?

    Gerhardt: Nein. Ich glaube nicht, dass man sich von Thema zu Thema hangeln muss, um Aufmerksamkeit zu erregen. Für die FDP und für mich selbst ist auch ganz entscheidend aus unserer Parteiengeschichte in Deutschland, dass wir auf europäischer Orientierung bleiben. Das hindert uns nicht daran, manche Fragen, wenn sie auftauchen, kritisch anzusprechen. Aber zu allererst geht es um Lösungsansätze und nicht nur um Plakatentwürfe.

    Liminski: Wie kann sich die FDP in dieser Diskussion, in der Griechen-Frage, gegenüber rechtspopulistischen Zungenschlägen abgrenzen?

    Gerhardt: Da sind wir sehr immun, weil bei uns die europäische Orientierung, die Einbettung in Europa, der Euro immer offen diskutiert worden ist, aber mit großen Mehrheiten entschieden worden ist, zuletzt bei der Einführung des Euro eigentlich selbst. Und viele unserer Mitbürger, die heute wieder über die D-Mark diskutieren, die mir auch ans Herz gewachsen war, keine Frage, müssen wissen, dass wir uns mit der D-Mark allein in der Globalisierung nicht behaupten würden. Es ist ja sehr überraschend – und das sollte man auch sagen -, dass die Schweiz das bei ihrem hochkarätigen und stabilen Franken eben auch gesehen hat als Problem.

    Liminski: Die Griechen-Hilfe entwickelt sich zu einem Streitthema in der Koalition. Die FDP zeigt sich dabei prinzipienstark. Das war der Vorsitzende der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und FDP-Politiker Wolfgang Gerhardt. Besten Dank für das Gespräch, Herr Gerhardt.

    Gerhardt: Danke Ihnen, Herr Liminski.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.