Dienstag, 16. April 2024

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Wolfgang Rihm und Franz Liszt als thematische Klammern

Mit großen Namen und bedeutenden Orchestern bedient das Musikfest Berlin den glamourösen Anspruch der Hauptstadt-Kultur. Franz Liszt und Wolfgang Rihm stehen in diesem Jahr als Komponisten im Mittelpunkt.

Von Georg-Friedrich Kühn | 06.09.2011
    Er ist gleichsam die thematische Klammer dieses Musikfests: Wolfgang Rihm. Im kommenden März wird er 60. Unter dem Schlagwort "postmodern" sorgt er seit über dreißig Jahren für Neues auch in den tradierten Konzertprogrammen.

    Mal großformatig als Aufriss eines Straussschen Heldenlebens, wie hier in "Verwandlung 3", mit dem das Philadelphia Orchestra unter Charles Dutois grandios den offiziellen Auftakt zu diesem Musikfest gab, mal verhalten verinnerlicht mit nur wenigen gezielten Ausbrüchen, wie in seiner Requiem-Version "Et lux".

    Das Huelgas Ensemble, begleitet vom Minguet Quartett, blendete damit am Vorabend des Musikfests in der Gethsemane-Kirche zurück auf den Ursprung der Musik, die menschliche Stimme, und die Wiege der Mehrstimmigkeit in den Mess-Kompositionen des 15.Jahrhunderts.

    Die Koordinaten dieses 5.Musikfests Berlin bestimmen zwar kalendarische Daten, diese werden aber auch inhaltlich gedeutet.

    Im Oktober begeht man den 200.Geburtstag von Franz Liszt, dessen Musik durch den Missbrauch der Nazis lange verpönt war. Inzwischen erkennt man deutlicher auch die zukunftsweisenden Momente dieses mit seinem Schwiegersohn Richard Wagner als "Zukunftsmusiker" gepriesenen oder angefeindeten Komponisten und Pianisten.

    Winrich Hopp, der findige Programmtüftler des Musikfests, will Liszt denn auch vor allem reklamieren als den Komponisten im 19.Jahrhundert, der das Klavier als gleichsam universelles Schlagwerk-Instrument entdeckte und ihm bis dahin ungekannte Seiten abgewinnen konnte – im Gegensatz zu Wagner, der seine Ästhetik aus dem Atem der Stimme, des Gesangs entwickelte.

    In solchen Kontrasten und Überschneidungen ist das Programm aufgebaut. Und für das andere Ende des Bogens soll auch Luigi Nono stehen, der die Instrumental-Musik mit seinem ins Mikrotonale vorstoßenden "Prometeo" gleichsam zur vox humana, zur menschlichen Stimme, auffächerte. Eine Hommage wird ihm am Schluss des Musikfests gewidmet sein.

    Wolfgang Rihm hat viel mit Nono zusammengearbeitet und dabei einiges gelernt für die Verfeinerung seines instrumentalen Komponierens – wie in einer Matinee mit dem Klarinettisten und Komponisten Jörg Widmann deutlich wurde.

    Und ähnlich kontrastierend, um das Gegensatzpaar instrumental-vokal kreisend, auch das Klavierrecital von Pierre-Laurent Aimard. Bei Aimard lernte man den späten Liszt kennen, über dessen Sich-Vortasten in neue Regionen des Ausdrucks Richard Wagner eher abschätzig als Geklimpere zu sprechen pflegte.

    "La lugubre gondola", die schaurige Gondel, nannte Liszt ein Stück, das 1885, zwei Jahre nach Wagners und kurz vor dem eigenen Tod entstand, und das vorausweist auf Debussy. Erweitert um andere Lisztsche Gelegenheits-Kompositionen und gemischt mit Sonaten von Alban Berg und Alexander Skrjabin, wird an der Harmonik oder Tektonik der Blick Liszts in die Moderne klarer.

    Aber zumal auch im Kontrast zu einem Albumblatt Richard Wagners, das der seiner nicht nur heimlichen Geliebten Mathilde Wesendonck widmete. Obwohl diese Züricher "Tristan"-Zeit Wagners radikalste war, ist diese Musik noch ganz dem schwelgerischen "Lohengrin"-Ton verhaftet.