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Wolfgang Vogel
Helfer in der Not oder Teufels Advokat?

Der Ost-Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Vogel war am Freikauf von mehr als 33.000 politischen Gefangenen aus der DDR beteiligt. Gerade weil Vogel nicht der typische Apparatschik war, kam er im Westen gut an. Der ehemalige Spiegel-Redakteur Norbert Pötzl hat eine Biografie über ihn geschrieben - mitunter spannend wie ein Spionageroman.

Von Annette Wilmes | 01.12.2014
    Die ehemalige innerdeutsche Grenze
    Vogel initiierte und managte den Austausch von Spionen (dpa / picture alliance)
    Der Journalist Norbert F. Pötzl lernte Wolfgang Vogel 1992 kennen, als es die DDR nicht mehr gab und der Ost-Berliner Anwalt in Bedrängnis geraten war. Gegen Vogel wurde wegen Erpressung ermittelt, weil er angeblich ausreisende DDR-Bürger zum Verkauf ihrer Immobilien genötigt habe. Norbert Pötzl war damals als Leiter des Berliner "Spiegel"-Büros zuständig für die ehemalige DDR:
    "Dann habe ich mich natürlich mit diesen Vorwürfen, die damals erhoben wurden, auseinander gesetzt, den Prozess begleitet, auch weiterhin Kontakt gehalten, mit seinen Anwälten natürlich gesprochen. Und diesen Kontakt habe ich dann eben weiter gepflegt und beibehalten bis zu seinem Tod 2008."
    Wolfgang Vogel wurde Anfang 1996 wegen Erpressung, Meineids und Falschbeurkundung zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung und zu einer Geldstrafe verurteilt. In einem zweiten Prozess wurde Vogel jedoch freigesprochen und 1998 vom Bundesgerichtshof endgültig rehabilitiert. Zwischen Vogel und Pötzl entwickelte sich ein Vertrauensverhältnis. Der Journalist legt Wert darauf, dass er seine Biografie nicht nur aufgrund der zahlreichen Gespräche mit Vogel, seiner Frau und zahlreichen Zeitzeugen aufbaute.
    "Davon habe ich relativ wenig auch im Buch verwendet. Es kam mir darauf an, so objektiv wie möglich zu gestalten, indem ich eben Dokumente herangezogen habe."
    Wolfgang Vogel war am Freikauf von mehr als 33.000 politischen Gefangenen aus der DDR beteiligt. Außerdem initiierte und managte er den Austausch von Spionen auf der Glienicker Brücke. Dem gingen komplizierte und mitunter jahrelange Geheimverhandlungen voraus. Was damals besprochen wurde, blieb noch lange nach der Wende im Dunkeln.
    Norbert Pötzl hat es jetzt aus den Archiven hervorgeholt und - abgerundet durch zahlreiche Gespräche mit Zeitzeugen - detailreich in seiner Biografie aufgezeichnet. Das liest sich zuweilen wie ein Spionagekrimi.
    Pötzl beschreibt, wie Wolfgang Vogel, geboren 1925, den Zweiten Weltkrieg erlebte, wie er Anwalt wurde und als einer der wenigen DDR-Juristen auch im Westen auftreten durfte; wie er dann in seine ganz spezielle Rolle als Mittler zwischen den beiden deutschen Staaten hineinwuchs. Schließlich habe Vogel über dreieinhalb Jahrzehnte hinweg eine einzigartige historische Aufgabe wahrgenommen.
    "Für Nachgeborene, die den Kalten Krieg nicht mehr selbst erlebt haben, ist es schwer vorstellbar, dass der Ost-Berliner Advokat in den 1950er und 1960er-Jahren fast das einzige Bindeglied zwischen beiden Staaten war; die Regierenden in Bonn mieden jeden offiziellen Kontakt mit Behörden der DDR, aus Furcht, dies könne als Anerkennung eines zweiten deutschen Staates ausgelegt werden."
    Pötzl erhielt als einziger Journalist Zugang zum Privatarchiv von Wolfgang Vogel und fand dort minutiöse Aufzeichnungen seiner Gespräche mit Politikern aus dem Westen, vor allem mit Herbert Wehner und Helmut Schmidt.
    "Also, man hat manchmal den Eindruck, er hat ein bisschen mehr preisgegeben, als er vielleicht von seiner Seite aus hätte tun dürfen. Aber das gehörte sozusagen zu diesem Verhandlungsgeschick, dass man eben in dieser Situation auf diesem Kanal alles offen darlegen konnte, Möglichkeiten der Deutschlandpolitik sondieren konnte, was eben kein Beamter, kein Ministerialer tun konnte. Sondern nur auf dieser sehr vertraulichen Ebene konnte man einfach mal Gedankenspiele anstellen, was könnte man noch tun, um also das Verhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten zu verbessern?"
    Gerade weil Vogel nicht der typische Apparatschik war, kam er im Westen gut an. Aber im eigenen Staat war er nicht überall beliebt. Stasi-Chef Mielke zum Beispiel wollte ihn absägen, weil er nicht den richtigen Klassenstandpunkt vertreten habe. Auch gab es Neider unter seinen DDR-Anwaltskollegen, weil Vogel nicht nur sehr gut verdiente, sondern auch außerordentliche Freiheiten genoss, zum Beispiel die Grenze ohne Kontrollen überqueren konnte. Wolfgang Vogel musste meist im Geheimen agieren, deshalb blieb der Öffentlichkeit vieles verborgen.
    "Mission Freiheit": eine sachlich und kenntnisreich geschriebene Biografie
    Das führte dazu, dass immer wieder Halbwahres kolportiert wurde. Zum Beispiel, die DDR habe die Menschen verkauft, um an Devisen heranzukommen. Hier stellt der Autor einiges richtig. Unter anderem, dass die Initiative für die Freikäufe vom Westen ausging. Auslöser war der offene Brief eines Funktionärs einer Häftlingsorganisation, der vorschlug, es wie die Amerikaner in Kuba zu machen. Die hatten auch schon Gefangene freigekauft.
    "Die Bild am Sonntag aus dem Axel-Springer-Verlag erscheint am 30. Dezember 1962 mit der Schlagzeile: 'Bonn soll mit Pankow tauschen: Menschen gegen Ware?' Das Blatt berichtet mit unverhohlener Sympathie über den Appell des Häftlingsvereins: ( ... ) Auch die Bild-Zeitung fordert einen Tag später die Bundesregierung auf: 'Kauft Freiheit! Versucht es!"
    Als erster prominenter Bonner Politiker befürwortete es Herbert Wehner, Häftlinge freizukaufen. Schließlich engagierten sich auch Bundeskanzler Konrad Adenauer und der damalige Minister für gesamtdeutsche Fragen, Rainer Barzel. Und eben weil die Initiative vom Westen ausging, sei es nicht richtig, Vogel als "Menschenhändler" zu beschimpfen, schreibt Pötzl.
    Auch wenn keiner der Beteiligten bezweifelte, dass das Geschäft moralisch anrüchig war. Tatsächlich wurde aber auf diese Weise vielen Tausend Menschen geholfen, die meisten sind Vogel dankbar dafür. Norbert Pötzl musste sich bereits Vorwürfe anhören, er verherrliche den früheren DDR-Anwalt. Doch das ist nicht gerechtfertigt. Der Autor verschweigt nicht die eitlen Seiten Vogels und dass er durchaus Nutznießer des Systems war, dem er diente.
    Für die einen "Helfer in der Not", für die anderen "Teufels Advokat", zwischen diesen Polen bewegt sich auch das Buch. Da die Lebensgeschichte Vogels eng mit den politischen Ereignissen in beiden deutschen Staaten verwoben ist, liefert Pötzl einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung der Vergangenheit. Mitunter geht er zu sehr ins Detail, die vielen Namen, die er erwähnt, machen die Lektüre streckenweise nicht leicht. Aber dann gibt es wieder Passagen, die so spannend sind wie ein Krimi. "Mission Freiheit" ist eine sachlich und kenntnisreich geschriebene Biografie, stellenweise nicht ohne Empathie.
    Norbert F. Pötzl: "Mission Freiheit. Wolfgang Vogel. Anwalt der deutsch-deutschen Geschichte"
    Wilhelm Heyne Verlag, 512 Seiten, 22,99 Euro